Dante, die Göttliche Komödie und die PäpsteGott straft auch seine Stellvertreter

Im vergangenen März veröffentlichte Papst Franziskus ein Apostolisches Schreiben zum 700. Todestag Dante Alighieris und lobte ihn als „Propheten der Hoffnung“. Derweil begegnen in der Göttlichen Komödie eine ganze Reihe von Päpsten – in der Hölle. Die Lektüre des Werkes ist unbedingt empfehlenswert, denn hier werden selbst die abscheulichsten Strafen zum Lesegenuss.

Statue von Dante
© Pixabay

Sollten Sie ein Lesefex sein, eine komplexe Lektüre nicht scheuen und Dante Alighieris „Göttliche Komödie“ noch nicht kennen, dann rate ich Ihnen unbedingt dazu, sich diesem einzigartigen Langgedicht zu widmen. Vermutlich sind etliche von Ihnen im Italienischen nicht so gut zuhause, dass Sie das Buch schlankweg im Original lesen könnten.

Wenn dem so ist, dann besorgen Sie sich bitte die Übersetzung von „Philaletes“, dem König Johann von Sachsen, der Mitte des 19. Jahrhunderts eine fulminante Übersetzung geliefert hat, die bis heute Gültigkeit besitzt. Sie weicht allerdings in einer Hinsicht vom Original ab, denn sie bedient sich des Reimschemas des Hexameters. Das Original ist in Terzinen verfasst. In seinem Schloss in Dresden lud Johann zu den ersten Dante-Tagungen über die Commedia ein; er versuchte, an Schriften aus der Dante-Zeit heranzukommen, um ein kleines Museum aufzubauen.

Dante in seinen Übersetzungen ins Deutsche

Im Übersetzen der Commedia führt die deutsche Sprache die Weltrangliste an. Es gibt sage und schreibe über fünfzig Komplettübersetzungen und siebenundzwanzig Teilübersetzungen, darunter einige herausragende.

Im 20. Jahrhundert hagelte es dann weitere Übersetzungen. Berühmt ist die Teilübersetzung von Stefan George, gehüllt in ein samtenes Dunkeldeutsch – sie klingt hervorragend, wenn man bereit ist, einem Übersetzer von Gedichten größtmögliche Freiheit zuzugestehen, um ein fremdes Werk gekonnt in die eigene Sprache zu schmuggeln. George trug die Verse Dantes wie ein Priester in abgedunkelten Räumen vor, erleuchtet von einer einzigen Kerze, die auf seinem Tisch stand.

Hochinteressant, aber ziemlich irrwitzig ist die Übersetzung von Rudolf Borchardt in einem erfundenen Deutsch, die sich an provenzalischen Klängen orientiert; zugleich versuchte der Dichter Borchardt, den Vokalreigen des Italienischen ins Deutsche zu übertragen. Die Übersetzung klingt wunderbar, ist aber aufgrund der zahlreichen erfundenen Wörter recht eigenartig, vor allem muss man die Commedia kennen, um den Text wirklich zu verstehen. Borchardt lebte in den Dreißigerjahren in Oberitalien. Ihm gelang es, eine Audienz bei Mussolini in Rom zu erwirken, um dem Duce seine Übersetzung zu überreichen. Die Szene ist von hoher Komik. Als Mussolini die schwere Diktatorenfaust auf das Buch niedersenkte, war Borchardt davon überzeugt, der Duce habe ad hoc alles, aber auch wirklich alles begriffen, was in dem Buch stand (und das bei einer Übersetzung, bei der selbst gebildete Deutsche sich schwer damit tun, in der Lektüre glücklich bis ans Ende zu gelangen). Dies ist eine der komischsten Anekdoten in der ellenlangen Geschichte der Literatur. Sie lehrt einen, dass selbst ein hochgebildeter Mensch sich so sehr in seiner Eitelkeit verfranzen kann, dass er beim staunenden Publikum nur noch schallendes Gelächter erntet.

Trost in entsetzlicher Not

Eine außerordentlich Wirkung hat Dantes Commedia während der russischen Verfolgung unter Stalin, aber sogar in den deutschen Konzentrationslagern und in einigen Kriegsgefangenenlagern der deutschen Wehrmacht in Italien erfahren. Sofern sie gebildet waren und die Commedia in glücklichen Tagen kennenlernen durften, kamen sie in ihrer entsetzlichen Not auf sie zurück. Die auf grausame Weise Inhaftieren fanden den einzigen Vergleichsstoff zu ihrem eigenen mörderischen Schicksal in Dantes Großgedicht. Ossip Mandelstam war ein begnadeter Dante-Kenner, der die Commedia im Original lesen konnte und in hoher Not herzergreifend darüber schrieb. Primo Levis Notate, Dante betreffend, sind in Italien bekannt. Kurios wirken manche Aufzeichnungen aus den von Deutschen eingerichteten Kriegsgefangenlagern in Italien. So manch gebildeter Professor hielt dort bei gut Wetter nach freier Rezitation von Dante-Versen regelrechte Colloquien für seine Mitgefangenen ab. Natürlich kam dabei hauptsächlich das Inferno zur Sprache. Die schwer leidenden Menschen sahen sich selbst schuldlos in eine Hölle versetzt und widmeten sich einem Text, der von extremen körperlichen Zumutungen handelt – ein einzigartiger Vorgang in der Geschichte der Literatur.

Straftheater von ausgeklügelter Grausamkeit

Damit sind wir in der ersten Abteilung der Commedia gelandet, dem bis heute am ausgiebigsten kommentierten und in modernen Fassungen immer wieder neu interpretierten Teil des Werks. Schier unendlich oft hat die Commedia eigenwillige Nachbearbeitungen erfahren, außerdem segeln viele Roman- und Filmstoffe unter ihrem mächtigen Geleitschutz. Offensichtlich vermögen die Gräuel der Hölle noch immer zu schockieren, ihr Straftheater ist von ausgeklügelter Grausamkeit und wird an toten Scheinleibern verübt, doch deren sichtbare Leibkomposite verspüren die Qualen genau so heftig wie habhafte Leiber aus Fleisch und Blut. An Haken aufgehängt sein, ständig Wasser saufen müssen, in einen blutführenden Fluss untergetaucht oder von Windfurien gejagt, unablässig ertränkt und mit allen möglichen Folterwerkzeugen gepeinigt werden, ständig fressen müssen, sich sogar gegenseitig aufzufressen, ohne satt zu werden, gezwungen sein, in engem Geklüft herumzusteigen, von Schlangen umwickelt und schier erdrosselt werden, unendliche Feuerqualen erdulden müssen, weil der Scheinleib die Schmerzen zwar spürt, er aber vom Feuer nicht aufgezehrt werden kann – solcherart sind die grausamen Schicksale der Höllenbewohner beschaffen. Ihre Qualen finden kein Ende, jedenfalls kein erkennbares. Vielleicht werden sie ein Ende finden, wenn Äonen an Zeit verflossen sind, aber ob sie dann des Gnadenschatzes teilhaftig werden können, der den im Purgatorium befindlichen, will heißen, den erlösungsfähigen, minder bösen Seelen als Verheißung zugesprochen ist, das dürfte mehr als fraglich, eigentlich ausgeschlossen sein.

Weil Dante sein fulminantes dichterisches Können aufbietet, um uns die Hölle möglichst grell, möglichst finster, möglichst abscheulich vor die Augen und Ohren zu führen, so dass die darin Eingesperrten sich möglichst bösartig und verzweifelt in unserem Gedächtnis festsetzen, bietet gerade sie einen immensen Lesegenuss, durchaus auch für Leser, die nicht sonderlich sadistisch gepolt sind. Die Verse sind einfach zu schön, ihr Vokalreigen bezaubert, und damit wird das fulminante Bosheitstheater hinterrücks konterkariert. Unerbittlich schreitet das Poem im Dreischritt der Terzinen voran und klopft dabei zugleich ein wenig an die Pforte des Himmels, den hoch oben, im sternenbesäten Dach des Äthers waltet die lächelnde Dreifaltigkeit vor, gebildet aus Vater, Sohn und Heiligem Geist.

Überhaupt die Drei! Drei Teile der Commedia, dreiunddreißig Verse pro Kapitel (mit Ausnahme des ersten, in dem die Einführung in den gesamten Text untergebracht ist), und dann, wie gesagt, der Dreiklang der Terzinen!

Dante verstand viel davon, wie Menschen scheitern, wie sie sich in ihrer Bosheit verstricken, sehr oft zu ihrem eigenen Unheil schon im Diesseits, nicht erst in der ausgeklügelten Strafinstution Hölle, in der sie nach ihrem Ableben zur Vergeltung gepeinigt werden. Strafe dient eigentlich der moralischen Besserung, allerdings versagt diese bei den schweren Sündern. Sie kann nur im Purgatorium gelingen, bei den minder schweren Sündern, die einen unerbittlichen Spiegel vorgehalten bekommen, in dem sie ihre Verfehlungen betrachten und zur Einkehr aufgerufen werden. In der Hölle schreien viele der dort Gefangenen ihren bösen Unflat heraus, als müssten sie ihn unentwegt erbrechen, im Purgatorium zittern die Seelen ihren Strafen entgegen, wiewohl für sie das Versprechen der himmlischen Erlösung gilt.

Ein Papst ist kein gewöhnlicher Sünder

Allerdings haftet einigen der Höllenbewohner Edelmut an. Gleich eingangs, im berühmten Canto V über die hochmögenden Ehebrecher Francesca und Paolo, kommt der Edelmut der berückenden Frauenseele so wortschön zum Ausdruck, dass Dante angesichts des harten Strafgerichts, das über die Liebenden verhängt ist, in Ohnmacht fällt. (Ein geschickter Schachzug, denn im mitleidigen Dante keimt die Empörung über die Härte des Gerichts; um nicht zum Ankläger Gottes zu werden, fällt er in Ohnmacht.)

Es geht überaus geordnet zu in der Commedia, nicht nur aufgrund der strikten Zahlenmystik ihres dreiteiligen Aufbaus. Dabei ist ein ganzer Kosmos eingefangen, anhand dessen die Vorstellungen über die damalige europäische Welt und deren Kenntnisse aufgegriffen und poetisch erläutert werden. Leibgenau in einem übertragenen Sinn antworten die Strafen auf die Taten der einstigen Frevler. Politik, Religion, zeitgenössisches Geschichts- und Naturwissen und nicht zuletzt ein subtiles Heilswissen, sie greifen ineinander.

Im Zentrum der Angriffe Dantes steht dabei immer wieder das Papsttum, wie es durch Clemens V. (1305–1314) und Johannes XXII. (1316–1334) verkörpert wurde, ihn reizte insbesondere Bonifaz VIII. (1294–1303), der im Verdacht der Ketzerei stand und indirekt mit der Vertreibung Dantes aus seiner Heimatstadt Florenz in Verbindung stand. Die Bedeutung des Papsttums als einer ebenbürtigen, notfalls auch korrigierenden Instanz zur Monarchie, zweifelte der Dichter keineswegs an, ihn schockierte das verweltlichte Betragen einiger Päpste, die ihre Ämter zur persönlichen Bereicherung nutzten anstatt die ihnen auferlegte herzinnige Armutspflege im Geiste Christi zu betreiben.

Dabei störte er sich nicht an der den Päpsten in ihre Hände gegebenen Machtfülle, im Gegenteil, er prangerte an, dass sie diese missbrauchten, indem sie gegen den ihnen gegebenen Auftrag verstießen, eine besitzlose und liebreiche Geistkirche zu verkörpern und damit fünkchenweise etwas von der edlen Potenz der Wirkmacht Gottes auf Erden in ihren Taten zu verkörpern.

Wem eine solche Machtfülle in die Hände gegeben ist, gleichsam mit Brief und Siegel als Gottes Stellvertreter auf Erden zu wirken, dessen Schicksal ragt weit über das Schicksal gewöhnlicher Menschen hinaus. Einem Papst ist eine ganz besondere Verantwortung in die Hände gelegt, für das Christentum zu bürgen und über es zu wachen. Versäumt er seine Pflicht, tritt er sie gar mit Füßen, kommt Unheil über das Christentum, besonders aber über die hochgestellte Person selbst. Ein Papst agiert nicht als ein gewöhnlicher Sünder, verletzt er seine Amtspflichten, wiegt sein Vergehen schwer. Hier gilt ein anderes Maß als bei einem armen Schlucker, der vielleicht aus Verzweiflung ein Verbrechen begeht. Die Würde des Amtes steht im Falle der Verfehlung in direktem Bezug zur Schwere der Strafe, die auf den Amtsinhaber wartet, sobald er die diesseitige Welt verlassen muss.

Die Päpste, die Dante hasste, waren keine Vorbilder für ihn, sie verschleuderten die kapitale Erbschaft des Christentums, die von der armen nackten Blöße des Menschen vor Gott spricht, vor den er bar jeglicher weltlichen Bedeutung und Verkleidung hintreten muss, um seinen wahren Lohn zu empfangen, sei es im Himmelreich oder in der Hölle. Wenn das Christentum von oben her, von seinen päpstlichen Köpfen her, verfault, ist großer Schaden angerichtet. Der Prunk der Päpste, der Dante in die Augen stach, stank zum Himmel. Die Bestrafungsenergie, die den Dichter bisweilen wie einen tollwütigen Hund befiel (man verzeihe mir diesen unpassenden Vergleich, denn seine wohlgesetzten Worte sind ein immenses Gegengewicht zu seiner Rachsucht), sie ist enorm, und sie vergeht sich so gut wie an jedem Leibfitzel eines Menschen, an dem sie durchexerziert werden muss.

Die Bedeutung der Heilsgeschichte in den Köpfen verankern

Vielleicht kann man das ungeheuerliche Großgedicht Dantes sogar als einen verzweifelten Versuch werten, die Bedeutung der Heilsgeschichte wieder nachdrücklich in den Köpfen seiner Leser zu verankern. Damit schmaust dieses hinreißende Poem an der göttlichen Vorsehung, und wer Augen hat zu lesen und ein Herz zu fühlen, der soll nach dem Wunsch des Dichters in einem von der Lektüre gewährten Gnadenakt gestärkt daraus hervorgehen. Also wohlan, seien Sie ein Lesefex und knabbern Sie an den innigen Lektürebröseln, die direkt vom Himmelreich auf Sie herabfallen, selbst wenn sie von der Hölle handeln!

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