Evo Morales und die Mutter Erde

Worum es bei der „Pachamama“ wirklich geht.

Evo Morales und die Mutter Erde
© Pixabay

Seit dem 10. November 2019 ist die Ära von Präsident Evo Morales in Bolivien Geschichte. Nach Wahlfälschungsvorwürfen war es zu heftigen Protesten in der Bevölkerung gekommen, schließlich hatte das Militär den sozialistischen Präsidenten zum Rücktritt genötigt. Am nächsten Tag verließ er sein Land und befindet sich seitdem im Exil in Mexiko.

Morales verstand sich selbst als erster indigener Präsident Boliviens. Dabei blieb unklar, welcher Ethnie er sich genau zurechnete. Kritiker sprachen ihm die Legitimität seines Anspruchs ab: Seine Kenntnisse indigener Sprachen etwa seien schlecht. Doch die Konstruktion einer vorkolonialen, indigenen Identität war fester Bestandteil der politischen Inszenierung von Morales und seiner Partei.

Dies hatte Folgen für die Beziehungen zur katholischen Kirche. 2009 verlor sie ihren Rang als Staatsreligion; im Jahr 2013 versuchte sich Morales gar an der Gründung einer bolivianischen Nationalkirche. Im Verlauf des Franziskus-Pontifikats entspannte sich das Verhältnis. Morales bezeichnete sich selbst als Christ, setzte sich aber regelmäßig als Teilnehmer religiöser Riten in Szene, die an vorchristliche Traditionen anknüpfen sollten. So ließ er im Januar 2006 an einer präkolumbianischen Ausgrabungsstätte in den Anden eine Zeremonie abhalten, bei der er sich bei „Pachamama“, der Verkörperung von „Mutter Erde“, für seine soeben erfolgte Wahl zum Präsidenten bedankte.

Katholiken, die in den vergangenen Wochen die Nachrichten aus Rom verfolgt haben, werden hier aufhorchen. Als während der Synode verschiedentlich Holzfiguren auftauchten, die wohl die „Pachamama“ darstellen sollten, sahen sich Papst und Bischöfe dem Vorwurf ausgesetzt, eine heidnische Gottheit anzubeten. Tatsächlich haben sie wohl eher – bewusst oder unbewusst – mit einer ganz spezifischen identitätspolitischen Symbolik hantiert. Weit über den Andenraum hinaus ist die „Pachamama“ in Südamerika zu einem wichtigen Motiv der politischen Kommunikation geworden, das mit bestimmten antikapitalistischen und ökologischen Anliegen aufgeladen wurde. Regierungen und andere Akteure, so zeigte die schwedische Sozialwissenschaftlerin Anna Kaijser in einer Dissertation 2014, nutzen sie als Symbol für „präkoloniale Ursprünge und eine radikale Alternative zu westlichen Werten“. Für die sozialistische Regierung Boliviens wurde die „Pachamama“ zum Emblem für ihre Position, dass „der Kapitalismus und westliche Lebensstile“ die Ursache aller Umweltprobleme seien. Derweil betrieb Morales’ Regierung wie kaum eine andere die Brandrodung des Urwaldes und baute die Förderung fossiler Brennstoffe aus.

In Rom landeten die Holzfiguren schließlich im Tiber (vgl. dieses Heft, 10). Seltsame Koinzidenz: Als am 10. November Oppositionsvertreter mit evangelikalem Hintergrund in den Regierungspalast in La Paz eindrangen, sagten sie, sie würden nun die „Pachamama“ vertreiben. Dann knieten sie vor einer Bibel nieder.

Es zeigt sich, dass die Kritik an der Amazonassynode an der wesentlichen Frage vorbeigeht: „Pachamama“ steht für eine bestimmte Politik. Verspricht man sich von dieser tatsächlich die Lösung der sozialen und ökologischen Probleme der Region? leven@herder.de

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