Inklusion in der KitaJeder ist willkommen

Alle Kinder sind gleich – und jedes Kind ist besonders. Das ist kein Widerspruch, sondern das Selbstverständnis inklusiver Kitas

Jeder ist willkommen
In der Kita finden Kinder viele neue Freunde © Alina Solovyova-Vincent - Fotolia

Wer die Freiburger Kita Hornusstraße betritt, stößt gleich auf ein Plakat mit den Kinderrechten. „Kein Kind darf benachteiligt werden“, ist da unter anderem zu lesen. An der Wand darüber stehen Willkommensgrüße auf verschiedenen Sprachen, an der Infotafel hängt ein interkultureller Kalender, Holzkeile an den Türschwellen des alten Gebäudes sorgen für Barrierefreiheit. Schon im Eingangsbereich zeigt sich, dass hier an viele unterschiedliche Bedürfnisse gedacht wird. „Unsere räumlichen Voraussetzungen sind bestimmt nicht optimal, aber es gibt immer eine Möglichkeit“, sagt Alexandra Fritz, die seit 16 Jahren die AWO-Einrichtung leitet. Die engagierte Erzieherin mit einem Bachelor-Abschluss in Management von Erziehungs- und Bildungseinrichtungen betont, dass für sie nicht die äußeren Rahmenbedingungen über Inklusionserfolge entscheiden, sondern vor allem die eigene Haltung. Ein offener und wertschätzender Umgang sei wichtig – sowohl gegenüber den Kindern und Eltern als auch innerhalb des Teams.

Vielfalt als Normalität

Der inklusive Anspruch ist, allen Kindern eine uneingeschränkte Teilhabe am Alltag zu ermöglichen. Die Vielfalt, die sich daraus ergibt, spiegelt sich auch in der Kita Hornusstraße wider. Unter den 60 hier betreuten Jungen und Mädchen liegt der Migrationsanteil aktuell bei 67 Prozent. „Da kann das Gefühl, dass daran etwas ‚unnormal‘ ist, gar nicht aufkommen“, sagt Fritz. Auch im pädagogischen Team, zu dem vier Männer gehören, gibt es spanische, russische, rumänische und türkische MuttersprachlerInnen. Darin sieht die Kita-Leiterin einen großen Vorteil: „Das Vertrauen der Eltern zu gewinnen, ist eine der Grundvoraussetzungen unserer Arbeit. Durch ErzieherInnen mit eigenem Migrationshintergrund fällt das leichter.“

Über die Hälfte der Kinder hier stammt aus Familien mit geringem Einkommen, aber genauso sind Kinder aus Mittelschichtsfamilien vertreten. Die Solidarität unter den Eltern ist groß. So gibt es eine Spendenkasse, aus der die ErzieherInnen in Einzelfällen das Bastelmaterial für die Schultüte finanzieren.

Ein gutes Gruppengefühl für alle

Insgesamt 18 Kitakinder besuchen eine heilpädagogische oder logopädische Praxis oder erhalten aufgrund einer Behinderung Integrationshilfe. Neben einer Sprachförderkraft und FSJlern gehört eine Heilpädagogin fest zum Team. Deren Arbeit sieht jeden Tag anderes aus: Mal geht es darum, ein behindertes Kind bei einem Ausflug zu begleiten, mal nimmt sie für eine Aktivität zwei weitere Kinder hinzu und arbeitet in einer Kleingruppe. Ziel ist es immer, ein gutes Gruppengefühl zu schaffen, für alle Kinder.

Inklusion, das heißt vor allem auch, die individuelle Situation des Kindes zum Ausgangspunkt der pädagogischen Arbeit zu machen. Fritz sieht für sich und ihr Team darin einen entscheidenden Denkprozess: „Wir müssen immer überlegen, wie wir unsere Strukturen verändern können, um dem Kind gerecht zu werden – und nicht umgekehrt!“ Selbst die Waldtage ließen sich so gestalten, dass auch gehbehinderte Kinder mit Freude dabei sein können.

Miteinander spielen, voneinander lernen

Ganz offen erzählt eine junge Mutter davon, wie wichtig ihr der Inklusionsgedanke ist. Ihr Sohn Enes hat erst in der Kita Deutsch gelernt, denn die Familiensprache ist Türkisch. Tugba Akbak sieht es als große Chance, dass Enes die Kita zusammen mit ganz unterschiedlichen Kindern besucht und sie auch nachmittags auf dem Spielplatz trifft. So könne er ohne Vorurteile und Ängste aufwachsen. „In dem Alter nehmen die Kinder viel auf, die Erfahrungen in der Kita prägen sie ein Leben lang“, sagt Akbak. Am Zuckerfest zum Ende des Ramadans durfte Enes im Morgenkreis Süßigkeiten verteilen, seine Erzieherin hat den anderen Kindern den Hintergrund des Festes erklärt. In der Kita erlebt der Junge aber nicht nur das Miteinander von Religionen und Kulturen, er lernt auch, Rücksicht auf andere Kinder zu nehmen.

Die gegenseitige Rücksichtnahme entwickle sich im Kita-Alltag meist ganz von selbst, das beobachtet auch Fritz. Einmal habe ein Mädchen ganz selbstverständlich für seine Sitznachbarin am Maltisch geantwortet, dass diese noch nicht so gut sprechen könne und das erst noch lerne. Manchmal helfen auch kleine Tricks: So können die Kinder etwa beim Blick durch eine spezielle Brille besser nachempfinden, wie sich ein sehbehindertes Kind fühlt.

Die Rahmenbedingungen in Freiburg sind relativ gut, doch das ist nicht überall so. Noch immer besuchen nicht alle Kinder mit einer Behinderung in Deutschland eine reguläre Kita. Fritz sieht Inklusion als Prozess, der auch auf politischer Ebene vorangetrieben werden muss: Einheitliche Qualitätsstandards, bessere Personalschlüssel, multiprofessionelle Teams, kleinere Gruppen und kürzere bürokratische Wege seien flächendeckend nötig. Bis dahin könne Inklusion nicht um jeden Preis umgesetzt werden. Für manche Kinder sei eine spezialisierte Einrichtung zumindest im Moment der bessere Weg.

Aktuell stehen Alexandra Fritz und ihr Team vor einer neuen Herausforderung: Sie nehmen ein Kind mit körperlicher und geistiger Behinderung aus einer syrischen Familie auf. Wie lassen sich die Sprachbarrieren überwinden? Haben die Fluchterfahrungen Traumatisierungen hinterlassen? „Natürlich ist es auch wichtig, dass man im Team über die eigenen Ängste spricht: Was kommt da auf mich zu? Kann ich das überhaupt leisten?“, sagt Fritz. Doch erst einmal freut sie sich darüber, dass die Integrationshilfe für das Kind bewilligt wurde. Ihr Credo scheint sich zu bestätigen: Es gibt immer einen Weg.

kizz Info

Was bedeutet Inklusion?

Anders als Integration, die von Ausgrenzung betroffene Menschen hereinholen will, setzt Inklusion auf ein Miteinander von Anfang an. So soll Chancengleichheit gewährleistet werden – unabhängig von Geschlecht, sozialem, kulturellem und religiösem Hintergrund oder einer Behinderung. Mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention 2009 in Deutschland hat Inklusion an Bedeutung in unserer Gesellschaft gewonnen. Kitas und Schulen sollen von nun an allen Kindern offenstehen: Es geht nicht mehr um die Frage, ob eine Einrichtung ein Kind mit Behinderung aufnehmen kann, sondern wie sie sich verändern muss, damit sie ihm gerecht wird.

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