Suche Frieden und jage ihm nach“: Diese Aufforderung aus dem Psalm 34 war nicht nur der Slogan der Europäischen Ministrantenwallfahrt 2018 und Stichwortgeber für das Motto des letzten Katholikentags („Suche Frieden“), sondern ist auch die – im Protestantismus weiterhin mit besonderer Bedeutung aufgeladene – Losung für das Jahr 2019. Angesichts der weltweit zunehmenden Konflikte hatte die EKD hier leicht beschließen können, sich in diesem Jahr auf der Synode wieder einmal intensiver mit der Christen gebotenen Friedensethik zu befassen. Gut so.
Zwei Jahre hatte man sich darauf vorbereitet. Immerhin hat sich die Lage seit der letzten Denkschrift zum Thema aus dem Jahr 2007 („Aus Gottes Frieden leben, für gerechten Frieden sorgen“, vgl. HK, Januar 2008, 20 ff.) verschärft, angefangen vom Nahen Osten bis zu den stärker nationalistisch und populistisch agierenden Regierungschefs in den USA und einer Reihe von europäischen Ländern.
Hinzu kommen inzwischen aber die Konsequenzen des Klimawandels, die in sehr vielen Weltregionen dazu führen, dass Menschen ihren Überlebensinstinkten folgen werden. Durch Rivalität um Ressourcen wie beispielsweise Wasser, Landflucht und Migration werden weitere Konflikte entstehen. Kira Finke vom Potsdam-Institut für Klimaforschung machte in einer knappen Präsentation den Synodalen noch einmal eindrücklich deutlich, was hier auf dem Spiel steht: Im wahrsten Sinne des Wortes unerträgliche Hitze, Smog, Dürre und Superstürme werden ihren Tribut fordern. Das eigentliche Problem besteht darin, dass der Klimawandel nicht nur das ökologische Gleichgewicht gefährdet, sondern den Frieden zwischen den Völkern. „Das ist die dramatischste Einsicht der Diskussion bei dieser Synode“, kommentierte der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber am Rande der Synode.
Renke Brahms, bis vor kurzem als „Schriftführer“ erster Protestant der Bremischen Evangelischen Kirche und Friedensbeauftragter der EKD, hat sich vor diesem Hintergrund dafür eingesetzt, dass sich die evangelische Kirche neu ihrer friedensethischen Grundlagen vergewissert. Wie aber kann man diese Beunruhigung produktiv werden lassen?
Immerhin kann man festhalten, dass nach Jahrzehnten erbitterter innerprotestantischer Diskussionen über Krieg und Frieden sowohl auf Synoden als auch auf dem Evangelischen Kirchentag Auseinandersetzungen und Differenzen heute deutlich friedlicher und moderater ausgetragen werden. Der Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm konstatierte mit Recht, dass der Grundkonsens in Fragen der Friedensethik innerhalb der EKD – und auch in der Ökumene – in den vergangenen Jahrzehnten gewachsen sei. Es hätten sich auch neben dem Klimawandel neue Fragen ergeben, die zeigten, „wie wenig eindeutig aus christlicher Perspektive die Anwendung militärischer Gewalt einfach kategorisch ausgeschlossen werden kann“.
Zur Gunst der Stunde gehörte dabei, dass die EKD-Synode genau 30 Jahre nach dem Fall der Mauer in Dresden tagte. Zeichnete sich nicht gerade die ostdeutsche Revolution im Jahr 1989 durch ihre Gewaltfreiheit aus und ist dadurch bis heute ein Vorbild für die erfolgreiche Überwindung einer hochexplosiven Situation in vielen Weltregionen?
Am Martinstag, an dem man bekanntlich an einen besonders sozial engagierten römischen Soldaten erinnert, wurde das Thema dann bespielt mit einer theologischen Vergewisserung durch den badischen Landesbischof Jochen Cornelius-Bundschuh, einem Film von „Brot für die Welt“, den Berichten eines Generalleutnants über das Engagement der Bundeswehr auch außerhalb von Kampfeinsätzen und dem Erfahrungsbericht eines Friedensarbeiters in Kamerun. Am Vorabend berichteten die Initiatoren des Ostritzer Friedensfestes als Alternativveranstaltung zum Aufmarsch von Rechtsextremen von ihren Erfahrungen.
Ähnlich umfassend war der Vorschlag für eine „Kundgebung“ der Synode. In ihr wurde vom Populismus im Netz bis zum handfesten Terrorismus, den neuen Sorgen angesichts atomarer Bewaffnung bis zu autonomen Waffen und Cyberkriegsführung manches aufgenommen. Angesichts des Entwurfs zu dem Text mit dem Titel „Auf dem Weg zu einer Kirche der Gerechtigkeit und des Friedens“ kam denn auch die Frage aus dem Plenum, wie man mit einem solchen Text aufrütteln wolle.
Die verabschiedete Kundgebung ist dann noch etwas umfangreicher geworden, hat die theologische Einleitung breiter angelegt und enthält eine ganze Reihe von politischen Forderungen: So werden Institutionen wie die Europäische Union aufgefordert, sich stärker bei zivilen Konfliktlösungsversuchen zu engagieren. Die Bundesrepublik solle zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für friedensschaffende Maßnahmen einsetzen. Zudem wird eine restriktivere Rüstungsexportkontrolle gefordert und eine entschiedenere Ächtung von Atomwaffen – ohne hier pazifistischen Maximalforderungen zu erliegen. In ihrer Kundgebung geht die EKD-Synode auch auf die aktuellen Herausforderungen durch die Autonomisierung von Waffen und durch Cyber-Angriffe ein. Aber es müsse eben auch um einen intensiveren Klimaschutz gehen. Und auch ohne nachhaltige Entwicklung könne es keinen Frieden geben, betonte Irmgard Schwaetzer, Präses der Synode.
Besonders wichtig aber ist darüber hinaus die Betonung, dass jede friedensethische Positionierung unweigerlich auch die Frage nach dem Engagement in den eigenen Reihen aufwirft. Das Dokument ist hier eindeutig: „Mit der weltweiten ökumenischen Bewegung wollen wir Kirche auf dem Weg der Gerechtigkeit und des Friedens sein und verpflichten uns, unsere gesamte Arbeit darauf auszurichten.“ Dazu gehört auch, dass der Umgang mit der Pluralität der Meinungen selbst Teil der „Kirche des Friedens“ ist.
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