Das Fest der Geburt JesuKein fauler Weihnachtszauber!

Damit Weihnachten Bedeutung hat, muss seine Botschaft konkrete Folgen haben, fordert ein ungewöhnliches Weihnachtsbuch.

In den Innenstädten kann man sich dem Sog dieser Tage kaum entziehen. Die Lichterketten und bunten Schleifen, der Kunstschnee in den Schaufenstern, die Glühwein- und Lebkuchenstände lassen keinen Zweifel: Es geht schnurstracks auf Weihnachten zu. Oder präziser: Die meisten Menschen sind bereits jetzt in Weihnachtsstimmung – allenfalls der ersehnte Urlaub und das Wiedersehen mit der Familie fehlen noch zum vollen Genuss. In der breiten Gesellschaft sind die Grenzen zwischen Vorweihnachtszeit und dem eigentlichen Fest längst verschwommen.

Für die Kirche beginnt dagegen gerade der Advent, vier Wochen der inneren Vorbereitung, der Erwartung und Umkehr. Aber auch hier gilt: Weihnachten kommt sicher – alle Jahre wieder und auch dieses Jahr.

Gegen diese Gewissheit stellt sich nun das ebenso bemerkenswerte wie wichtige Buch Weihnachten kann erst werden, wenn … Wie die Nacht wieder heilig wird. Es konfrontiert das Fest der Menschwerdung Gottes mit dem gegenwärtigen, teils so hässlichen Angesicht der katholischen Kirche und stellt die Frage, ob Krippenidylle und Erlösungshoffnung ausreichen, um die tiefen Wunden zu überdecken – oder gar zu heilen –, die Menschen in der Kirche durch verschiedenste Formen von Diskriminierung, Machtmissbrauch und sexueller Gewalt zugefügt wurden.

Die „erst-wenn“-Verbindung im Titel legt die Antwort bereits nahe: Nein, mit weihnachtlichem Wohlgefühl kann und darf es angesichts der unzähligen Verletzungen und der tiefsitzenden Kirchenkrise nicht getan sein. Und so ringt der Band in zwanzig Einzelbeiträgen um die Bedingungen, unter denen die Weihnachtsbotschaft neu zu ihrem Recht kommen kann – für die Kirche als Institution, theologisch angesichts der Fraglichkeit eines liebenden Gottes und vor allem individuell für jene, die Leid erfahren haben.

Herausgegeben hat Weihnachten kann erst werden, wenn … die Redaktion von y-nachten.de, einem 2016 gegründeten theologischen Blog. Das Ypsilon steht für die Generation Y, die mit ihrem ständigen Why? (Warum?) hinter die Dinge schaut und gesellschaftliche Selbstverständlichkeiten in Frage stellt. Bezogen auf Weihnachten bedeutet das: niemandem ein harmonisches Fest verbieten, aber auch die Kirchenkritik „zwischen Gaudete, Glanz und Gloria“ nicht auf Pause stellen. „Widerspruch aus Loyalität“ nennt das das Redaktionsteam in Anlehnung an einen Text des Jesuiten Klaus Mertes.

Und dieses Konzept geht auf: Die Texte des Sammelbands verbindet eine tiefe Sehnsucht nach der Glaubenserfahrung, die das Weihnachtsfest verspricht – von Gott angenommen zu sein, in aller Verletzlichkeit der eigenen Identität. Gerade dieses Am-Glauben-festhalten- oder Zum-Glauben-zurückfinden-Wollen ist der Ansporn, aus dem heraus die Autorinnen und Autoren ihre Kritik am Machtsystem der Kirche sowie an den korrumpierten theologischen Grundannahmen, die es stützen, formulieren. „Diese Perspektive“, so hält die Redaktion fest, „darf sich auf Jesus von Nazaret berufen: Er ist es, der in den Gepflogenheiten seiner Zeit irritiert, der Unbequemes sagt, der diejenigen zu Wort kommen lässt, die viel zu selten gehört werden, nicht um das System zu stürzen, sondern um Gerechtigkeit darin herzustellen und für ein gutes Leben einzustehen.“

Bemerkenswert ist Weihnachten kann erst werden, wenn … insbesondere deshalb, weil sich hier eine junge Generation von Theologinnen und Theologen zu Wort meldet, der vom reformskeptischen Chor der Neuevangelisierungsfans gerne vorgeworfen wird, dass sie ohnehin nicht mehr am Glauben interessiert sei. Allen Unkenrufen und widerständigen Erfahrungen zum Trotz spricht aber gerade aus dieser wissenschaftlichen Nachwuchsgeneration ein eindrucksvolles Ringen um die eigene, teils schmerzhaft entrissene Glaubens- und Kirchenheimat.

Thematisch behandelt das Buch unterschiedlichste Erfahrungen von Ausgrenzung und Machtmissbrauch innerhalb der Kirche – mal in sehr persönlich erzählendem Stil, mal eher als biblische Meditation oder Sozialanalyse der hierarchischen Kirche. Immer auf der Suche nach übersehenen oder verschütteten Aspekten des Weihnachtsfests, die der Kirche helfen könnten, ein gerechterer und betroffenensensiblerer Ort zu werden. Und immer mit einem Maß an theologischem Tiefgang und menschlicher Einfühlsamkeit, das so manche Predigt schmerzlich vermissen lässt.

So schöpft etwa die Klinikseelsorgerin Monika Amlinger aus dem Motiv der Gottesgeburt in jedem einzelnen Menschen die Kraft, für ihre Berufung als Priesterin einzustehen. Die Sozialpädagogin Stephanie Butenkemper beschreibt ihre Erfahrung spirituellen Missbrauchs in einer geistlichen Gemeinschaft und den Weg aus der Abhängigkeit als bedrückenden Advent: „Die Zeit des Wartens und Ausharrens in der Dunkelheit. Fast fünf lange Jahre.“ Und schließlich ihr persönliches Weihnachtswunder: Die kirchlichen Verantwortlichen glauben ihr, andere Betroffene stützen ihre Schilderungen und die Gemeinschaft wird aufgelöst. Für Butenkemper konnte nach leidvollen Erfahrungen wieder Weihnachten werden, weil sie sich wahrgenommen fühlte. Viele Betroffene würden in der Kirche aber auch heute noch ignoriert. „Allzu oft haben sie einen langen Weg des ‚Nicht-gehört- und Nicht-verstanden-Werdens‘ hinter sich. Einen zu langen Advent, bei dem die Hoffnung und manchmal auch der Glaube bereits gestorben sind.“

Die Pastoralreferentin Ute Garth schreibt über die subtile Diskriminierung, in der Kirche ständig den eigenen Platz suchen zu müssen – und das ganz wörtlich etwa beim Firmgottesdienst, den sie monatelang vorbereitet hat und als Frau letztendlich trotzdem nur vom Rand aus mitfeiern kann. In der Weihnachtsgeschichte entdeckt sie das Potential, klerikale Platzzuweisungen zu hinterfragen. Denn: „Da ist für alle ein Platz, und welcher das ist – dies zeigt sich auch mit Blick auf den Geburtsort Jesu –, entscheidet sich nicht in erster Linie an systemüblichen hierarchischen Strukturen und Gepflogenheiten.“

Mara Klein ist Mitglied der Synodalversammlung des Synodalen Wegs und schaut als nicht-binäre Person „durch mehrere gläserne Wände“ auf das Kind in der Krippe: einen weißen, heterosexuell imaginierten Cis-Knaben, der kaum Identifikationsmöglichkeit für Menschen biete, die sich jenseits der Zweigeschlechtlichkeit verordnen. „Im Anfang war kein Wort für mich“, fasst Klein dieses Gefühl zusammen, in den biblischen Geschichten nicht vorzukommen. Die vom Lehramt im Modus „einer letzt- oder alleingültigen Auslegung des göttlichen Schöpferwillens“ vorgetragene Anthropologie einer ausschließlichen Zweigeschlechtlichkeit führe im schlimmsten Fall bis zu erzwungenen geschlechtsangleichenden Operationen intersexueller Menschen. Dabei gebe es durchaus exegetische Auslegungsansätze, mit denen sich binäre Verengungen wie männlich/weiblich, weiß/of colour oder Körper/Geist überwinden ließen: „G*tt ist grenzüberschreitend, G*tt ist dazwischen, G*tt ist alles, wofür wir noch keine Worte haben und was wir uns nicht vorstellen können.“

In weiteren Beiträgen fordert unter anderen der BDKJ-Vorsitzende Gregor Podschun eine Rückbesinnung auf die befreienden Grundlinien des Evangeliums. Die Philosophin Doris Reisinger erinnert an die Stimme der Prophetie, die sich auf die Seite der Schwachen und Marginalisierten gegen Täternarrative stellt. CIG-Redakteurin Johanna Beck setzt angesichts von Herbergssuche und Kreuzestodes auf die „Macht der Verletzlichkeit“, #OutInChurch-Mitglied Raphaela Soden kritisiert heteronormative Bräuche im Umfeld des Weihnachtsfests und die Theologin Marita Wagner entwirft ein Bild der Weltkirche als Liebesgemeinschaft gegen rassistische Strukturen.

Eines sticht bereits beim flüchtigen Blick in das Inhaltsverzeichnis ins Auge: Die Autorinnen sind bei Weihnachten kann erst werden, wenn … in der deutlichen Überzahl. Dass diese Gewichtung so unmittelbar auffällt, zeigt, wie wichtig es ist, weiblichen Stimmen in Kirche und Theologie mehr Gehör zu verschaffen – und wie sehr dieses oft im Mund geführte Anliegen bisher leeres Versprechen geblieben ist. Die überwiegende Autorinnenschaft des y-nachten-Buchs schlägt sich denn auch in Inhalt und Stil nieder: Hier wird bei aller Schonungslosigkeit nicht gepoltert, nicht von oben herab doziert oder abfällig geurteilt.

Das gilt insbesondere auch im Umgang mit gendersensibler Sprache und kreativen Gottesbezeichnungen. Die Vielfalt und der spielerische Umgang mit verschiedensten Schreibweisen widerlegen ganz beiläufig den von konservativer Seite oft erhobenen Vorwurf, man wolle den Menschen eine politisch korrekte Sprache vorschreiben. Vielmehr zeigen die jungen Theologinnen und Theologen eindrucksvoll, dass unsere denkerischen und sprachlichen Möglichkeiten in Bezug auf Gott, Glaube und Gesellschaft noch längst nicht ausgeschöpft sind.

Kann man sich dieses ungewöhnliche Weihnachtsbuch also zumuten in einer ohnehin schon krisengeschüttelten Zeit? Ja, man kann und sollte! Ohne Zweifel bringt es dissonante Töne in die vorweihnachtliche Idylle, wie die Redaktion ankündigt. Aber gerade dieses theologisch wie emotional aufrüttelnde Störfeuer kann zu einem vertieften Verständnis dessen führen, was Christen in der Menschwerdung Gottes feiern. Damit Weihnachten kein fauler Zauber wird, sondern ein Fest, dessen befreiende und bestärkende Botschaft alle Menschen erreicht.

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y-nachten.de (Hg.)

WEIHNACHTEN KANN ERST WERDEN, WENN...Wie die Nacht wieder heilig wird

Verlag Herder, Freiburg 2022, 192 Seiten, 20 €