Wenn Kinder tobenIch bin sauer!

Ein tobendes oder unglückliches Kind kämpft mit seinen Gefühlen. Was Eltern manchmal schwer aushalten, ist ein wichtiger Schritt in der Entwicklung

Ich bin sauer!
Negative Gefühle gehören zu einer gesunden emotionalen Entwicklung © Elva Etienne - Getty Images

Lukas ist stinksauer. Schon wieder hat Elias seinen Legoturm umgeworfen. Am liebsten würde er Elias hauen. Aber Lukas weiß, dass das Elias wehtäte und dass der Turm davon auch nicht wieder heil wird. Außerdem würde er Ärger mit der Erzieherin kriegen. Also verkneift er sich das Hauen. Schimpfend verlässt er den Gruppenraum und setzt sich auf das Sofa im Flur. Nach einer Weile kommt er wieder zurück, sichtlich ruhiger. „Was war denn los, Lukas?“, fragt die Erzieherin Lina ihn freundlich, die das Geschehen am Rande mitbekommen hat. „Ich war voll wütend auf Elias, er hat meinen Turm kaputt gemacht! Und jetzt bin ich immer noch traurig deswegen!“, erzählt Lukas. „Oh je“, sagt Lina. „Wollen wir das mal mit Elias klären?“ Lukas nickt.

Lukas ist emotional schon ziemlich kompetent: Er kann seinem Impuls widerstehen, seinem Kumpel wehzutun, obwohl er sehr wütend auf ihn ist. Er verfügt also über eine gewisse Impulskontrolle. Außerdem hat er eine Strategie entwickelt, wie er sich selbst beruhigen kann, sogar dann, wenn er sehr aufgebracht ist. Das bezeichnet man als die Fähigkeit, seine Emotionen zu regulieren, ihnen also nicht völlig ausgeliefert zu sein. Jedes Kind hat dabei andere Strategien: Lukas nimmt sich eine kleine Auszeit, einen Moment der Ruhe, in dem er sich räumlich vom Geschehen trennt. Danach ist er wieder klarer und kann den Konfl ikt mit Elias bearbeiten. Dafür braucht es eine weitere wichtige Kompetenz, die Lukas auch schon erworben hat: Die eigenen Gefühle wahrzunehmen und sie zu benennen. Diese Selbstwahrnehmung ist wichtig, um Bedürfnisse zu erkennen, sich selbst zu verstehen und sich auch zu behaupten. Außerdem ist sie die Voraussetzung dafür, Empathie und Mitgefühl für andere Menschen zu empfi nden. Wer keinen Zugang zu seinen eigenen Gefühlen hat, versteht oft die Gefühle anderer nicht. Das kann zu Missverständnissen und Konflikten führen.

Gefühle verstehen lernen

Kinder, die sich wie Lukas gut mit ihren Gefühlen auskennen, können sich schneller beruhigen und Konflikte souveräner lösen. Sie haben weniger Reibereien mit Gleichaltrigen, flippen seltener aus und ihre Freundschaften sind stabiler. Ein gesunder Umgang mit Emotionen gilt außerdem als ein Schutz gegen Suchterkrankungen und Gewalttätigkeit im Jugendalter. Aus all diesen Gründen ist es wichtig, Kinder in ihrer sozial-emotionalen Entwicklung gut zu unterstützen. Vor einigen Jahren wurde dieser Entwicklungsbereich deshalb auch in die Bildungspläne der Kitas aufgenommen. Zu den emotionalen Kompetenzen zählen dort folgende Fähigkeiten:

  • Die eigenen Gefühle wahrzunehmen und zum Ausdruck zu bringen.
  • Die eigenen Gefühle zu benennen („Ich habe Angst“, „Ich bin wütend“).
  • Die eigenen Gefühle zu verstehen und Bedürfnisse daraus abzuleiten („Ich habe Angst und möchte mich zu dir ins Bett kuscheln“, „Ich bin wütend und möchte mein Spielzeug wiederhaben“).
  • Die eigenen Gefühle regulieren zu können (sich zu beruhigen, sich zu trösten).
  • Die Gefühle anderer wahrzunehmen und richtig zu deuten („Der Tim weint, er ist traurig“).
  • Mimik und Gestik anderer Personen richtig zu deuten („Lisa mag den Spinat nicht, sie findet ihn eklig“).
  • Sich in andere einfühlen zu können, Empathie und Mitgefühl zu entwickeln.

Wie Gefühle uns leiten

Gefühle spielen in unserem Leben eine wichtige Rolle. Neuere neurowissenschaftliche Experimente haben gezeigt, dass sie unsere Denk- und Entscheidungsprozesse stärker beeinflussen als bisher angenommen. Unsere Emotionen haben aber noch weitere wichtige Funktionen: Sie helfen uns, für unseren Schutz und unser Wohlbefinden zu sorgen. Vorausgesetzt wir verstehen unsere Gefühle und nehmen sie ernst. Fühlen wir uns wohl, brauchen wir gerade nichts zu tun. Sind wir hingegen ängstlich oder wütend, sollten wir vielleicht etwas ändern – an unserer äußeren Situation oder an unserer inneren Haltung. Gefühle signalisieren uns auch, ob Gefahr droht oder nicht; je nachdem können wir uns entspannen, flüchten oder uns dem „Kampf“ stellen. Gefühle können sehr heftig sein und gelegentlich unseren Verstand blockieren. Das kennen wir von unseren Kindern, aber auch von uns selbst. Dann tun wir manchmal etwas, das wir später bereuen. Deshalb ist es nicht nur wichtig, Gefühle wahrnehmen und bewerten zu können, sondern sie auch angemessen auszudrücken und zu regulieren.
Den Umgang mit Gefühlen müssen Kinder lernen, aber auch wir Erwachsenen sind immer wieder gefordert, uns mit ihnen auseinanderzusetzen: Wie gehe ich mit meiner Wut um? In welchen Situationen schäme ich mich? Warum reagiere ich ärgerlich, wenn mein Kind wütend ist? Menschen, die viel mit Kindern zu tun haben, sollten sich stets um einen bewussten und reflektierten Umgang mit den eigenen Emotionen bemühen. Nur dann können sie den Kleinen eine kompetente Begleitung sein.
Ein Neugeborenes ist darauf angewiesen, dass eine feinfühlige Bezugsperson seine Grundbedürfnisse nach Essen, Wärme, Schlaf zuverlässig befriedigt. Aber auch seine emotionalen Bedürfnisse nach Sicherheit, Kontakt und Geborgenheit müssen erfüllt werden. Viele Babys brauchen zum Beispiel Hilfe von ihren Eltern, um in den Schlaf zu finden. Mit der Zeit lernt das Baby dann immer mehr, sich selbst zu beruhigen. Zum Beispiel, indem es am Schnuller oder am Daumen nuckelt. Im Laufe des zweiten Lebensjahres entwickelt das Kind dann eine Art inneres Bild von seiner Hauptbezugsperson. Es lernt, dass Mama oder Papa auch dann noch da sind, wenn sie sich in einem anderen Raum befinden. Das hilft ihm, emotionale Durststrecken zu überstehen. Es kann dann fühlen: „Mama oder Papa kommt wieder und hilft mir. Ich bin nicht allein.“ Damit macht es einen wichtigen Entwicklungsschritt, um Gefühle wie Angst besser zu regulieren. Das gelingt einem Kleinkind jedoch nur über einen kurzen Zeitraum hinweg, sodass es noch nicht lange ohne die Hauptbezugsperson bleiben kann.

Kinder brauchen Unterstützung

Ein kleines Kind kann seine Gefühle spüren, aber noch nicht benennen. Eltern erkennen jedoch an seinem Verhalten meist schnell, was los ist. Daher können Eltern oder auch pädagogische Fachkräfte diese spiegeln: „Oh, ich glaub, du freust dich, stimmt’s?“ oder: „Du siehst aber ganz schön ärgerlich aus. Was ist denn passiert?“ So lernen Kinder, dass ihre Empfindungen Namen haben, die sie auch bald selbst kennen. Darüber hinaus erfahren sie, dass ihre Gefühle normal sind und dass sie verstanden und ernst genommen werden. Das stärkt die Bindung und legt einen wichtigen Grundstein für eine gesunde psychische Entwicklung.
Kinder brauchen noch länger Unterstützung bei der Regulation ihrer Emotionen. Damit ist gemeint, dass die Erwachsenen auf die Bedürfnisse eingehen sollten, die mit den Gefühlen des Kindes verbunden sind: Ein ängstliches Kind braucht Schutz und Sicherheit; ein trauriges Kind braucht Trost, Zuspruch und Körperkontakt. Ein wütendes Kind braucht jemanden, der sich die Gründe für die Wut anhört und das Gefühl ernst nimmt. Natürlich sollte ein Kind seine Wut nicht unkontrolliert ausleben, indem es beispielsweise andere Kinder verletzt. Es sollte aber auch nicht weggeschickt oder ausgeschlossen werden. Meistens lässt die Wut eher nach, wenn sie einmal wirklich gesehen wurde, wenn jemand sagt: „Mensch, du bist aber wütend, erzähl mal von deiner Wut.“ Dann erst kann sich die Wut mildern oder auflösen. Wird sie immer nur abgelehnt („Benimm dich!“, „Komm erst wieder, wenn du dich beruhigt hast!“), wächst sie im Stillen nur weiter und kommt später an einer anderen Stelle wieder zum Vorschein. Kleine Mädchen und Jungen, die von heftigen Gefühlsausbrüchen gebeutelt werden, benötigen ein besonders geduldiges Gegenüber. Es gibt verschiedene Gründe, warum manche Kinder ihren Emotionen hilflos ausgeliefert zu sein scheinen. Das kann mit einem „wilderen“ Temperament zu tun haben oder mit einer niedrigen Frustrationstoleranz, aber auch mit den Vorerfahrungen, die diese Kinder zu Hause oder in anderen Zusammenhängen gemacht haben. Kindern, die oft in Bedrängnis geraten, viel ausgeschimpft oder bestraft werden, fällt es oft schwer, sich selbst emotional zu regulieren. Auch in Umbruchphasen braucht ein Kind besonders viel emotionale Unterstützung.

Lernfeld Kita

Damit Kinder den Umgang mit ihren Gefühlen lernen können, sollten Erwachsene eine Umgebung schaffen, in der Gefühle willkommen und gestattet sind. In der Wut kein Tabu ist, sondern genauso sein darf wie Freude. Abwertende Sätze wie „Jetzt übertreib doch nicht so!“, „Stell dich nicht so an!“ sollten in einer solchen Atmosphäre keinen Platz haben. In der Kita haben die Fachkräfte vor allem im Einzelkontakt viele Möglichkeiten, die Kinder in ihrer emotionalen Entwicklung zu begleiten. Dabei kann es auch hilfreich sein, wenn eine Erzieherin über ihre eigenen Gefühle spricht, zum Beispiel „Puh, das ärgert mich aber ganz schön, weißt du das? Ich muss erst mal kurz Luft holen, bevor ich dazu etwas sagen kann.“ Kinder sollen ruhig wissen, dass auch Erwachsene Gefühle haben und mit diesen einen Umgang finden müssen. In vielen Kitas greifen die Fachkräfte das Thema Gefühle spielerisch auf. Beispielsweise im Morgenkreis: Wie fühlst du dich heute? Dafür werden Buttons mit Gesichtern benutzt, die sich die Kinder anheften. Oder jedes Kind darf eine Grimasse schneiden, die zu seiner Stimmung passt. Auch Bücher sind eine schöne Möglichkeit, sich mit dem Thema zu beschäftigen, das gilt für die Kita und zu Hause. Manche Einrichtungen führen mit den Kindern Projekte zum Thema Gefühle durch, in denen sich die Kinder mit folgenden Fragen beschäftigen: Wann bin ich wütend? Wie merke ich das? Wie fühlt sich das im Körper an? Woran erkenne ich, ob jemand traurig ist? Nicht zuletzt bietet der Kontakt der Kinder in der Gruppe viele Gelegenheiten, die eigenen Gefühle und die der anderen zu erfahren. Je sicherer die Kinder im Umgang mit den Emotionen werden, desto besser können sie mit anderen spielen und lernen und positive Beziehungen knüpfen.  

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