Gottesdienst in Gebärdensprache: Den Worten Flügel verleihen

Ich finde ebenfalls die Gebärdensprache als sehr bereichernd auch um theologische Begriffe zu veranschaulichen. Wenn der Bibeltext in Gebärdensprache vorgetragen wird, dann wird die Szenerie lebendig. Das fehlt oft in unserer "hörenden" Art Gottesdienste zu feiern, wo die Ästhetik und Erhabenheit der LIturgie oft im Vordergrund steht. Allerdings halte ich es für wichtig, dass alle Gläubigen, auch taube Menschen sich selbst einbringen können in den Gottesdienst. So können wir einander bereichern und neue Ausdrucksweisen finden. Ein in Gebärdensprache übersetzter Gottesdienst ist erst ein Anfang, aber noch keine Inklusion.
Für mich als Gehörlosenseelsorgerin ist es auch spannend mit tauben Menschen die religiöse Sprachform weiterzuentwickeln.

Aus meiner langjährigen Praxis als Pfarrer der Trierer Gehörlosengemeinde und im Bereich einer inklusiven Seelsorge und Gemeindearbeit möchte ich noch ein paar Gedanken ergänzen.

Inklusiv Gottesdienst feiern bedeutet, dass alle eine möglichst aktive Rolle in der Feier übernehmen. Das bedeutet nicht, einen Gottesdienst für eine andere Sprachgruppe zu übersetzen - oder mit Untertiteln zu versehen. Das wäre vielleicht ein "integrativer Gottesdienst". Sicher ist es gut, wenn lautsprachliche Gottesdienste für gebärdensprachlichen Menschen zugänglich gemacht werden. Aus verschiedenen Gründen kommt man dabei aber schnell an Grenzen.

Der Artikel lenkt die Aufmerksamkeit auf die Gebärdensprache, aus der Sicht einer Person, die hört. Das ist nachvollziehbar. Gebärdensprache kann einen noch so langweiligen Gottesdienst interessant machen. Dennoch ist das nur eine Perspektive, und noch nicht mal die entscheidende.

Menschen, die Gebärdensprache als Muttersprache nutzen, haben eine ganz andere Perspektive auf einen Gottesdienst. Da ist die Gebärdensprache kein interessantes zusätzliches ästhetisches Mittel der Darstellung, sondern die Verkehrssprache - mit Gott und miteinander. Für die Nicht-Gebärdensprachler*innen muss genau das deutlich werden. Alles, was nicht zu sehen oder zu riechen ist, gibt es nicht. Von daher kann in einem inklusiven Gottesdienst die Musik keine dominante Rolle spielen. Sie muss aber auch nicht ausfallen... es gibt kreative Möglichkeiten der Umsetzung....

Es ist notwendig, dass gebärdensprachliche Menschen selbst Texte und ggf. auch Lieder gebärden - auch wenn Dolmetscher*innen je nach Kompetenz möglicherweise eine ansprechendere visuelle "Übersetzung" anbieten. Gerade bei den Liedern ist z. B. eine unserer tauben Kantor*innen immer wieder enttäuscht, wenn der gebärdensprachliche Vortrag nicht "ton-genau" mit dem gesungenen Vortrag endet.
Das ist überhaupt nicht notwendig - und im Zweifel nur für die Hörenden schön. Für die Gehörlosen muss es darum gehen, dass das Lied intensiv und erlebnisreich vorgetragen wird - was die Hörenden in der Zwischenzeit tun, ist nicht so wichtig.

Ab und zu gibt es auch mal ein Gebärdensprachlied, das keine Übersetzung eines lautsprachlichen Liedes ist. Dann sind die Hörenden eingeladen, einfach mal zuzuschauen - u. U. wird der Text des Liedes simultan in Lautsprache vorgetragen. DAS ist dann wirklich eindrucksvoll.

Unsere "inklusive" Gottesdienstgemeinde in Herz-Jesu in Trier ist daran gewöhnt: die lautsprachlich und gebärdensprachlich Vortragenden warten aufeinander. Nicken sich freundlich zu, wenn sie beginnen - und wenn sie mit dem Vortrag fertig sind. Da muss die eine oder andere Sprachgruppe auch mal einen Augenblick warten.

Da der Vortrag in Deutscher Gebärdensprache und in Deutscher Lautsprache NICHT gleichzeitig möglich ist (aufgrund der unterschiedlichen Grammatik usw.) versuchen wir, die Predigt auch von einer Person mit Muttersprache vortragen zu lassen. Wenn ein schriftlicher Text rechtzeitig vorliegt, ist das möglich.
Der Vortrag der Predigt in Lautsprache - mit Gebärden unterstützt - sieht zwar für den hörenden Teil der Gemeinde interessant aus (Welche Gebärden kehren wieder? Was kann man sich selbst erschließen?) ist aber für die gebärdensprachlichen Mitfeiernden meist "Kauderwelsch", aus dem nur ein paar zentrale Begriffe zu verstehen sind. Die einen sind dann im Kombinieren geübter als die anderen... So was muss man mit den Mitfeiernden absprechen: welcher Vortrag ist ihnen lieber?

Die Gebete trage ich in dieser - unzulänglichen - Sprachform vor, weil damit zumindest die Einheit im Beten erhalten bleibt. Da geht es ja nicht so sehr um jedes einzelne Wort, sondern um das gemeinschaftliche Stehen vor Gott. Die Worte des Hochgebetes wiederholen sich. Ich verwende dann auch im inklusiven Gottesdienst das Hochgebet aus dem gebärdensprachlichen Gottesdienst, weil die Formulierung einen aussagekräftigen Vortrag auch in der Gebärdensprache ermöglicht.

Und dann habe ich die Erfahrung gemacht, dass die hörende Gemeinde sich gern mit einigen Gebärden beteiligt. Diese Erfahrung hat durch das "Singverbot" in der Coronaprävention einen mächtigen Auftrieb bekommen. Alle (hörenden) Kommunionkinder können das Halleluja, das Herr, erbarme dich, das Heilig, ein Friedenslied - und einige andere Lieder in Gebärdensprache vortragen - das hat die Corona-Erstkommunionen sehr aufgelockert. Die Lieder sind zu festen Bestandteilen der Familiengottesdienste geworden, unabhängig davon, ob die Gehörlosengemeinde mitfeiert oder nicht.

Inklusiver Gottesdienst ist wie Inklusion überhaupt ein spannender, offener Prozess. Volle Inklusion gibt es wohl erst im "Himmlischen Jerusalem", aber ein "Mehr" ist immer möglich. Der Weg ist das Ziel.

Danke für diesen wohlwollenden Artikel, der - wie selten zu finden - den Focus wunderbar auf die spirituelle Dimension der Gebärdensprache legt und die nicht selten eine Tiefe erreicht, die ich beim "nur" gesprochenen Wort vermisse. Vielleicht wäre es bei den regelmäßigen Gottesdiensten in Ihrer Gemeinde auch einmal möglich, dass die Statio, eine Lesung, Fürbitten oder sonstige Texte von Gehörlosen gebärdet und für Hörende in Lautsprache übersetzt werden. Ich selbst praktiziere dies immer wieder auch bei Gottesdiensten, die von hörenden und gehörlosen Gläubigen mitgefeiert werden. Damit gewinnen in meinen Augen beide "Sprachen" an Gleichwertigkeit innerhalb der Liturgie. Deshalb hatte ich vor Jahren beim Katholikentag in Regensburg auch darum gebeten, als gebärdender Priester einen Teil des Hochgebetes gebärden zu dürfen. Es war für mich und für die anwesenden Gehörlosen ein wunderbares Zeichen der Wertschätzung.

Schöner Artikel. Leider sind Hörenden Gottesdienste für viele Menschen mit Gehörlosigkeit schwer verständlich und deshalb wenig attraktiv (wie auch für viele Menschen ohne Gehörlosigkeit). Eine gute Erfahrung ist daher ein von Gehörlosen gestalteter lautloser Gottesdienst, der für Hörende in Lautsprache gedolmetscht wird. Diesen Perspektivwechsel gibt es leider viel zu selten.