Das Theater als Denkort in einer komplizierten Welt

Wenn die Welt in Aufruhr ist, gehen die Menschen öfter ins Theater. Das beobachtet Ulrich Khuon, der Intendant des Deutschen Theaters in Berlin. Dementsprechend seien die Häuser heute „voll“. Als Grund sieht Khuon ein verbreitetes Bedürfnis, gerade in diesen Zeiten über gesellschaftlich wichtige Fragen zu reden und nachzudenken. Das Theater sei dafür nach wie vor ein guter Ort, trotz der riesigen Konkurrenz durch die Medien, sagte er zur Eröffnung der neuen Spielzeit. „Wir suchen mit unserer Kunst die Gesellschaftlichkeit, die historisch informierte Zeitgenossenschaft“, wird Khuon im Spielzeitbuch seines Hauses zitiert.

Das Deutsche Theater wolle politisch wirken, erklärte der Intendant. Er „bekenne“ sich dazu, „dass die Demokratie, dass die Idee von Europa gefährdete und erhaltenswerte Errungenschaften sind“, so Khuon. Ausdrücklich wandte er sich gegen Tendenzen im modernen Theaterbetrieb, die „jede Art von Ordnung der Zerstörung“ preisgeben wollen. Etliche Kunstschaffende würden argumentieren, dass alle Systeme „flüssiger“, das heißt infrage gestellt werden müssten. Im Fall der Demokratie sei eine solche Herangehensweise jedoch oft nur billig und leichtfertig, sprich: gefährlich. „Wir haben uns vielleicht zu sehr daran gewöhnt, die Demokratie als etwas Unzerstörbares anzusehen. Als eine Institution, gegen die man agitieren, auf der man rumhacken kann, die man dekonstruieren muss.“ Demgegenüber stellte Ulrich Khuon fest: „Dekonstruktion ist kein Wert an sich.“

Konkret will sein Haus in der aktuellen Spielzeit hinterfragen, wieweit sich aktuelle Entwicklungen und Konflikte wirklich an Personen festmachen lassen. „Wie kommt es, dass ein Mann wie Macron plötzlich angeblich für Europa steht? Warum verkörpert Trump scheinbar eindeutig eine Philosophie, die der Regel ‚Macht vor Recht‘ folgt, die für eine Gegenbewegung zur Globalisierung und zur Internationalisierung steht?“ Solche Personalisierungen könnten zwar helfen, eine immer kompliziertere Welt greifbarer zu machen. Letztlich hält Ulrich Khuon sie aber für fragwürdig, weil sie die Komplexität der Welt auf gefährliche Weise vereinfachen. „Gerade in der Politik nimmt die Personalisierung bizarre Ausmaße an. Wir wollen im Theater die Mechanismen von Macht und Ohnmacht, Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit, Reich und Arm schildern, und dazu ist es oft besser, sich Problemen mit dem Blick aufs Strukturelle statt aufs Personelle zu nähern.“

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