Astronomische Uhr im Straßburger MünsterDer Kosmos der Zeit

Die astronomische Uhr im Straßburger Münster ist ein Besuchermagnet. Sie bringt das Weltwissen des 16. Jahrhunderts mit der Heilsgeschichte in Verbindung. Jetzt wurde das Wunderwerk erstmals umfassend restauriert.

In neuem Glanz erstrahlt die astronomische Uhr, ein Anziehungspunkt im Straßburger Münster.
In neuem Glanz erstrahlt die astronomische Uhr, ein Anziehungspunkt im Straßburger Münster.© Foto: picture-alliance

Ein einfaches Möbel, selbst eine Kuckucksuhr an der Wohnzimmerwand lässt sich leicht von Staub befreien. Was aber, wenn das Werkstück monumental ist, neunzehn Meter hoch, versehen mit reichem Schmuck, Skulpturen und Malereien und in den erhabenen Raum einer Kirche hineinragt? Die berühmte astronomische Uhr im Straßburger Münster ist solch ein Schatzkästlein. Eine Staubschicht nach der anderen hatte sich im Lauf der Zeit auf Farben und Lacke gelegt. Das richtet zwar keinen unmittelbaren Schaden an. Doch das Grau ließ die ursprüngliche Pracht verblassen. Wie sehr, das wird jetzt – nach der Reinigung und Restaurierung – deutlich. „Der Staub von Jahrzehnten ist entfernt, endlich wirkt alles wieder frisch und lebhaft“, freut sich die Straßburger Restauratorin Anne Gérard-Bendelé.

Erstmals ist das Gehäuse der „Horloge astronomique“ umfassend restauriert und einer Bestandsaufnahme unterzogen worden. Lange hatte man mit dieser Maßnahme gewartet, nicht zuletzt, weil die Restaurierung bedeutete, die Uhr zumindest teilweise und auf Zeit verhüllen zu müssen. Mit drei Millionen Besuchern jährlich ist sie aber ein wahrhafter Magnet des Straßburger Münsters. Das mittägliche Spektakel mit ihren Automaten begeistert Menschen bis heute.

Schon zu ihrer Entstehungszeit wurde die astronomische Uhr als technisches Wunderwerk gefeiert, weil sie das ganze Wissen der Renaissance versammelte. Kaum vorzustellen, wie das Spektakel die Zeitgenossen Mitte des 16. Jahrhunderts begeistert haben muss. Sobald die Uhr um 12.30 Uhr zu schlagen beginnt, setzen sich ihre Automaten in Bewegung. Figuren der Lebensalter ziehen am Tod vorbei. Eine Etage darüber defilieren die Apostel vor Christus. Ein auf dem Türmchen links an der Uhr sitzender Hahn beginnt zu krähen und schlägt mit den Flügeln. Dreimal kräht das künstliche Tier, was an die dreimalige Leugnung Petri erinnern soll, – ein Schauspiel, das unterhaltsam anzusehen ist, dem Betrachter jedoch zugleich die Vergänglichkeit des Menschen vor Augen führt wie die Genialität seiner sehr irdischen Schöpfer.

Ganz zu schweigen von den eigentlichen Uhren, die zwei Drittel der Gesamthöhe beherrschen: angefangen bei der großen Uhr in der unteren Etage und dem freistehenden Globus über das Zifferblatt mit der mittleren Ortszeit über dem Karussell der Wagen mit den Wochentagen bis zur Veranschaulichung der Mondphasen unterhalb des Sensenmannes.

Schön und zugleich präzise: Kunst und Technik lassen bis heute staunen.
Schön und zugleich präzise: Kunst und Technik lassen bis heute staunen.© Foto: Getty images

Entworfen wurde die zwischen 1547 und 1573 erbaute Uhr von dem Mathematiker Christian Herlin, dem Arzt Michael Herr und dem Theologen Nikolas Bruckner. Mathematiker, Techniker, Kunsthandwerker, Bildhauer und Maler haben für sie Hand in Hand gearbeitet. Ab 1548 ruhten die Arbeiten für zehn Jahre, weshalb sie erst von Herlins Nachfolger an der Straßburger Universität Conrad Dasypodius zusammen mit David Wolkenstein vollendet wurde. Das Uhrwerk fertigten Isaac und Josias Habrecht. Von Tobias Stimmer stammten die Bemalung und die Gemälde am Gehäuse. Das astronomische Weltwissen von damals und die religiöse Sicht auf die Menschheit vereinten sich zu einem Gesamtkunstwerk.

Straßburg war zu jener Zeit protestantisch und sein berühmtes Münster im Zentrum der Stadt ebenso. Eine mit zwölf Metern Höhe kleinere Vorgängeruhr, benannt nach den Heiligen Drei Königen, hatte bereits zwischen 1352 und 1354 gegenüber dem heutigen Standort im südlichen Querschiff an der Westmauer gestanden. Auch an ihr gab es einen Hahn, der als ihr einziges Überbleibsel im Museum der dekorativen Künste (Musée des Arts Décoratifs) neben dem Münster aufbewahrt wird.

Die wohl stärksten Veränderungen an der heutigen astronomischen Uhr nahm Jean-Baptiste Schwilgué, Mathematiker aus Sélestat, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor. Im Jahr 1788 war die astronomische Uhr plötzlich – ihrem Alter und dem Rost geschuldet – stehengeblieben. Fünfzig Jahre hielt dieser Zustand an, bis Schwilgué, ein genialer Autodidakt in Sachen Astronomie und Uhrmacherkunst, im Auftrag der Stadt ein neues Uhrwerk entwickelte. Es wurde 1842 eingeweiht. Die vollständige Erneuerung des Gehäuses verweigerte man ihm. Zu gerne hätte Schwilgué anstelle des Renaissancewerks gemäß dem Zeitgeschmack eine Verkleidung aus schwarz-weißem Marmor geschaffen. Zumindest fügte er hier und da falsche Marmordekors und Lackierungen hinzu. Das Porträt des Kopernikus auf dem vom Hahn bekrönten Gewichteturm ersetzte er durch sein eigenes, von Gabriel Guérin gemaltes Konterfei.

Den Zweiten Weltkrieg überdauerte die astronomische Uhr weitgehend unbeschadet, weil der Uhrmacherbetrieb von Théodore Ungerer – er war der Vater des Karikaturisten Tomi Ungerer – 1939 die Mechanik und die abnehmbaren Tafeln demontierte und auslagerte. Gleiches geschah zwei Jahre später mit dem Hahn, mit Himmelsglobus und Mondkugel sowie dem Kalendermechanismus. Nach Kriegsende ließ die Münsterbauhütte alles in den alten Zustand zurückversetzen. 1973 wurde auch das Porträt von Kopernikus restauriert, das Schwilgué seinerzeit durch sein eigenes ersetzt hatte.

Nun also erstrahlt die Uhr in neuem Glanz. Welchen Effekt das Abstauben im großen Stil hatte – allein drei Wochen liefen die Staubsauger auf Hochtouren –, wird deutlich, wenn man die Unterschiede anhand der Fotodokumentation der Restauratoren betrachtet. Vorher dunkel und eingetrübt, seither wieder leuchtend: Der Zugewinn ist erstaunlich. „Jetzt kommt diese Pracht an Farben wieder zum Vorschein, ihre Zartheit, die Lebendigkeit der Schattierungen und der Figuren, der Vergoldungen, die zum Teil aus dem 16., andere aus dem 17. oder aus dem 19. Jahrhundert stammen“, sagt Louis-Napoléon Panel, der verantwortliche Architekt der staatlichen Denkmalschutzbehörde DRAC für das Gebiet Ostfrankreich.

Mit dem Abstauben war allerdings nur ein erster Schritt vollzogen. Im Anschluss widmete sich das Team unter Leitung von Louis-Napoléon Panel dem hoch aufragenden Holzgehäuse, seinem reichen Figurenschmuck und den Malereien. Das Uhrwerk lief während der zweimonatigen Arbeiten Ende letzten Jahres weiter. Seine Mechanik war zuletzt zu Beginn der 2000er Jahre einer Überholung unterzogen worden.

Für die Restauratoren standen zwei Aspekte im Vordergrund: die Sicherung der Materialien und Werke zum einen, zum anderen die Dokumentation des Vorgefundenen. Die Unterlagen zu den bisherigen Restaurierungen oder auch Veränderungen seien äußerst dürftig gewesen, sagt Panel. „Zentimeter für Zentimeter haben wir nun die Geschichte der Einzelteile festgehalten.“ Eine vergleichbare Bestandsaufnahme über den Zustand des Gehäuses der astronomischen Uhr des Straßburger Münsters hat es bislang nicht gegeben. Restaurieren im 21. Jahrhundert bedeutet eben, dass Korrekturen nie darauf angelegt sind, den alten Zustand vollends zum Verschwinden zu bringen. „Alles, was wir in den vergangenen Wochen geleistet haben, könnte wieder in den alten Zustand zurückversetzt werden, wenn man das wollte“, versichert Panel. Möglich sei dies aber eben nur, wenn die eigene Arbeit festgehalten werde.

Die Faszination dieser Arbeit ist leicht nachzuvollziehen. Wann sonst haben auch Spezialisten die Gelegenheit, die Details der Uhr aus direkter Nähe zu betrachten? Anne Gérard-Bendelé, die Restauratorin, steht vor den Engeln rechts und links des Zifferblatts auf dem ersten Absatz. Sie erklärt, dass die Ärmel der rechten Figur aus Stoff gefertigt sind und eine Mechanik verbergen. Diese erst macht es möglich, dass der Engel mit den glänzenden Wangen die Sanduhr in seinen Händen dreht, sobald die astronomische Uhr um die Mittagszeit zu ihrem alltäglichen Spektakel ansetzt. Nur die Expertin weiß: Der Engel rechts stammt aus dem 16. Jahrhundert, als die Uhr geschaffen wurde, der linke ersetzte im 19. Jahrhundert einen Vorgänger. Ihn lagerten die Restauratoren damals in das Museum für dekorative Kunst im Palais Rohan gleich nebenan aus.

Erstmals wurden im Zuge der Restauration auch die Farbschichten der Malereien auf Holz, Metall und Stein untersucht, die ursprünglich der aus Schaffhausen stammende Tobias Stimmer geschaffen hatte. Bislang hatte man nicht einmal gewusst, höchstens vermutet, betont Gérard-Bendelé, dass die größeren Skulpturen, wie der Architekt am höchsten Punkt des Gesamtkunstwerks, erst im 19. Jahrhundert bemalt worden seien.

Dank eines eng umschließenden Gerüsts haben die Restauratoren den Figurenschmuck, die Automaten und die Zifferblätter nun aus nächster Nähe in Augenschein nehmen können. Louis-Napoléon Panel lobt die Leistung der Gerüstbauer. Allein die Montage in dem begrenzten Raum am südlichen Seitenschiff neben dem Engelspfeiler sei eine komplexe Herausforderung gewesen.

Dem Fundament aus Sandstein wurden mit einer Zellulose-Kompresse Nitratsalze entzogen. Das Holz wurde gegen weiteren Wurmbefall behandelt. So manche plastische Stelle, die nun vervollständigt worden ist, wäre aus der Entfernung womöglich gar nicht sichtbar. Wie bei der Pfote eines Löwen, die Holzwürmer angefressen haben und die durch modellierbares Kunstharz wieder das alte Volumen erlangt hat.

Die Tafelbilder an der Gehäusefront seien höchstwahrscheinlich niemals abgenommen worden, vermutet die Gemälderestauratorin Julie Sutter. Ihre Aufgabe war es unter anderem, die Malereien zu stabilisieren und dort auszubessern, wo Farben und Lacke aufgeworfen waren oder bereits abblätterten.

Auch wegen oder trotz der Restaurierung ist die Uhr in all den Monaten weitergelaufen. Sie anzuhalten, das trauten sich die Verantwortlichen nicht. Sie wollten nicht schuld daran sein, dass das höchst präzise Wunderwerk auch nur die kleinste Ungenauigkeit produziert, wie Louis-Napoléon Panel schmunzelnd erklärt. „Die Uhr ist dafür gemacht, dass sich der Globus einmal in 15000 Jahren um die eigene Achse dreht.“

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