Es raubt einem die Sprache, ja den Atem, wie viele Priester so viele Kinder sexuell missbraucht haben. Die abscheulichen Verbrechen machen traurig und wütend. Wir können uns auch nicht hinter selbstgerechter Heuchelei der Art verstecken: Wir sind die Guten. Denn wir sind Kirche! Nicht nur „die da oben“. Unsere Eltern, Großeltern, für die die Kirche als frohe Botschaft Christi das große Heilige war, hätten das Ausmaß dessen, was offenbar wurde, niemals für möglich gehalten. Die Geistlichen waren wie die Lehrer einst das große Vorbild für Sitte, Moral, Anstand, Disziplin, Verantwortung und Rechtschaffenheit: unantastbar. Zwar gab es einiges Gemunkel. Manche waren bekannt als tragische Gestalten, etwa als Trinker, Choleriker, Schläger, schwer Depressive. Der Schriftsteller Georges Bernanos hat das in Romanen verarbeitet, zum Beispiel „Unter der Sonne Satans“. Aber moralische Schwächen sah man ihnen nach. Man wusste noch zu trennen zwischen persönlicher Sündhaftigkeit und dem, was jemand als Mann Gottes darstellte und so in einer Art zweiten Persönlichkeit – nicht bloß Rolle – verkörperte: die Sehnsucht nach dem Ewigen.
Ein weltlich Ding
Nun aber stürzen die schrecklichen Verbrechen derart vieler Vertreter des Evangeliums den gesamten Körper Kirche in den Abgrund. Zumindest in aufklärungsstarken Weltgegenden, wo die mediale Öffentlichkeit mächtig ist. Da hilft es nicht, darauf zu verweisen, dass es doch nur eine sehr kleine Minderheit krimineller Seelsorger sei, die das Vertrauen schwer beschädigt. Wir alle müssen endlich auch im Religiösen anerkennen, dass die Kirche ein weltlich Ding ist in jedem, was sie darstellt und macht – ob als Immobilienbesitzer oder Sozialkonzern, ob als liturgisch-spirituelle Gemeinschaft oder im geistlichen Amt. Aber ist solches Bewusstsein schlimm?
Vergebung ist (un)möglich?
Nein, es befreit die Einsicht zum Realismus, was wir in der Nachfolge Christi alle sind: Weltkinder, Gotteskinder – und Sünder! Nur so sind wir Kirche, nicht eine imaginäre Institution, die an die Amtsträger zu delegieren wäre. Wir sind es, die sich auf der Spur Gottes mühen, seinem Ruf zu folgen, und die dabei den guten Ruf wie den schlechten Ruf produzieren, der uns in der Gesellschaft anhaftet. Daher ist es bitter, wenn wir als Glaubens-Verantwortungsgemeinschaft in Selbstdemontage ein Gegenbild zur Apostelgeschichte abgeben: Seht, wie sie einander hassen.
Kann es Vergebung geben, Barmherzigkeit? Niemals, indem man sich entschuldigt. Es gibt nur einen Weg: Umkehr! Sündenbekenntnis, Reue, Buße, guten Vorsatz. Vielleicht haben wir das als unzeitgemäß zu lange verdrängt, unten wie oben. Wir sind Sünder – alle! Trotzdem geben wir die Hoffnung nicht preis. Ob das Christentum und damit Kirche Zukunft hat? Es geht um mehr, es geht um Gott. Um Gottes Ruf. Es ist unsere Sache. Und nicht nur unsere.