Das Letzte WortMehr Licht!

Die dunkle Jahreszeit hat auch ihren Charme? Geht so, findet Kolumnistin ASTRID HERBOLD und sehnt sich schon jetzt wieder nach Frühling

Mehr Licht!
Unsere Kolumnistin kann der herbstlichen Gemütlichkeit nicht viel abgewinnen © Daniela Kohl

Gummistiefel, Kastanien, buntes Laub. Kürbissuppe, Apfelernte, Wollstrickjacken. Es soll ja Menschen geben, die mögen die zweite Jahreshälfte. Die Heimeligkeit des eigenen Heims, das ganze kuschelige Hygge-Programm. Und im Supermarkt gibt es natürlich auch schon wieder Spekulatius. Ich bin trotzdem kein Fan dieser Jahreszeit. Ich habe auch für den Winter nicht viel übrig. Denn der Winter des 21. Jahrhunderts ist auch nichts anderes als ein langer Herbst. Grau und nass und von Schnee schon lange keine Spur mehr. Umso mehr Gründe, dem Sommer jetzt schon hinterherzutrauern. Nie ist das Familienleben leichter: Morgens wirft man sich ein Kleidchen über, die Füße bleiben barfuß, die Balkontür steht den ganzen Tag offen. Streit um Mützen oder Strumpfhosen – gibt es nicht! Die Stunden nach dem Kindergarten verbringt man auf Spielplätzen oder im Garten, irgendwer spendiert immer Eis, Freundinnen und Freunde trifft man automatisch. Oft enden die Tage viel später als geplant, weil man – sandig, zerzaust und sonnenverbrannt – einfach die Zeit vergessen hat beim spontanen Abendessen im Park mit Pizza, Brause und Bier. Herrlich! Im Sommer ist alles in Bewegung, der Kopf und die Beine. Es wird gerannt, geplanscht, geschaukelt, gebuddelt. „Mama, guck mal!!!“ Ich weiß nicht, wie oft in meinem Leben ich diesen Satz schon gehört habe. Zehntausend Mal? Im Sommer klingt er nach Begeisterung und Leichtigkeit. Mama, guck mal, wie schnell ich die Rutsche runterrutsche. Wie hoch ich auf dem Trampolin hopse. Wie mutig ich mit meinen Schwimmflügeln durchs tiefe Becken pflüge. Im Herbst wird daraus das fordernde „Mama, komm mal!!!“. Komm mal und spiel mit mir. Komm mal und vertreib mir die Langeweile. Dann beginnt auch noch der November, dieser unnötige Un-Monat. Was tun mit dem restlichen Jahr? Draußen Dauerdämmerung und Nieselregen. Jaja, es gibt kein schlechtes Wetter, nur falsche … Ich hasse diesen Spruch. Wirklich! Denn seien wir doch mal ehrlich: Je kleiner die Kinder, desto schneller erreicht jede Familie alljährlich im Herbst den Zustand des Lagerkollers. Wir hängen in den Wohnungen rum, wir wissen nichts mit uns anzufangen, wir kriegen kollektiv schlechte Laune. Die Nachmittage ziehen sich unendlich in die Länge, die Wochenenden sind noch schlimmer. Außerdem hatten wir 2020 schon mal Herbst und Koller. Nur, dass der außer- planmäßig im Frühling stattfand. Sagen wir so: Die Erinnerungen daran sind durchwachsen. Die geschätzten 74 Brettspiele, 68 Kinderbücher, 32 Puzzle, 17 kreativen Bastelsets, die wir besitzen, konnten wir damals schon nicht mehr sehen. Jetzt, wo der richtige Herbst angebrochen ist, interessiert sich der Nachwuchs erst recht nicht für die Inhalte der Kinderzimmerschränke. Das einzige, was uns rettet, sind stressige Weihnachtsvorbereitungen – und teure Kinderhobbys. Montags tanzen, donnerstags reiten, samstags Wunschzettel malen. Das hat übrigens alles nichts mit Helikoptertum zu tun, das ist pure elterliche Selbstverteidigung. Hauptsache, die dunklen Tage mit Aktivitäten füllen.
Dann kommen das Christkind und die Silvesternacht, es kommen die Verwandtschaft, die Aufregung, der Sekt und der Neujahrskater. Schwupps, ist der Dezember rum. Plötzlich ist schon wieder Januar. Aber immer noch so viel von der lichtlosen Jahreszeit übrig. Wie sollen wir bloß durchhalten bis nächsten Mai?