Ein Jahr nach #OutinchurchDie Angst überwinden

Es war das größte Comingout in der katholischen Kirche: Mit ihrem öffentlichen Auftreten am 24. Januar 2022 forderten queere Mitarbeitende eine Kirche ohne Angst. Was sich seitdem bewegt hat – und wo es noch hakt.

Bereits 2013 wollte der Investigativjournalist Hajo Seppelt einen Film über homosexuelle Mitarbeitende in der katholischen Kirche machen. Damals fand er nicht genügend Personen, die bereit waren, vor die Kamera zu treten. Zu groß war die Angst vor den beruflichen Konsequenzen. Vor diesem Hintergrund ist die Initiative #OutInChurch eine echte Wendemarke: 125 Menschen bekennen sich öffentlich zu ihrer queeren Identität – das Undenkbare ist auf einmal in aller Munde.

Mit großer Anteilnahme reagierte die Öffentlichkeit auf Seppelts zwischenzeitlich preisgekrönte Begleitdokumentation Wie Gott uns schuf. Nicht wenigen Außenstehenden dürfte die desaströse Situation queerer Personen im kirchlichen Dienst bis dato unbekannt gewesen sein. Wie so oft profitiert die Kirche von einem gesellschaftlichen Vertrauensvorschuss, dem ihr tatsächliches Handeln kaum gerecht wird.

Angesichts der bewegenden Lebensgeschichten zeigen sich auch zahlreiche Bischöfe betroffen – dabei lag und liegt es in ihren Händen, die Diskriminierung zu beenden. Dass sich die Mitgliederzahl von #OutInChurch im Laufe eines Jahres verdreifacht hat, ist erfreulich. Die eher niedrige Quote geouteter Priester zeigt aber auch, dass die Angstmechanismen in der katholischen Kirche noch nicht überwunden sind. Man hat sich eingerichtet und will die heilige Ordnung nicht stören oder sich zumindest keine Karriereschritte verbauen.

Demgegenüber stellt die Erneuerung des kirchlichen Arbeitsrechts einen kaum zu überschätzenden Paradigmenwechsel dar. Sie stand zugegebenermaßen schon vor #OutInChurch auf der Agenda der Bischöfe. Dass es nun so schnell ging und die Überarbeitung so weitreichend ausfiel, wäre ohne die Initiative und den damit verbundenen öffentlichen Druck aber kaum vorstellbar gewesen. In 21 der 27 deutschen Diözesen ist die im Herbst beschlossene neue Grundordnung bereits seit Jahresbeginn in Kraft. Die übrigen wollen noch in diesem Quartal folgen.

„Vielfalt in kirchlichen Einrichtungen ist eine Bereicherung“, betont die neue Grundordnung vollmundig. Und konsequent folgt daraus an zentraler Stelle: „Der Kernbereich privater Lebensgestaltung, insbesondere Beziehungsleben und Intimsphäre, bleibt rechtlichen Bewertungen entzogen.“ Welch eine Erleichterung für rund 800 000 Angestellte von Kirche und Caritas!

Doch sind längst nicht alle Rechtsunsicherheiten ausgeräumt: Zwar wurden kirchenrechtlich nicht anerkannte Zivilehen als expliziter Kündigungsgrund gestrichen. Wer aber garantiert, dass eine gleichgeschlechtliche Trauung im Zweifel nicht doch als „kirchenfeindliche Betätigung“ ausgelegt wird? Auch ist nicht geklärt, ob die Akzeptanz der „sexuellen Identität“ auch Transmenschen einschließt, wenn das Dokument im Weiteren ausschließlich von Mann und Frau spricht. Vom Segen der zaghaften Liberalisierung bisher unberührt sind außerdem Religionslehrerinnen und -lehrer sowie universitäre Lehrkräfte, die auf die Lehrerlaubnis ihres Bischofs beziehungsweise der römischen Bildungskongregation angewiesen bleiben.

Hier sind weitere Schritte nötig. Vor allem braucht es eine grundlegende Neuausrichtung der Sexuallehre, ohne die ein Ende der Diskriminierungen nicht absehbar ist. Doch auch Bischofsstühle sind offenbar keine angstfreie Zonen. Deshalb, liebe Hirten: Habt nur Mut, aber wartet nicht zu lange!

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