PhilosophieVom großen Einverständnis

Mit den Stoikern auf der Suche nach der guten Selbstsorge

Unerschütterlichkeit und innere Ausgewogenheit sind die Ziele der Stoa, jener faszinierenden Lebenslehre aus der vorchristlichen Antike. Stoisch ist eine Haltung, in der einen letztlich nichts aus der Bahn werfen kann, auch Unglück und Tod nicht. Entscheidend dafür ist der Vernunftgebrauch, ganzheitlich begriffen als großartiges Selbststeuerungsvermögen. Stoische Denker wie Epiktet und Seneca haben vielfarbig gezeigt, was diese Kultur der Selbst- und Weltsorge auch ethisch vermag. „Nichts im Übermaß“ lautet ein berühmter Sinnspruch auf diesem Weg: nicht Fliehen, sondern Standhalten und Gestalten.

Auf die innere Einstellung kommt es an – und auf die schöpferische Akzeptanz dessen, was ist. „Wenn du am Morgen erwachst, denke daran, was für ein köstlicher Schatz es ist, zu leben, zu atmen und sich freuen zu können“ – so lautet einer der Ratschläge des großen Marc Aurel, die Thomas Hohensee herausstellt. Gut gelingt es dem Autor, Coach und Seminarleiter, die stoische Lebenskunst vom großen Einverständnis als praktischen Entspannungsweg durchzubuchstabieren.

Allerdings: Die stoische Gelassenheit ist ganz anders als die christliche, auch wenn sie bisweilen ähnlich daherkommt. Denn im Christentum steht nicht die „Liebe zum Schicksal oder des Schicksals“ im Mittelpunkt, sondern die Liebe zu einem personal erfahrenen Schöpfergott. Nicht zufällig wird das vielleicht stoische Gedicht von der alles durchwaltenden Weltvernunft (Logos) am Anfang des Johannesevangeliums christlich dadurch verändert, dass von ihrer Menschwerdung in Christus die Rede ist. Gott ist Liebe, und die zeigt sich als Nächsten- und sogar Feindesliebe. Darin geborgen zu sein, setzt eine andere Art von Selbstliebe und Gelassenheit frei. Zu ihr gehört die Leidenschaft des Daseins „für euch und für alle“ – bis hin zu den Warum-Fragen (je)der Passion .

Dass derzeit die vorchristlichen Strategien der Selbstsorge so aktuell sind, gibt zu denken. Die wunderbaren „Selbstbetrachtungen“ des Soldatenkaisers Marc Aurel lesen sich ja doch sehr anders als das Neue Testament. Solche Unterschiede bereichern das gemeinsame Ringen um Menschwerdung – nicht nur für gestresste Selbstoptimierer, sondern für die Ärmsten der Armen.

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Hohensee, Thomas

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