Sexuelle Minderheiten in der KircheQueer und jetzt

Der Begriff „queer“ steht für Personen, deren Geschlecht und Sexualität nicht in das übliche Schema passen, auf dem auch die kirchliche Sexualmoral beruht. Diese Menschen gibt es, und es gibt sie auch in der Kirche. Es ist höchste Zeit, sie sichtbar zu machen, sie anzuerkennen – und zu segnen. In einem neuen Buch kommen jetzt Menschen, die queer und katholisch sind, zu Wort.

Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und andere queere Personen in der katholischen Kirche? Gibt es nicht! Kann es nicht geben! Darf es nicht geben! Und wenn es sie – um Gottes willen – doch geben sollte, dann haben sie sich gefälligst so zu geben, als gäbe es sie nicht, als gäbe es sie zumindest nicht als die, die sie sind, und nicht so, wie sie sind. So will das zumindest der Vatikan.

Es gibt sie aber: Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und andere queere Personen in der katholischen Kirche. Es gibt sie – und zwar um Gottes willen. Es gibt sie, weil Gott es so gewollt, weil Gott sie so gewollt und geschaffen hat. Aber ganz so, wie der Vatikan es will, sind sie als die, die sie nun einmal sind, und so, wie sie nun einmal sind, in der Kirche häufig unsichtbar.

Sie sind da, sie nehmen an Gottesdiensten teil, sie haben kirchliche Ämter inne und üben liturgische Dienste aus, sie spielen Orgel und singen im Kirchenchor, sie engagieren sich in kirchlichen Verbänden und Gremien, sie helfen bei Pfarrfesten, Jugendlagern und Seniorennachmittagen und sie zahlen brav ihre Kirchensteuer. Aber sie sind nur zum Teil da, dürfen nur zum Teil da sein.

Denn ein Teil von ihnen muss außen vor bleiben, muss verschwiegen, verleugnet und verdrängt werden. Für diesen Teil von ihnen ist in der Kirche kein Platz. Dieser Teil ist ihre geschlechtliche Identität und/oder ihre sexuelle Orientierung und damit etwas, das sie überhaupt erst zu der Person macht, die sie jeweils sind, etwas, das unabdingbar zu ihrer Persönlichkeit dazugehört. Viele von ihnen sind darum mittlerweile nicht mehr da, haben sich von der katholischen Kirche abgewandt, haben ihren Kirchenaustritt erklärt, haben ihren Glauben verloren oder sich einer anderen Glaubensgemeinschaft angeschlossen, die entweder nicht hinterfragt, wer und wie sie sind, oder in der sie als die, die sie sind, und so, wie sie sind, ausdrücklich willkommen geheißen werden.

Andere haben sich in Nischen und geschützte Räume zurückgezogen, die sich ihnen in der Kirche aufgetan haben, die ihnen von der Kirche gnädigerweise zugestanden wurden oder die sie sich selbst geschaffen haben. Solche geschützten Räume haben durchaus ihren Sinn und ihre Berechtigung, bergen in sich aber die Gefahr von Ghettoisierung, Isolation und neuerlicher Unsichtbarkeit.

Wieder andere haben sich wohl oder übel damit abgefunden, als die, die sie sind, und so, wie sie sind, in der Kirche unsichtbar zu bleiben. Sie fühlen sich entweder dazu genötigt oder haben sich dazu entschlossen, ihre geschlechtliche Identität und/oder sexuelle Orientierung für sich zu behalten, und bringen sie, wenn überhaupt, dann allenfalls außerhalb der Kirche zum Ausdruck.

Ganz egal, ob sie sich nun von der Kirche für immer verabschiedet, sich mit den ihnen kirchlicherseits zugestandenen Schlupflöchern abgefunden oder sich dazu entschlossen haben, innerhalb der Kirche verborgen zu bleiben – immer ist ihr Verhältnis zur Kirche von Brüchen, Verwerfungen oder Spannungen geprägt und geht insofern mit Verletzungen, Schmerz und Leid einher. Dieses Leid ist real – im Gegensatz zu dem, was dieses Leid verursacht. Verursacht wird dieses Leid nämlich durch eine Sexualmoral, die auf Annahmen und Behauptungen basiert, die mit der Realität oft wenig zu tun haben. Die angeblich unverfügbaren Normen des Naturrechts, denen sich unterwerfen zu müssen die Kirche beteuert, sind nämlich vor allem eines: unnatürlich.

Denn sie basieren nicht auf der unvoreingenommenen Wahrnehmung der Natur und der natürlichen Gegebenheiten, sondern auf Bedingungen und Kriterien, die beidem nachgeordnet sind. In der Folge wird die Natur durch das vermeintliche Naturrecht wie durch eine Brille wahrgenommen, die den Blickwinkel von vornherein verengt, und in ein unnatürliches Korsett gezwängt.

Das beginnt schon mit der geschlechtlichen Identität. Dem Katechismus der katholischen Kirche zufolge ist jeder Mensch entweder Mann oder Frau – und zwar nur Mann oder nur Frau, und das eindeutig und unabänderlich. „Jeder Mensch, ob Mann oder Frau, muss seine Geschlechtlichkeit an- erkennen und annehmen“, erklärt der Katechismus der katholischen Kirche barsch (Nr. 2333).

Für Menschen, die sich weder (nur) als Mann noch (nur) als Frau definieren, ist in diesem Schema kein Platz. Dasselbe gilt für Menschen, die sich nicht mit dem ihnen nach ihrer Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren können, und zwar ganz unabhängig davon, auf welchen Gegebenheiten, Annahmen und Entscheidungen diese Zuweisung auch immer beruht haben mag.

Und darum sind diese Menschen genau so, wie sie sind, genau so, wie sie sich definieren, und genau so, wie sie ihrer Natur gemäß leben, von Gott gewollt, geschaffen und geliebt.

Das ist nichts anderes als Realitätsverweigerung. Denn es gibt solche Menschen. Sie sind real. Und ebenso real ist ihre geschlechtliche Identität, die zu definieren niemandem zusteht außer ihnen selbst. Und darum sind diese Menschen genau so, wie sie sind, genau so, wie sie sich definieren, und genau so, wie sie ihrer Natur gemäß leben, von Gott gewollt, geschaffen und geliebt.

Dasselbe gilt für Menschen, deren sexuelle Orientierung nicht dem entspricht, was vom Lehramt der katholischen Kirche zur alleinigen Norm erklärt wurde. Es ist einmal mehr realitätsfern, wenn die „psychische Entstehung“ von Homosexualität im Katechismus der katholischen Kirche – im Unterschied zur Heterosexualität – als erklärungsbedürftig dargestellt wird (Nr. 2357).

Nicht minder realitätsfern ist die ebendort aufgestellte Behauptung, in der Heiligen Schrift würde Homosexualität „als schlimme Abirrung bezeichnet“. In den einschlägigen Bibelstellen ist zwar von gleichgeschlechtlichem Sex die Rede, insbesondere von Prostitution und sexuellem Missbrauch, nicht aber von homosexueller Orientierung, homosexueller Liebe und homosexueller Partnerschaft.

Umso realitätsferner ist es, wenn im Katechismus der katholischen Kirche bedenkenlos behauptet wird, dass „die meisten“ homosexuellen Menschen ihre sexuelle Orientierung als „eine Prüfung“ betrachteten (Nr. 2358). Wenn homosexuelle Menschen, nicht zuletzt auch homosexuelle Katholik*innen, etwas als Prüfung betrachten, dann ist das allenfalls ihre Diskriminierung.

Und darum erscheint es geradezu als Gipfel der Realitätsferne, wenn im Katechismus der katholischen Kirche die Forderung aufgestellt wird, homosexuelle Menschen seien generell „zur Keuschheit gerufen“ – und zwar zur Keuschheit im Sinn kompletter sexueller Enthaltsamkeit (Nr. 2359). Einmal mehr wird dadurch die Natur der betreffenden Personen verleugnet und verhöhnt.

Angesichts solch geballter Realitätsferne ist es an der Zeit, queere Menschen in der Kirche und für die Kirche sichtbar zu machen, ihnen eine Stimme zu geben, sie zur Sprache kommen zu lassen...

Die Zeit dafür ist reif. Die Lebensrealität queerer Menschen in der katholischen Kirche ist kein Randthema; es geht dabei um die Existenzberechtigung der Kirche.

Das Wohl und Wehe von Minderheiten, zumal von diskriminierten und ausgegrenzten Minderheiten, ist schließlich der Maßstab des Christlichen und damit auch der Maßstab des Katholischen. Christus hat keinen Katechismus verfasst und kein kirchliches Gesetzbuch erlassen, sondern „ein Beispiel gegeben“ (Joh 13,15) – und zwar ein Beispiel der Wertschätzung, des Respekts und der Liebe.

Der Beitrag stammt aus dem Buch "Gewollt. Geliebt. Gesegnet" (Verlag Herder Freiburg, 160 Seiten, 18 €)

Die Initiative „Out in Church“

In einem spektakulären Coming-out haben am vergangenen Montag mehr als 100 Mitarbeitende der katholischen Kirche öffentlich bekundet, dass sie queer sind – also schwul, lesbisch, bisexuell oder transsexuell. Hinter dem Coming-out steht die Initiative „Out in Church“ (www.outinchurch.de), die nicht mit dem Buch von Wolfgang F. Rothe in Verbindung steht. Die TV-Reportage „Wie Gott uns schuf“ ist in der ARD-Mediathek verfügbar.
Anzeige: Traum vom neuen Morgen. Ein Gespräch über Leben und Glauben. Von Tomáš Halík

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Wolfgang F. Rothe

Gewollt. Geliebt. Gesegnet. QueerQueer-Sein in der katholischen Kirche

(Verlag Herder Freiburg, 160 Seiten, 18 €)

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