Frühförderkurse für KinderEin Riesengeschäft

Frühförderkurse und teures Lernspielzeug boomen seit Jahren. Eltern greifen dafür tief in die Tasche

Wirklich sinnvoll? Lernsoftware für PC und Tablett
Wirklich sinnvoll? Lernsoftware für PC und Tablett© maximkabb - iStock

Gemeinsam mit dem eigenen Kind etwas zu unternehmen ist wunderbar. Einen Kuchen zu backen, ein Spiel zu spielen, zu toben und zu schmusen. Dafür braucht es Zeit. Unverplante Zeit. Doch in den vergangenen Jahren ist der Druck auf Eltern gewachsen, ihre Kinder möglichst früh zu fördern, manche geben viel Geld dafür aus. Spezielle Lernangebote in Form von edukativen Spielwaren und teuren Kursen erleben einen Boom. Schon Vorschulkinder können jetzt anhand von Lernrobotern das Programmieren lernen, um fit für ihr späteres Berufsleben zu werden. Zweckfreies Spielen sieht anders aus. Nichts gegen eine angemessene Förderung des Nachwuchses. Doch nicht alles, was den Eltern als pädagogisch wertvoll verkauft wird, ist auch sinnvoll.
Manchen Schwangeren wird zum Beispiel immer noch empfohlen, Mozart zu hören, weil dies angeblich die Gehirnentwicklung des Babys im Bauch fördert. Diese Annahme ist wissenschaftlich nicht belegt, und doch lassen sich vor allem Erstgebärende durch solche Ratschläge verunsichern.

Immer den Erfolg im Blick

Woher die Angst kommt, möglicherweise zu wenig für die optimale Entwicklung des Nachwuchses zu tun, erklärt Claudia Jacobs, viele Jahre leitende Redakteurin bei Focus-Schule, in ihrem Buch Die populärsten Irrtümer über das Lernen: „In Zeiten weltweiter ökonomischer Krisen und internationaler Vergleichstests (PISA) lastet ein besonderer Druck auf den Familien, vor allem auf den Kindern. Bildung gilt als wichtige Ressource.“ Immer mehr Frauen in Deutschland bekommen heute relativ spät wenige Kinder, 1,5 pro Frau waren es im Jahr 2015. Und umso mehr Aufmerksamkeit wird den lieben Kleinen zuteil. Die Zeiten, als Erziehung eher so nebenherlief, sind definitiv vorbei.
Im Netz tummeln sich unzählige Anbieter von Lernprogrammen, die Kinder neben der Kita oder der Grundschule absolvieren sollen. Etwa FasTracKids, was so viel bedeutet wie „Kinder auf der Überholspur“. Auf der Website heißt es, das Training fördere die optimale Entwicklung von Teamgeist und Persönlichkeit, verbessere die Kommunikationsfähigkeit oder schule die Kinder in der „Wissensvermittlung“. Vier Kurse à 120 Minuten kosten 60 Euro. „Das kann regelrecht schädlich sein“, warnt der Kinderarzt und Wissenschaftler Herbert Renz-Polster. Denn dabei gerate das Kind völlig aus dem Blick. Es gehe bei diesen Inhalten vielmehr darum, „wofür Kinder später mal gebraucht würden“. Die ersten Forderungen nach einer frühkindlichen Bildungsoffensive seien vom Bund der Deutschen Industrie, der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und Wirtschaftsorganisationen wie der OECD gekommen, schreibt Renz-Polster in seinem Buch Die Kindheit ist unantastbar. Und der Bildungsforscher Heiner Barz von der Universität Düsseldorf ergänzt: „Es wird angestrebt, Kinder möglichst früh auf die Spur zu setzen, die zu beruflichem Erfolg führt. Tausend Kompetenzen sollen bis zum Kindergarten angehäuft werden, wenn nicht schon vor der Geburt.“
 Zum Beispiel Englisch. Seit in einer inzwischen revidierten Studie zu lesen war, dass sich bei Kindern Lernzeitfenster auch wieder schließen können, setzen einige Eltern alles daran, ihre Kinder möglichst früh mit einer Fremdsprache zu konfrontieren.

Bilinguale Kitas stark nachgefragt

Nach einer Erhebung des Vereins für Frühe Mehrsprachigkeit an Kitas und Schulen (fmks) gab es Ende 2014 in Deutschland 1035 bilinguale Kindertagesstätten, zehn Jahre zuvor waren es nur 340. Inzwischen finden sich Angebote wie zum Beispiel Englischkurse auch in jenen Kitas, in denen es völlig unsinnig erscheint. „Weil die Eltern es sich verstärkt wünschen“, sagt eine Erzieherin in Berlin-Neukölln, einem Stadtteil, der eigentlich von Migranten geprägt ist und wo viele Kinder neben ihrer Muttersprache erst einmal richtig Deutsch lernen müssen. Ob das Fremdsprachenangebot für Vierjährige sinnvoll ist, mag man bezweifeln. Fachleute betonen immer wieder, dass sich nur ein Lerneffekt einstellt, wenn wenigstens eine Fachkraft diese Sprache konsequent mit den Kindern spricht. Darüber hinaus sollte ein familiärer Bezug bestehen, also entweder die Mutter oder der Vater Muttersprachler sein. Oft wird kritisiert, dass bilinguale Kitas erhebliche Zusatzkosten verlangen und daher nicht allen Familien zugänglich sind.
Seit etwa zehn Jahren nutzen Spielwarenhersteller die Bildungswut gezielt für Marketingstrategien. Inzwischen gibt es kaum mehr Spielzeug für Babys und Kleinkinder, auf dem nicht explizit vermerkt ist, was genau damit gefördert werde: die Hand-Augen- oder die Hand- Mund-Koordination etwa. Baby Einstein ist eine Produktreihe für Kinder ab drei Monaten, hinter der Disney steckt und die auch die Namen Baby Mozart oder Baby Shakespeare benutzt. Neben Spielzeugartikeln umfasst sie Filme und Lern-CDs schon für die Jüngsten. Das wurde in den USA sogar von der Bundesbehörde kritisiert, weil es der Empfehlung widersprach, Kinder unter zwei Jahren nicht vor den Fernseher zu setzen. Inzwischen ist der Markt schon weiter. Der Lernroboter Dash von der Firma Wonder Workshop soll Kindern spielend das Programmieren beibringen. Auf der Website heißt es: „Programmierkenntnisse sind heute unerlässlich“. Kostenpunkt: 150 Euro. Und mit eigens für sie konzipierten Lern-Apps sollen schon Kindergartenkinder für das Smartphone begeistert werden. Ob das in dem Alter schon geschehen muss, ist fraglich. Gerade erst war in der von der Bundesdrogen beauftragten Marlene Mortler in Auftrag gegebene BLIKK-Studie zu lesen, dass übermäßiger Handygebrauch bei Kleinkindern zu Verzögerungen in der Sprachentwicklung führen kann. Immerhin gehörten zu den Trends auf der diesjährigen Spielwarenmesse in Nürnberg unter dem Titel „Explore Nature“ Spielsachen, die den Kindern die Natur wieder näherbringen sollen.

Es braucht gar nicht viel

Was kann man verunsicherten Eltern nun raten? In erster Linie gelassen bleiben und nicht jede neue Studie zum Anlass nehmen, den eigenen Erziehungsstil über den Haufen zu werfen. Beherzigen, dass weniger manchmal mehr ist. Kleinkinder brauchen keine von Spielzeug überquellenden Kinderzimmer, Ballett und Instrumentalunterricht. Sie brauchen vor allem Zeit, um sich Dinge anzueignen, Ruhe und liebevolle Interaktion mit vertrauten Menschen. Pädagogen empfehlen zum Beispiel immer gern, mit Kindern Brettspiele zu spielen und sie mit Holzklötzen bauen zu lassen. Das Abzählen von Feldern etwa bei „Mensch-Ärgere-Dich- Nicht“ und das Aufeinanderstapeln von Bausteinen seien der geistigen Entwicklung, dem räumlichen Vorstellungsvermögen und dem Rechnen zuträglicher als jede Rechen-App. Und nach wie vor gilt: rausgehen, rausgehen, rausgehen. So altmodisch, so einfach.

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