Die Gütergemeinschaft der BruderhofgemeindenWir teilen nicht unsere Zahnbürsten

Die Bruderhofgemeinden leben nach dem Vorbild der Jerusalemer Urgemeinde. Das bedeutet neben der gemeinschaftlichen Christusnachfolge auch, seinen Besitz zu teilen und seine Arbeitskraft in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen.

Bruderhof-Gemeinde
© Thurman Photography

Rosen- und Grünkohl oder Rote Bete: Auf dem großen Feld im niederösterreichischen Unternalb wächst gerade das Wintergemüse. Auf einigen der Anbauflächen stehen Folienhäuser. Ein paar Hühner, deren Stall ebenfalls auf dem Gelände seinen Platz hat, haben es geschafft, aus der Umzäunung zu schlüpfen, und sie laufen frei über das Feld. In ein paar Wochen werden einige von ihnen als Suppenhühner enden. Über mehrere Hektar erstreckt sich das Feld, das von weiteren landwirtschaftlich genutzten Flächen umgeben ist. Die Anbaufläche gehört dem Gutshof – und dieser wiederum wird von einer Bruderhofgemeinde betrieben. Unter dem Markennamen „Gutes vom Gutshof“ bauen die Mitglieder dieser neutäuferischen Bewegung regionales und saisonales Gemüse an, verkaufen es auf dem Markt oder als sogenanntes Gemüsekistel im Abo. Damit bestreiten sie ihren Lebensunterhalt.

Die Jerusalemer Urgemeinde dient als Vorbild

Bruderhofgemeinden richten ihr Leben am Vorbild der Jerusalemer Urgemeinde aus, wie es die Apostelgeschichte formuliert: „Keiner nannte etwas von dem, was er hatte, sein Eigentum, sondern sie hatten alles gemeinsam“ (Apg 4,33). Konkret bedeutet das: Die Mitglieder übergeben sämtliche Einkünfte und ihr Vermögen an die Gemeinschaft. Dafür erhalten sie das Notwendigste zum Leben, wie Verpflegung, Kleidung und Unterkunft. So steht es in den Grundlagen der Gemeinschaft, deren Gründung auf die Eheleute Eberhard und Emmy Arnold zurückgeht, die 1920 eine erste Bruderhofgemeinschaft in Hessen ins Leben riefen.

Auch ihre Arbeitskraft stellen die Mitglieder in den Dienst der Gemeinschaft. In einer Welt, in der Geld für viele Menschen entscheidend ist und Besitz Status definiert, wirkt das Lebenskonzept der Bruderhofgemeinden wie ein Relikt aus längst vergangener Zeit. Wie kann dieses Ideal in einer materialistisch geprägten und auf Individualisierung setzenden Gesellschaft gelebt werden?

„In gewisser Weise sind wir revolutionär, aber wir machen nichts Neues“, fasst es Simon Manke, der seit vielen Jahren Teil der Bruderhofgemeinschaft ist, zusammen. Gemeinsam mit seiner Frau und den vier Kindern lebt er mittlerweile auf dem alten Gutshof. Die Familie belegt eine Wohnung im oberen Bereich des alten Gutsgebäudes, mit eigener Küche, Badezimmer und Zimmern für die Kinder. Die Tochter erledigt am großen Esstisch ihre Hausaufgaben, der jüngste Sohn erzählt von seinem Tag in der Kinderbetreuung.

Es herrscht ein Kommen und Gehen. Simons Frau arbeitet derzeit auf dem Gelände und bereitet die Gemüsekisten für die Auslieferung vor. Simon vergleicht die gemeinschaftliche Lebensform gerne mit einem Kloster – nur eben mit Familien. Hinter der Wohnung der Mankes liegt ein Büro, in dem Erna – man duzt sich – unter anderem die Kundenanfragen bearbeitet. Jeder verfügt zwar über seinen eigenen Wohnbereich, doch die Türen stehen meistens offen. Dennoch gebe es die Möglichkeit, sich auch einmal zurückzuziehen und die eigene Tür zuzumachen, betont Erna.

Insgesamt leben aktuell etwa 25 Personen, darunter drei Familien und vier junge Erwachsene, auf dem Gutshof und in einem Teil des Retzer Dominikanerklosters im Nachbarort. Die kleinsten Kinder werden vor Ort betreut, sodass die Eltern ihrer Arbeit nachgehen können. Die anderen besuchen die örtliche Schule, einige studieren bereits im rund 80 Kilometer entfernten Wien. Simon wurde als einer der Ersten mit seiner Familie von der Gemeinschaft in die Neugründung im Retzer Land, unweit der tschechischen Grenze, geschickt. Denn auch das gehört zum Leben der Bruderhöfer dazu: die Bereitschaft, dorthin zu gehen, wo die Gemeinschaft einen braucht und hinschickt.

Simon hat deshalb schon in verschiedenen Bruderhofgemeinden in Amerika, England und Deutschland gelebt. „Man überlegt, was das Beste für alle ist – wie in einer Familie“, erzählt er. „Es kann befreiend sein, wenn man solche Entscheidungen nicht alleine treffen muss.“ Das Umziehen falle dennoch schwer, gerade auch den Kindern. Deshalb ist er froh, dass sich seine Kinder in dem neuen Land und mit der neuen Sprache schnell zurechtgefunden haben. Die Bruderhöfer sieht er als ein Netz von Gemeinschaften. „Man muss nicht immer ganz von vorne anfangen.“ Man habe eben viele Zuhause. „Und wir könnten auch immer wieder zurückkehren.“

Da man selbst keinen Besitz habe, sei ein Ortswechsel zudem deutlich einfacher als bei Menschen, die all ihr Hab und Gut zusammenpacken müssten. Auch Erna wurde erst vor Kurzem von der Gemeinschaft gebeten, auf den Gutshof zu ziehen. Zuletzt lebte sie in einer der New Yorker Communities. Jetzt wird ihre Unterstützung im Büro des Gutshofes gebraucht, da sie gut deutsch spricht. „Es ist wunderbar, da eingesetzt zu werden, wo man gebraucht wird“, erklärt sie.

Wer unter der Woche nicht zur Schule geht oder studiert, hilft auf dem Hof mit. Von der Anzucht über Aussaat, Ernte, Verkauf und Auslieferung ist alles Handarbeit. „Im Sommer treffen wir uns immer wieder auch zum gemeinschaftlichen Unkrautzupfen auf dem Feld“, erzählt Simon. Dieses gemeinschaftliche Arbeiten sieht er als Zeugnis der Nachfolge Christi. Erst mit der Zeit wird der Gutshof mit dem, was er erwirtschaftet, die Startkosten ausgleichen können. Bis dahin springen die anderen Bruderhofgemeinschaften ein – weltweit leben rund 3000 Mitglieder in 30 Siedlungen, die sich auf sieben Länder verteilen. Denn was für die einzelnen Bruderhöfe im Kleinen gilt, gilt auch für das gesamte Netz der Bewegung. Man unterstützt sich gegenseitig. „Am Ende teilen wir alles.“

Vollständiges Teilen von Besitz und Geld

Der Gütergemeinschaft die eigene Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen, sei für ihn normal, betont Simon. „Ich tue das aus einem tieferen Grund und stelle Jesus in die Mitte meines Tuns.“ Denn auch wenn das gemeinschaftliche Leben und der geteilte Besitz wichtige Bestandteile des Konzepts der Bruderhofgemeinden seien, „sind sie nicht der Mittelpunkt dieses Lebens“. „Jesus muss immer der Mittelpunkt sein und bleiben.“ Nur freiwillig, aus Überzeugung, aus einer inneren Freude und der Liebe zu Jesus, nicht aber aus Pflicht oder Zwang heraus könne ein Leben wie das der Bruderhöfer geführt werden.

Für Simon und die anderen Mitglieder manifestiert sich echte, ehrliche Christusnachfolge darin, dass sie die Gemeinschaft nicht nur auf die sonntägliche Gottesdienstfeier oder eine Bibelstunde beschränken. Simon vergleicht dies mit einem Ehepaar, das sich liebt. Es würde seine gelebte Gemeinschaft schließlich auch nicht nur auf ein paar Stunden in der Woche begrenzen. Es liege den Bruderhöfern aber fern, ihr Lebenskonzept als Ideal herauszustellen und sich damit über andere Christen zu stellen, betont Simon. „Allerdings muss sich jeder Christ fragen, wie die Nachfolge Christi gelebt werden kann.“

Für die Bruderhofgemeinden bedeutet echte christliche Gemeinschaft in der Konsequenz auch das vollständige Teilen von Besitz und Geld. „Wir wollen wirklich ehrlich teilen und uns nicht von Geld in Besitz nehmen lassen“, erläutert Simon. Viele hätten von diesem Leben auch eine falsche Vorstellung, gibt er zu bedenken. Es gebe auch Grenzen. „Wir teilen ja nicht unsere Zahnbürsten.“ Und Simon ergänzt: „Die Schuhe, die ich trage, wird morgen nicht plötzlich jemand anderes tragen. Sie gehören schon mir.“

Ansonsten aber wird geteilt: drei Autos, darunter ein kleiner Lieferwagen, mit dem die Gemüsekisten zu den Abholstationen transportiert werden, stehen den Mitgliedern zur Verfügung. Den Schlüssel dafür kann man sich im Büro abholen. In einem eigenen Waschraum steht eine große Industriewaschmaschine, die von allen benutzt wird. Über notwendige Anschaffungen wird gemeinsam diskutiert und entschieden. „Wir geben alle das Geld in den gemeinsamen Topf und bekommen das, was wir brauchen.“

So hat sich Simons mittlerer Sohn kürzlich einen kleinen E-Scooter angeschafft. Sein Schulweg vom Bahnhof zur Schule sei so lang, dass er immer nur sehr knapp pünktlich zum Unterreicht erscheine, wenn er zu Fuß gehe. Eine Jahreskarte für die Fahrradmitnahme im Zug sei teuer. „Und das Geld ist am Ende dann weg und man hat nicht wirklich etwas davon.“ Da entstand die Idee mit dem Roller. „Mein Sohn hat das unserem Verwalter vorgestellt und ihn überzeugt, dass die Investition in den E-Scooter in diesem Fall nachhaltiger ist.“

Da niemand ein monatliches Taschengeld erhält, müssen alle beim Verwalter anfragen, wenn sie Geld benötigen – sei es Geld für den Opernbesuch der Tochter oder sei es, dass der Sohn in der Schule gerne ein paar Euro in der Tasche hat. Der Lebensmitteleinkauf wird ebenfalls zentral von den entsprechenden Verantwortlichen organisiert. Eine Grundausstattung an Nahrungsmitteln, aus der man sich bedienen kann, ist immer vorhanden. Wer darüber hinaus Wünsche hat, muss diese dem Einkaufsteam mitteilen. Das bedeute für die Mitglieder auch, zu wissen, was sie wirklich brauchen.

„Man kann schon recht lange ohne eigenes Geld auskommen“, so Simon. Man müsse aber aufpassen, dass man den Wert des Geldes nicht aus dem Blick verliere und es für selbstverständlich halte. Das könne passieren, da man ja rundherum versorgt werde und sich nicht jeder selbst mit den finanziellen Angelegenheiten auseinandersetzen müsse. Simon betont, wie wichtig in diesem Zusammenhang Transparenz sei. Jedes Mitglied könne stets beim Verwalter Einblick in die Finanzlage erhalten.

Ganz ohne Geld geht es allerdings dann doch nicht, „wir sind schließlich in die konkrete Welt eingebunden. Wir brauchen Geld, aber nicht, um es uns damit gemütlich zu machen.“ Neben der finanziellen Unterstützung anderer Bruderhofgemeinschaften wird deshalb immer wieder auch an Hilfsorganisationen gespendet.

Auf Außenstehende wirkt diese Lebensweise nicht selten befremdlich. Die Bruderhofgemeinden kennen deshalb auch Anfeindungen. Doch im neuen Zuhause in Niederösterreich habe man schnell gute Kontakte zu den Nachbarn geknüpft und sei insgesamt sehr herzlich in der Stadt aufgenommen worden. „Darüber sind wir sehr froh.“

Neben dem Teilen von Besitz, Geld und Arbeitskraft beinhaltet das Leben auf dem Bruderhof auch das tägliche Zusammenkommen in der Gemeinschaft. Abends kocht ein Teil der Mitglieder im geräumigen Aufenthaltsraum, der auch als Speisesaal dient. Hier finden sich alle, die aktuell auf dem Hof sind, am großen Tisch zum gemeinsamen Abendessen ein. Im Kaminofen prasselt ein Feuer. Es wird ein Tischgebet gesungen, dann machen sich alle über das Abendessen her, das nicht selten aus dem selbst angebauten Gemüse besteht. „Da ist sicherlich nicht jeden Tag immer mein Lieblingsessen dabei, dafür muss ich mir nicht jeden Tag Gedanken darüber machen, was ich koche“, so Simon. Anschließend treffen sich die Erwachsenen oft, um entweder über Angelegenheiten der Gemeinschaft zu sprechen oder um sich über theologische Fragen auszutauschen. Es wird aber auch gemeinsam gespielt oder gebacken.

Dass die Bruderhofgemeinde in Niederösterreich und auf dem Gutshof gelandet ist, daran hat auch der Wiener Erzbischof Christoph Schönborn einen Anteil. „Eigentlich wollten wir gar nicht in diese Region“, gesteht Simon. Ursprünglich sei eine Ansiedlung am Bodensee angedacht gewesen. 2017 wurde der Bruderhof durch den Verein „Weg der Versöhnung“, der sich für eine vertiefte Ökumene einsetzt, eingeladen, eine Täufergemeinschaft in Österreich zu gründen. Diese Einladung kam überraschend. Sie fiel allerdings gerade in eine Zeit, in der die Bruderhöfer eine größere Gemeinschaft im deutschsprachigen Raum etablieren wollten.

Es schließt sich ein Kreis

Also lotete man die Möglichkeiten in Österreich aus und suchte dort nach einem entsprechenden Ort. Man hatte noch gar nicht richtig mit der Suche begonnen, als der Wiener Kardinal einen Vorschlag machte: Er wusste, dass der ehemalige Kloster-Gutshof des Retzer Dominikanerklosters, in dem er sich einen Alterssitz eingerichtet hat, eine neue Verwendung suchte. Er wies die Gemeinschaft darauf hin. „Es war nicht genau das, was wir suchten, weil es eigentlich viel zu klein ist“, erzählt Simon. Doch die zum Hof gehörende landwirtschaftliche Fläche war ein Pluspunkt für den Standort. „Es wird auch nicht endgültig unser einziger Platz in Österreich bleiben.“ Doch man sei sich damals schnell einig gewesen, erst einmal in Unternalb anzufangen.

Mittlerweile haben die Bruderhöfer auch einen Standort gefunden, an dem sie eine größere Gemeinschaft etablieren wollen: Im ehemaligen Kloster der Franziskanerinnen-Missionarinnen Mariens im Wienerwald sollen Lebensraum und Arbeitsplätze für etwa 150 Bewohnerinnen und Bewohner entstehen. Hier soll dann auch ein Kindergarten und eine Schule gegründet werden.

Als „Fügung Gottes“ bezeichnet es aber Simon, dass die Bruderhöfer ausgerechnet in Unternalb gelandet sind. „Er hat uns hierhergeführt, da mussten wir ihm einfach folgen.“ Zumal sich so ein Kreis schließt. Nach der Vertreibung der Hutterer im 16. und 17. Jahrhundert aus der Region konnte nach 400 Jahren mit dem Bruderhof wieder eine Täufergemeinschaft auf österreichischem Boden angesiedelt werden.

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