Eine Frage, vier AntwortenWas bedeutet Ihnen das Freispiel?

Was sagen eine Expertin, ein Pädagoge, eine Kita-Leiterin und eine Mutter zum freien Spiel der Kinder? Über ihre Eindrücke und Erfahrungen, die Kinder und Erwachsene in dieser Zeit sammeln.

Was bedeutet Ihnen das Freispiel?
© Jasmin Dufner, Renate Zimmer, Tanja Hildmann, Tom Perper, Stuttgart

Name: Prof. Dr. Renate Zimmer
Ort: Osnabrück, Niedersachsen
Rolle: Expertin für frühkindliche Bildung und Bewegungserziehung, Erziehungswissenschaftlerin und Buchautorin, langjährige Forschungs- und Lehrtätigkeit an der Universität Osnabrück

Freispiel bedeutet für mich, dass Kinder die Möglichkeit haben, ihren eigenen Interessen und Bedürfnissen nachzugehen, selbst Entscheidungen zu treffen, das zu tun, was ihnen wirklich wichtig ist, wild mit anderen Kindern draußen zu toben oder sich auch ganz allein in das eigene Tun zu vertiefen. Nur ganz wenige Regeln sollten vereinbart werden: anderen nicht wehtun und sie nicht in ihrem Spiel stören. Freispiel gibt Kindern die Gelegenheit, ihre Neugier zu befriedigen und ihre Fantasie zu entfalten, die Zeit zu vergessen und alle Sinne einzusetzen, zu bauen, zu graben und zu matschen – ungestört und selbstbestimmt.

Freispiel ist wichtig, weil dies für ein Kind eine unersetzliche Erfahrung mit sich bringt, die es im Alltag außerhalb der Kita kaum mehr machen kann. Es erlebt Entscheidungsfreiheit und Selbstständigkeit, es kann sich mit einem selbst gewählten Thema beschäftigen, eigenaktiv und konsequent den einmal eingeschlagenen Weg verfolgen oder auch davon abweichen, den Sinn seiner Handlung selbst bestimmen. Da gibt es keine Erwachsenen (jedenfalls sollte es sie nicht geben), die zweifelnd kommentieren – „Was soll das denn werden?“ oder: „Was machst du denn da?“ – und damit den Sinn des kindlichen Tuns hinterfragen. Allerdings sollte sich ein Kind auch in seinem freien Spiel von der Fachkraft wahrgenommen, angenommen und ernst genommen fühlen. Es sollte Zuwendung, Wertschätzung und ihr Interesse an seiner Tätigkeit spüren. Für die Fachkraft selbst ist das Freispiel eine gute Gelegenheit zur Beobachtung, zum Erkennen der besonderen Fähigkeiten und Bedürfnisse der Kinder.

Name: Ramtin Kashef
Ort: Karlsruhe, Baden- Württemberg
Rolle:
Pädagoge

Freispiel bedeutet für mich den Kindern den Raum zur Selbstwirksamkeit zu geben.

Freispiel ist wichtig, weil sie im Freispiel eigenständig entscheiden, wann sie was, wo und wie lange mit Spielpartner*innen gleichen oder unterschiedlichen Alters spielen möchten. Eine vorbereitete Umgebung durch die Pädagog*innen ermöglicht den Kindern dabei einen Ausgleich zwischen eigenständigem Lernen und der Anregung von Lernprozessen innerhalb der unterschiedlichen Bildungsbereiche. Selbstwirksamkeit erfahren die Kinder dadurch, dass sie eigenständig ihre Umwelt erkunden, neu erworbene Kompetenzen praktizieren, ihre Kreativität und Fantasie ausleben sowie in die verschiedensten Rollen schlüpfen. Ergänzend dazu haben sie die Möglichkeit, altersangemessene Momente der Privatheit zu erfahren. Das unbeobachtete Spiel schafft diese Privatsphäre und lässt Kinder altersentsprechend Verantwortung übernehmen. Somit verbirgt sich für mich hinter dem Begriff mehr als nur die Annahme, dass Kinder ohne das Wirken von Erwachsenen frei spielen
Als Pädagoge sehe ich meine Aufgabe darin, die individuellen Interessen der Kinder zu beobachten, darauf aufbauend Bildungsangebote zu gestalten und damit ihre Entwicklung zu fördern. Dabei ist es mir wichtig, für die Kinder ein verlässlicher Partner zu sein und ihnen Halt zu geben, wenn sie ihn benötigen. Ich möchte es den Kindern auch ermöglichen, ihre Flügel auszubreiten, um frei zu explorieren und somit ihre Umwelt entdecken zu können.

Name: Tanja Hildmann
Ort: Wiesbaden, Hessen
Rolle: Kita-Leiterin

Freispiel bedeutet für mich die natürlichste und wertvollste Möglichkeit, die Kinder haben, um sich zu entwickeln sowie etwas über sich und das Leben zu lernen.

Freispiel ist wichtig, weil es die Zeit ist, in der sich Kinder ihren eigenen Themen, Interessen und Bedürfnissen widmen. Sie spielen Alltagsbeobachtungen nach und können dadurch eigene Erfahrungen sammeln und Erlebnisse aufarbeiten. Im Freispiel lernen sie viel über sich selbst und die soziale Interaktion und sammeln Materialerfahrungen. Sie werden auf natürliche Weise mit Frustrationen, Ablehnung, Aktion-Reaktion-Prozessen, Freude, Kommunikationsmustern, individuellen Verhaltensweisen, Streit und Lösungsfindungsprozessen konfrontiert.
Als Fachkraft habe ich die Chance, die Kinder während dieser Zeit zu beobachten. Erkenne ich, welchen Entwicklungsschritt das Kind bereit ist zu gehen oder welcher Bereich Unterstützung bedarf, kann ich das Material, die pädagogischen Angebote, ausliegende Literatur, mein persönliches Verhalten oder auch Gespräche mit dem Kind anpassen. Das Freispiel stellt keine gezwungene oder vorgegebene Situation durch Erwachsene dar und baut keinen Druck oder Versagensängste auf. Kinder müssen nicht zur Konzentration oder Wiederholung ermahnt werden, entscheiden selbstständig, was passiert und wann die Situation beendet wird. Dies sind optimale Bedingungen für eine positive Möglichkeit des Lernens. Bestücke ich das Freispiel nicht mit den entsprechenden Impulsen, kann es zur Belastungsprobe werden. Dann wird die Gruppe als zu laut, anstrengend oder auffällig streitbelastet wahrgenommen. Projekte, die den Kindern ein Zahlenverständnis, ein Gefühl für Sprache oder ein Umweltbewusstsein vermitteln, brauchen viel Vorbereitung, und ich verstehe gut, warum Kinder und auch Kolleg*innen manchmal frustriert oder überfordert sind.
Gestalte ich meinen Alltag bewusster, decke ich diese und weitere Bildungsbereiche bereits durch das Freispiel ab und gestalte einen frustfreien Tag mit vielen Beschäftigungsmöglichkeiten. Hier liegt der größte Gewinn für Kinder und Kolleg*innen.

Name: Jasmin Dufner
Ort:
Egelsbach, Hessen
Rolle:
Mama von zwei Jungen (4;6 und 2 Jahre alt)

Freispiel bedeutet für mich pure Fantasie und Kreativität, die ich gerne beobachte und über die ich immer wieder staune.

Freispiel ist wichtig, weil meine Kinder in eine ganz andere Welt eintauchen und dabei alles andere ausblenden. Wenn mein ältester Sohn mit seiner Holzeisenbahn spielt, baut er immer wieder etwas anderes mit ein und funktioniert es um. Dann landen Raumschiffe auf den Schienen oder Bahngleise werden in Kisten verpackt. Die Eisenbahnbrücke ist plötzlich ein Bauhof und der Müll muss in verschiedenen Containern sortiert werden. Er lässt die einzelnen Figuren sprechen. Manchmal unterbricht er das Spiel kurz, weil er eine Idee hat. Dann fragt er mich: „Mama, wo ist denn das kleine Nudelholz, mit dem wir Plätzchen gebacken haben? Das ist jetzt meine Straßenwalze.“
Mein fast 2-jähriger Sohn lässt gerne kleine Autos auf einer Rampe – einem langen und breiten Kabelkanal – herunterfahren. Er versucht es aber auch mit Legomännchen oder Bauklötzen und beobachtet genau, was passiert. Der runde Bauklotz rollt viel schneller als der eckige, der nur hinunterrutscht. Er sucht diesen einen speziellen Bauklotz mittlerweile bewusst aus. Oder er spielt mit der Arche Noah und lässt alle Tiere über die Rampe aufs Schiff steigen, während er die entsprechenden Geräusche macht. Wenn er versucht, in das Eisenbahnspiel seines Bruders einzusteigen, beobachtet er zunächst genau, was sein Bruder tut, und holt dann etwas, um mitzuspielen, auch wenn es nicht zur „klassischen“ Eisenbahnsituation passt. Sein Bruder ist allerdings nicht immer begeistert davon. Bei beiden Kindern besteht der Tag nach der Kita oder am Wochenende fast nur aus Freispiel.
Gemeinsam zu spielen, fällt meinen Kindern noch nicht so leicht. Ich agiere dann häufig als „Übersetzerin“ und erkläre meinem Sohn, was sein jüngerer Bruder meint, und umgekehrt. Beide sind noch sehr ungehalten, wenn etwas nicht so gelingt, wie sie sich das überlegt haben. Es kann auch passieren, dass sie das Spiel aus Frust beenden,

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