Einblicke in einen digitalen Kita-Tag, die Mut machen„Unbeschwerte Lernsituationen ermöglichen“

Seit einem Jahr sind Kitas und Schulen in Mexiko aufgrund der Pandemie geschlossen. Viele deutsche Auslandsschulen in Mittelamerika – und damit auch deren Kindergärten – haben sich mittlerweile für digitale pädagogische Angebote entschlossen. Ein Interview über den neuen Alltag und überraschende Erfahrungen in einem Kindergarten mit offenem Konzept.

Unbeschwerte Lernsituationen ermöglichen
© privat

Frau Krähling, wie müssen wir uns eine „digitale Kita“ vorstellen?
Hier in Mexiko wurden die Bildungseinrichtungen mit Beginn der Pandemie im März geschlossen und seither nicht wieder geöffnet. Unsere Schule hat in mehreren Schritten ein Konzept entwickelt, wie wir Schule und Kita nach Hause bringen können und wie die Kinder trotz pandemiebedingter Einschränkungen sowohl wichtige Bildungsschritte als auch soziale und emotionale Erfahrungen machen können. Heute, zehn Monate später, bietet unsere „digitale Kita“ den Kindern montags bis freitags von 8 bis 13 Uhr verschiedene pädagogische Angebote: den Morgenkreis in ihrer Stammgruppe, Kleingruppenarbeit auf Deutsch sowie den „offenen Kindergarten“. Die offene Arbeit ist ein für Mexiko außergewöhnliches Merkmal unserer Kita. Wir haben versucht dies ins Digitale zu übertragen. Konkret heißt das, dass die Kinder sich auf der Plattform einloggen und sich in 14 verschiedene „Räume“ begeben können, von „Atelier“ über „Küche“ bis hin zu „Rollenspiel“, der „Lernwerkstatt“ oder „Musik“. Dort erwartet sie ein*e Erzieher*in und leitet und begleitet sie in einer Aktivität. Wenn sie Lust auf etwas anderes haben, können sie die Räume wechseln. Bei den kleineren Kindern unterstützen dabei die Eltern, die größeren Kinder machen das schon ganz selbstständig.

Wie sieht ein digitaler Kita-Tag bei Ihnen ganz konkret aus?
Wir beginnen den Tag mit dem Morgenkreis, bei dem die ganze Gruppe zusammenkommt und wir mit den Kindern spielen, tanzen, uns austauschen und erzählen. Es ist unglaublich, wie schnell die Kinder gelernt haben, die Mikrofone an- und auszuschalten und so das Kind zu respektieren, das an der Reihe ist. Als Deutschkraft unterrichte ich danach im Halbstunden-Rhythmus eine Kleingruppe, d. h., jeweils zwei Kinder aus meiner Gruppe lernen mit mir spielerisch neues Vokabular, wir üben mathematische Kompetenzen, gestalten Kreatives, lesen Bücher oder bearbeiten auch mal Arbeitsblätter. Wenn der Vormittag für die Kinder um 13 Uhr endet, haben wir Erzieher*innen fast jeden Tag noch Arbeitstreffen – sei es im gesamten Team, in Planungsgruppen oder in der Deutsch-Fachschaft. Aber auch Elterngespräche finden dann noch digital statt.

Sind die Eltern während der Kinderbetreuung anwesend?
Das ist ganz unterschiedlich. Wir arbeiten grundsätzlich mit altershomogenen Gruppen, und bei den kleineren Kindern – wir haben ja sogar Krippenkinder – sind die Eltern natürlich dabei. In meiner Vorschulgruppe ist die Mehrheit der Kinder schon allein – die Eltern arbeiten meist im Homeoffice und sind falls notwendig erreichbar. Da eines unserer Ziele die Förderung von Autonomie und Selbstständigkeit ist, versuchen wir dies auch im digitalen Raum umzusetzen. „Ich kann das allein!“ gilt auch hier. Dies geht wiederum nur mit guter und intensiver Elternarbeit, sodass die Kinder nicht nur das notwendige Material zur Verfügung haben, sondern die Eltern auch das Vertrauen in die Kinder, dass sie es allein schaffen. Manche Mama hat dabei auch das Loslassen lernen müssen, wenn ihr Kind vor der Kamera nicht das scheinbar Erwünschte erbringt.

Wie können die pädagogischen Fachkräfte – trotz Distanz – die Beziehung zu den Kindern aufrechterhalten?
Viele Kinder sind nun seit zehn Monaten zu Hause und oft sind wir neben der Kernfamilie die einzig konstanten Bezugspersonen. Sie sehen uns täglich und wir versuchen ihnen durch feste Rituale und Aktivitäten Struktur zu bieten und Stabilität zu geben. Wir haben stets ein offenes Ohr, wenn sie Mitteilungsbedarf haben, aber vor allem versuchen wir den Kindern motivierende und unbeschwerte Lernsituationen in dieser schwierigen Zeit zu ermöglichen.
Letztendlich sind wir bei ihnen „zu Hause“, wir kennen mittlerweile ihre Haustiere, ihre Geschwister und Spielzeuge. Auch das stärkt die Beziehung.
Aber natürlich trennt uns der Bildschirm und nur zu oft fühlt man sich machtlos, wenn ein Kind frustriert ist, zu weinen beginnt und dann plötzlich die Kamera und das Mikrofon ausgehen und das Kind nicht mehr erreichbar ist.

Wie schaffen Sie es, aus der Ferne auf die einzelnen Bedürfnisse der Kinder einzugehen?
Die halbstündige Kleingruppenarbeit (zwei Kinder und ich) bietet mir den großen Vorteil, dass ich differenziert und intensiv mit den Kindern arbeiten kann. Während ich mit schwächeren Kindern eine Übung Schritt für Schritt mache, kann ich die gleiche Aktivität mit stärkeren Kindern anspruchsvoller gestalten. Wann im „Präsenzkindergarten“ habe ich schon so viel Zeit für die einzelnen Kinder? Das sehe ich als ein großes Geschenk dieser Zeit, gerade für den Erwerb einer Sprache.

Was bieten Sie sonst noch digital an?
Wir haben gesehen, wie sehr den Kindern die Bewegung fehlt und so können sich die Kinder in Sport, Tanzen, Yoga und Bewegungsspielen austoben. Dem emotionalen Bedürfnis, mit anderen Kindern zu sprechen, können sie im neu geschaffenen Kindercafé nachgehen. Dort bietet eine Erzieherin lediglich Sprechanlässe und moderiert das Gespräch. Wir haben sogar Kinder, die sich untereinander für einen dieser digitalen Räume verabreden.

Welches sind die Herausforderungen im Kita-Alltag?
Nach wie vor gibt es viele Herausforderungen – es gibt technische Schwierigkeiten mit dem Internet, sodass die Kinder plötzlich weg, wieder da und wieder weg sind. Dabei muss man ganz schön geduldig, flexibel und spontan bleiben. Dies gilt auch für fehlendes Material seitens der Kinder – man sollte stets eine Alternative aus dem Ärmel schütteln können. Nicht alles, was man sich ausdenkt, funktioniert auch. Die Kinder lieben es, selbst aktiv zu werden und etwas zu schaffen, zu bauen und kreativ zu sein. Wenn man dann bei einer Aktivität merkt, dass sie zu schwierig ist, kann man eben nicht „unter die Arme greifen“.

Was war für Sie und das Team am Anfang besonders schwierig?
Wir haben eine Weile gebraucht, um die richtige Balance zu finden zwischen den Wünschen der Eltern und dem, was wir als Bildschirmzeit für die Kinder als ausreichend empfanden. Am Anfang hatten wir nur zwei bis drei Mal in der Woche eine Videokonferenz mit den Kindern. Es gab jedoch Eltern, die sich wesentlich mehr gewünscht haben, sozusagen konstante Unterhaltung von 8 bis 13 Uhr. Das hält aber kein Kind durch.
Gemeinsam mit den Eltern sind wir einen langen, konstruktiven Weg gegangen. Wir haben unser pädagogisches Angebot deutlich ausgeweitet, zugleich haben die Eltern und Kinder gelernt, gezielt daraus auszuwählen und Pausen zu machen.

Welche Unterschiede gab es in der Reaktion der Kinder?
Sie haben natürlich eine Weile gebraucht, um diese neue Form der Kita zu akzeptieren, zu verstehen und sich dabei wohlzufühlen. Es gab Kinder, die sonst sehr gesprächig, aber nun vor dem Bildschirm ganz still und eingeschüchtert waren. Andererseits gab es Kinder, die von einem Tag auf den anderen viel allein waren und plötzlich einen großen Mitteilungsbedarf hatten.

Was haben Sie sonst noch beobachten können?
Grundsätzlich sind wir immer wieder erstaunt darüber, wie schnell die Kinder sich daran gewöhnt haben, wie fit sie in der Technik geworden sind und wie sie trotz der Distanz wesentliche Lern- und Fortschritte machen.
Aber natürlich wünschen wir uns alle, wieder in die Arbeit vor Ort zurückkehren zu können. Denn auch wenn unser „Kindergarten zu Hause“ mittlerweile für viele Kinder gut zu funktionieren scheint, so spüren wir immer wieder, welch große sozio-emotionale Leerstelle diese Zeit in den Kindern hinterlassen wird. Denn kein digitales Angebot kann ersetzen, was sie im Kindergarten lernen: sich zu streiten und wieder zu versöhnen, Konflikte gemeinsam zu lösen oder eine*n Freund*in mit einer lieben Geste zu trösten.

Gibt es etwas, was Sie auch nach der Pandemie weiter praktizieren würden?
Wir haben begonnen mit einigen Tools zu arbeiten, wie beispielsweise onilo.de oder Book Creator, um den Kindern Bücher vorzulesen. Beide machen das Vorlesen bewegter und interaktiver. Vor allem bieten sie die tolle Möglichkeit, dass die Kinder mit ihren Eltern das Buch nochmals lesen können. Dies werden wir sicherlich weiterführen, da es den Eltern die Gelegenheit gibt, Gelerntes zu vertiefen und mit den Kindern darüber ins Gespräch zu kommen.
Ich denke, dass wir uns grundsätzlich Gedanken darüber machen sollten, wie wir die erworbene Medienkompetenz der Kinder gezielt weiter fördern können, wenn wir in den Kindergarten zurückkehren. Der selbstständige Umgang mit Computer und Tablet ist gerade für die größeren unter den Kindergartenkindern Alltag geworden. Ziel wäre es, wenn sie einerseits lernen könnten, das Tablet für ein kreatives Filmprojekt einzusetzen – und andererseits wissen, wann es auch wieder guttut, einfach nur gemeinsam im Sand zu spielen.

Welche Erfahrungen und Tipps können Sie anderen Fachkräften auf den Weg geben?
Gerne möchte ich Mut machen, den Kindern digital zu begegnen – auch wenn es nur für kurze Zeit ist. Damit die Begegnung erfolgreich wird, gilt es drei wichtige Vorbereitungen zu treffen: Erstens muss man sich die Zeit nehmen, die Technologie auszuwählen und kennenzulernen. Zweitens sollte man diskutieren, formulieren und kommunizieren, was man von den Eltern erwartet und welche Rolle sie spielen sollen – das ist für beide Seiten hilfreich und wichtig.
Drittens gilt es, die Frage des Materials zu klären: Was brauchen wir? Können wir mit etwas arbeiten, das die Familien ohnehin zu Hause haben? Können wir frühzeitig den Familien eine Liste zukommen lassen, was sie benötigen oder auszudrucken haben? Haben wir vielleicht sogar die Möglichkeit, jeder Familie etwas per Post zu schicken? Wir als Team sind an diesen Schritten und Herausforderungen gewachsen. Die Bereitschaft, gemeinsam zu planen und Ideen zu teilen, hat definitiv zugenommen. Abschließend kann ich sagen, dass wir – trotz unserer eigenen anfänglichen pädagogischen Bedenken – heute immer wieder überrascht und überzeugt sind von den vielfältigen Möglichkeiten und Methoden, die sich finden. So können wir den Kindern nicht nur Bildungsmomente ermöglichen können, sondern in einer schwierigen Zeit bei ihnen sein.

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