Lernwerkstätten in Kita und Krippe - eine EinführungMehr als ein Raumkonzept

Die Idee der Lernwerkstatt vereint wertvolle Elemente pädagogischer Ansätze mit neuen Praxismodellen. Entscheidend bleibt dabei jedoch die Auseinandersetzung mit der eigenen Haltung und Rolle als Werkstattpädagog*in.

Mehr als ein Raumkonzept
© Monika Schaarschmidt; Osnabrück

Lernwerkstätten sind Räume, die mit ihrer anregenden Umgebung die Voraussetzung für die tiefgreifenden Selbstbildungsprozesse der Kinder und für ein lustvolles Lernen mit Kopf, Herz und Hand schaffen. Das vielfältige Materialangebot ist ein „Brennstoff“: Es spiegelt das „brennende“ Interesse an der Welt wider, hat einen Bezug zum Alltag des Kindes, wirft Fragen auf, ermutigt zur Suche nach Antworten, ermöglicht selbstständiges Experimentieren und Forschen und die damit verbundene Reflexion und Dokumentation. Spiel- und Lernstationen mit unterschiedlichen Schwerpunkten strukturieren den Werkstattraum. Eine Lernwerkstattarbeit beinhaltet aber weitaus mehr als ein Raumkonzept. Die Haltung und das Rollenverständnis der Erwachsenen und die daraus resultierende Alltagsgestaltung sind wichtige Merkmale dieser Form der Bildungsarbeit. Verschiedene pädagogische Ansätze (Situationsansatz, Reggio-Pädagogik) und die Erkenntnisse früherer Reformpädagog*innen (Fröbel, Montessori, Freinet) prägen die Lernwerkstattarbeit. Hinzu kommen Erkenntnisse der neurowissenschaftlichen Forschung: Nur wo Kinder ihre Selbstbildungspotenziale auf vielfältige Weise ausschöpfen können, nur wo sie Autonomie und Selbstwirksamkeit erleben, findet eine Verankerung im Gehirn und somit auch nachhaltige Bildung statt.

Die Rolle der Erwachsenen

Allen Lernwerkstattmodellen ist eines gemeinsam: Die kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Rollenverständnis und der pädagogischen Haltung bleibt unverzichtbar.
Stehen nur Teilaspekte des Lernwerkstattansatzes im Vordergrund, wie bei der Gestaltung einzelner Spiel- und Lernstationen im Gruppenraum, orientieren sich Erzieher*innen häufig am vorhandenen pädagogischen Konzept der Einrichtung, machen sich aber mit neuen Materialien und Themen vertraut. Soll der Lernwerkstattansatz jedoch in seiner Gesamtheit umgesetzt werden, wie in der offenen Werkstatt-Kita oder -Krippe, sollte mit der pädagogischen Haltung der Erwachsenen die Basis für eine gute Lernkultur geschaffen werden. Für viele beginnt hier der Abschied von alten Denk- und Handlungsmustern und die ganz persönliche Weiterentwicklung.
Als Begleiter*innen schaffen die Erzieher*innen eine anregende Umgebung und lassen sich dabei durch die Interessen der Kinder inspirieren. Von Erwachsenen geplante und angeleitete Angebotszeiten verlieren an Bedeutung. Kinder stellen sich ihren selbst gewählten Herausforderungen, finden ihre Themen, entwickeln Aktionen und Projekte. Erzieher*innen nehmen beobachtend das Geschehen und die individuellen Selbstbildungsprozesse wahr. Angesteckt durch die Forschungslust der Kinder nehmen sie zeitweise an den Aktivitäten teil und geben zurückhaltend Impulse. Darüber hinaus beinhaltet Begleitung immer dann Unterstützung, wenn Kinder sie für ihre Aktivitäten einfordern. Da eine nicht-direktive Erziehung und gelebte Partizipation aber den Alltag in einer Werkstatt kennzeichnen, bleiben die Impulse der Kinder richtungsweisend auf ihrem Lern- und Projektweg.
Als Lernende müssen Erwachsene bereit sein, sich auf Veränderung und Entwicklung, auf Ungeplantes und Unvorhersehbares einzulassen. Neu definierte pädagogische Ziele, neue Aufgaben, die Reflexion der eigenen Haltung – alles das gehört zum persönlichen Lernprozess. Ein funktionierendes Team und vor allem eine gute Teamkultur ermutigen und beflügeln in diesem Prozess.
Wer in einer Werkstatt den Lernwegen der Kinder folgt und dabei offen ist für Umwege oder Richtungsänderungen, wird außerdem auf bisher unbekannte Erfahrungsfelder treffen und selbst Wissen erwerben oder vertiefen. Von einem lebendigen Lernumfeld profitieren alle, Kinder und Erwachsene.
Werkstattpädagogik – das bedeutet immer Entschleunigung und Innehalten. Im Alltagsstress fällt das häufig nicht leicht; nicht immer gelingt es den Erwachsenen, am Staunen über Ungewöhnliches und Alltägliches teilzuhaben. Aber der Mut zur Langsamkeit kann wachsen. Auch das ist Teil des eigenen Lernprozesses.
Als Expert*innen stellen Erwachsene den Kindern zeitweise ihre spezifischen Fähigkeiten und Kenntnisse zur Verfügung. In jeder Lernwerkstatt gibt es Dinge, die einen besonderen Umgang erfordern, und Situationen, in denen die unmittelbare Nähe oder sogar Anleitung der Erzieher*innen unverzichtbar ist. Dabei kann es um die Handhabe technischer Geräte (Computer, Kamera, Mikroskop), chemische Experimente oder den Umgang mit Musikinstrumenten gehen, aber auch um das Entdecken und Erforschen der belebten Natur und die Erfahrungen mit dem Element Feuer. Jede Anleitung wird so dosiert, dass die Chance zur Selbstbildung bleibt.
Auch um die Faszination der Kinder für Sprache und Schrift aufzugreifen, reicht die gut vorbereitete Umgebung einer Schreibwerkstatt oft nicht aus. Besonders Vorschulkinder verlangen Expert*innen, die ihre Lese- und Schreibversuche unterstützen.
Lernwerkstätten öffnen ihre Türen nach draußen. Für das Erkunden außerhalb des Kita- oder Krippengeländes oder für themenbezogene Ausflüge und Besichtigungen brauchen Kinder selbstverständlich „ihre“ Expert*innen bei der Planung und Organisation.
Professionalität in der Lernwerkstatt zeigt sich, wenn pädagogische Fachkräfte ihren Rollen als Begleiter*innen, Lernende und Expert*innen gerecht werden. Wesentliche Grundhaltungen zeichnen alle drei Rollen aus: Achtsamkeit, Offenheit und Freude. Sie prägen als wichtige Qualitätsmerkmale die Lernwerkstattarbeit, denn nur sie gewähren Kindern und Erwachsenen die Chance, für einige Zeit ganz im Augenblick zu leben. Ist es noch nicht gelungen, diese Haltungen zum Teil der eigenen Persönlichkeit zu machen, genügt oft schon ein längerer Blick auf das Geschehen in der Lernwerkstatt. Kinder, die mit Kopf, Herz und Hand in eine Sache vertieft sind, berühren uns. Sie ermutigen zur Nachahmung und vermitteln das Gefühl, sinnhafte und wertvolle Arbeit zu leisten.

Es lohnt sich

Mehr denn je lohnt es sich, über die Lernwerkstatt als pädagogisches Konzept nachzudenken. Die berechtigten Forderungen nach besseren Rahmenbedingungen können heute – und vermutlich auch in absehbarer Zeit – an vielen Orten noch nicht erfüllt werden. Durch gleichzeitig immer komplexere Aufgaben in stetig größer werdenden Einrichtungen besteht die Gefahr einer Überforderung aller Beteiligten. Lernwerkstätten und das damit verbundene berufliche Selbstverständnis können dem – zumindest im kleinen Umfang – entgegenwirken und den Arbeitsalltag erleichtern. Sie bedeuten nicht weniger Arbeit, aber mehr gemeinsames, überraschendes Erleben, mehr geteilte Begeisterung und mehr Motivation für Kinder und Erwachsene. Vielleicht wird es in Zukunft noch andere Formen der Umsetzung geben, denn Lernwerkstätten werden sich verändern und weiterentwickeln, so wie die kleinen und großen Menschen, die sich dort treffen.

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