Mission im Zeichen von Interkulturalität, Pluralismus und Dialog„Verstehen und verstanden werden“

Mission wird sich in Zukunft mehr durch die Fähigkeit zur Relation als durch einen Drang zur Expansion definieren. Der Erfolg von Mission misst sich nicht in territorialen Zuständigkeiten, Zahlen und Strukturen. Die Verheißung vom „Leben in Fülle für die Welt“ bleibt unter den verschiedenen biblischen Definitionen von Mission die aussagekräftigste.

Die Kirche befindet sich derzeit in einer entscheidenden Phase der Neubesinnung auf ihre Mission. Dieser Prozess ist getragen von der Gewissheit, dass Mission kein Überbleibsel einer vormodernen Mentalität ist, sondern Motor christlichen Lebens und christlicher Weltverantwortung, ein „hochaktuelles Projekt einer Globalisierung der Hoffnung“ (Franz Gmainer-Pranzl).

Der Ausgangspunkt für interkulturelle Theologie ist das Faktum der globalisierten Welt mit ihren pluralistischen Sinnangeboten. Auch Christen leben heute fast überall in Kontexten konkurrierender Sinnangebote. Interkulturelle Missionstheologie blendet diese Situation nicht aus. Walter Hollenweger, einer ihrer Pioniere, schreibt, es handle sich um eine Theologie, „die sich nicht ins Schneckenhaus ihrer Lokaltheologie zurückzieht, die aber auch nicht ihre einheimische Theologie als allgemeingültig anpreist, sondern die zwischen den mündlichen und den schriftlichen, den schwarzen und den weißen, den weiblichen und männlichen Christen unterwegs ist.“ Er bezeichnet sie als diejenige Disziplin, die im Rahmen einer gegebenen Kultur operiert, ohne diese zu verabsolutieren. Dies bedeute aber nicht, dass die universale Dimension des christlichen Glaubens aufgegeben werde. Vielmehr sei große Offenheit geboten.

Interkulturelles Verstehen hat aber auch eine Seite, die schmerzhaft ist. Wer sich ihm stellt, kann in Identitätskrisen und Identitätskonflikte geraten. Wer sich dem „Fremden“ stellt, wird zudem nicht selten „amtlich“ zur Umkehr aufgerufen. Interkulturelle Theologie will aber lehren, sich selber nicht absolut zu setzen, vielmehr die Welt und sich selbst „mit den Augen der anderen zu sehen“ (Giancarlo Collet). Darin liegt eine Chance: Wir können nur in Begegnung und Erfahrung des „Fremden“ unsere eigene Identität entwickeln (Werner Ustorf). Diese wächst im Dialog mit dem Fremden, in der gemeinsamen Suche nach Wahrheit, in der gemeinsamen Verantwortung für die Gestaltung der Welt und die Bewahrung der Schöpfung.

Das Vorbild Franz von Assisi

Als einen Vorreiter interkultureller Begegnung darf man, im kontingenten Rahmen seiner Epoche, Franz von Assisi bezeichnen, in seiner Art, dem „Anderen“ zu begegnen und dabei amtlich sanktionierte Grenzen zu überschreiten. Das so genannte „franziskanische Missionsstatut (Kapitel 16 seiner „Ersten Regel“) spricht ausdrücklich von einer „doppelten“ Form der Mission: Die Brüder „können in zweifacher Weise vom Geist geleitet unter ihnen (den „Sarazenen und Andersgläubigen“) leben. Die erste Art besteht darin, dass sie weder Streit noch Zank beginnen, sondern um Gottes willen jeder menschlichen Kreatur (1 Petr 2,13) untertan sind und bekennen, dass sie Christen sind.“ Die andere Art sei – „wenn sie sehen, dass es dem Herrn gefällt“ – das Wort Gottes ausdrücklich zu verkünden.

In Zeiten gewaltsamer Auseinandersetzungen zwischen Kirche und Islam setzte Franziskus auf die verwandelnde Kraft der Begegnung mit dem Sultan, auf Dialog. Franziskus gewann mitten in der Schlacht, die militärisch verloren ging, seine Freundschaft. Eine prophetische Haltung auch für heute: „Vertrauensvolle Zuwendung statt trennender Klischees, geschwisterliche Grundhaltung und wohltuende Begegnungen, und religiöser Dialog aus der Vertrautheit mit der Kultur der anderen“ (Niklaus Kuster).

Die katholische Kirche ist durch die Jahrhunderte bis heute auf der Suche nach einem Verständnis von Mission, das die eigene Glaubenserfahrung dem Anderen nicht in einer „one-way-Strategie“ anträgt oder gar überstülpt, sondern zusammen mit ihm auf eine Reise des Lebens und des gemeinsamen Suchens geht: einer Suche, bei der das Proprium wie ein kostbarer Schatz gehütet, aber dennoch transzendiert und in einen neuen gemeinsamen Raum des Lebens eingebracht wird.

Zum Missionsauftrag der Kirche gibt noch eine weitere Aussage von Franziskus wertvolle Hinweise. Gefragt, was denn der Grundauftrag seiner Schwestern und Brüder sei, soll er geantwortet haben: „Dies ist eure Berufung: Verwundete zu heilen, Gebrochene zu verbinden und Verirrte zurückzurufen“. Diese Definition ist ein Echo auf die Predigt Jesu in der Synagoge von Nazareth (vgl. Lk 4). Sie ist heute von der Kirche in den Kontext der Weltgesellschaft, das heißt in eine umfassende Praxis der Befreiung zu übersetzen, welche sowohl den einzelnen Menschen, die Zivilgesellschaft, unsere verwundete Mutter Erde, nicht zuletzt aber auch die Kirche selber mit der befreienden Kraft des Evangeliums Jesu neu in Berührung bringt. Denn nur eine Kirche, die auf Bevormundungen verzichtet und sich selber als erste bekehrt, darf anderen predigen (vgl. die Enzyklika „Evangelii Nuntiandi“ Pauls VI.).

Der entscheidende Anknüpfungspunkt für Mission, für Kirchesein überhaupt, liegt in der Art und Weise, wie wir selber heute Gott erfahren und von ihm zu sprechen suchen. Ist er – simpel ausgedrückt – ein subtiler „Machtfaktor“, der vorrangig durch die Kirche und ihre Vertreter die Welt zu ordnen gedenkt? Oder ist er einer, der „auf vielfache Weise gesprochen“ (Hebr 1,1) hat und in vielerlei Gestalt, nicht nur in der Kirche, sondern in seiner Schöpfung anwesend ist, der uns aber in Jesus einen Zugang zu sich geschenkt hat? Der christliche Gott ist zudem keine abstrakte Monade, er ist in sich selber Gemeinschaft und Beziehung.

Für Franz von Assisi ist er in der „Armut“ der Menschwerdung der „demütige“ Gott. Er hat sich in Jesus „verwundbar“ gemacht und ist ein Gott der Armen und Verwundeten. Es ist enorm wichtig, eine solche fundamentale spirituelle Ur-Intuition der christlichen Botschaft in der heutigen Weltkirche und Weltgesellschaft präsent zu halten, gerade in Zeiten, wo so schmerzlich die Rede ist vom Missbrauch von kirchlicher Macht: Gott „herrscht“ nicht nur über seine Schöpfung, er „fügt“ sich selber in sie ein, er hebt in Jesus alle scheinbar absoluten „Differenzen“ auf: Weil er selber arm wurde (Phil 2), bleibt er nicht der Ferne und Fremde. Er ist solidarisch mit den Armen und Schwachen. In Jesus hat er sich selber verwundbar gemacht. Unter dem einen Herrn sind die Menschen zu neuen Beziehungen berufen, zu Respekt, Geschwisterlichkeit, Gerechtigkeit.

Der Raum der Kirche ist dann nicht in erster Linie ein Gebäude oder ein hierarchisches Machtgefüge, sondern ein Raum der Anbetung, der freien Rede (parrhesía), der Begegnung, nicht nur mit den eigenen Hausgenossen. Religiös und spirituell getarntes Herrschaftsgebaren innerhalb der Kirche Jesu macht Mission unmöglich. Auch durch die Zusage der bleibenden Gegenwart des Geistes kommt kein elitärer und exklusiver Herrschaftsanspruch in die Welt, vielmehr ein Angebot von „Leben in Fülle“ (1 Joh 4,8 f.) für alle ohne Unterschied, von Heil und Heilung in einer gebrochenen und gefährdeten Welt.

Überhaupt erscheint im heutigen Weltkontext von Armut und Ausgrenzung die Verheißung vom „Leben in Fülle für die Welt“ unter den verschiedenen biblischen Definitionen von Mission als die aussagekräftigste. Sie ist inklusiv, grenzt nicht aus und bedroht nicht den, der anders ist. Sie zielt auf universale Versöhnung und Vollendung alles Geschaffenen.

Es geht also um ein Missionsverständnis, das nicht nur für die klassische „Missio ad Gentes“, sondern auch für die Glaubensweitergabe in Familie und Gesellschaft Bedeutung hat. Es basiert auf der Grunderfahrung von Begegnung und Dialog. In diesem Zusammenhang ist zu fragen, ob die oft betonte amtliche Unterscheidung von „Verkündigung“ und „Dialog“ nicht obsolet geworden ist. Denn wenn alles Leben Begegnung ist (Martin Buber), dann kann es Glaubenswelten, Mission, Gotteserfahrung, Glaubensweitergabe nur in einem Kontext von Beziehungen in Lebenswelten geben, in der Dialektik von Geben und Nehmen, Hören und Sprechen, Wort und Antwort, von Kontemplation und Aktion. Ein Mensch kann seine Würde und Kreativität ja nur entfalten, wenn er sich als Teil eines Netzes von Beziehungen erfährt. Er kann nur reifen, wenn er hören, antworten, beten, lieben kann. Wenn er gelernt hat, „in Relation“ und in einer „dialogischen Existenz“ (Buber) sein Leben zu gestalten.

Dieser Dialog ist also alles andere als ein bloßes Wortgeschehen. Er ist eine Lebenshaltung, die den Anderen und die Wirklichkeit wertschätzend wahrnimmt und Beziehungen wünscht. Ein dialogischer Mensch erfährt, dass er nicht nur Gebender ist, sondern immer auch Empfangender, und dass er umso besser und nachhaltiger „zu Wort kommt“, je intensiver er hören kann: „Jede Rede ruht auf der Wechselrede“ (Wilhelm von Humboldt). Diese Wechselrede ist in die menschliche Entwicklung eingebettet, ohne sie gibt es kein inneres Wachstum, keine schöpferischen Aktivitäten, keine soziale Kompetenz. Sie ermöglicht, was Emmanuel Levinas das „Der-Eine-für-den-Anderen“ bezeichnet.

Auch Werte und Tugenden lassen sich nicht durch „Leistungen“ eines einzelnen Subjektes erreichen: Sie sind vielmehr die „Früchte“ des Austausches, Ziele eines gemeinsamen Weges, Endpunkte auf dem Weg gemeinsamer Verantwortung. Die dialogische Struktur des Menschseins kommt nicht zuletzt in der Komplementarität und gleichen Würde von Mann und Frau zum Ausdruck.

Im Angesicht des Anderen das Eigene besser verstehen

Franz von Assisi war überzeugt, dass das Evangelium nur dann „ankommt“, wenn seine Botinnen und Boten die Armut und Demut Jesu bezeugen. Ein solches Zeugnis – man denke auch an das kontemplativ-missionarische Leben des Charles de Foucault – ist ebenfalls nicht vom Wort abhängig. Es ist vielmehr die ganzheitliche Darstellung eines Bekenntnisses, wie es zu jeder Religion gehört, wenn es einen Menschen ergreift. Die Andersheit des Gegenübers, und sei sie noch so radikal, ist im authentischen Zeugnis kein Hindernis für eine anfangshafte Kommunikation. Bereits die Präsentation eigener Überzeugungen und „Wahrheiten“, die schweigende, von Respekt getragene Achtsamkeit im Hören auf den Anderen sind im interkulturellen Dialog wichtige Elemente.

Interkulturell geprägte Mission ist von der Überzeugung getragen, dass im Angesicht des Anderen das Eigene besser verstanden wird und für alle Beteiligten Neues erschließt. Das Zeugnis ist wie eine „Mischung von Argumentation und Selbstevidenz eines Anderen“, der oder das sich zeigen will (Karl Lehmann). Es führt nicht unbedingt zu einem Konsens oder einer Bekehrung. Es kann dabei aber bei den Beteiligten zu wichtigen Momenten von „disclosure“ (Sinnerschließung), zu persönlicher Umkehr und gar „Offenbarung“ kommen.

Es geht also um eine Mission, welche nicht aus einer vermeintlich sicheren Position heraus als Primärziel die „Bekehrung anderer“ betreibt, sondern wertschätzende Begegnung ist, in Bewusstsein eigener unveräußerlicher Schätze, aber auch in Bescheidenheit und Lernbereitschaft. Denn „beim Anderen“ werden Christinnen und Christen ihre eigene Berufung authentischer erfahren. Explizite Verkündigung und Taufe bleiben unverzichtbar, sind aber dem Lebenszeugnis nachgeordnet. Eine solche Grundhaltung ist ein Ausdruck grenzenlosen Vertrauens in die Kraft des Geistes und seiner verwandelnden missionarischen Präsenz. Sie ist getragen von der Überzeugung, dass der einzige und wahre Gott alle Grenzen von Theologie, Spiritualität und Kult übersteigt und dass die Suche nach ihm und seinem Reich alle Menschen auf eine gemeinsame Suche nach Wahrheit und gemeinsamer Verantwortung für die Schöpfung schickt (Sebastian Painadath).

Reziprozität und Komplementarität

Eine missionarische Kirche lebt in Beziehungen und im Austausch, in Gemeinden und Gemeinschaften, in denen alte Charismen lebendig bleiben und neue aufbrechen, in denen es Beziehungen auf Augenhöhe gibt und in denen Respekt, Lernbereitschaft sowie Kritikfähigkeit als echte Geistesgaben geschätzt werden. Es stellt einen Missbrauch dar, wenn – wie es mancherorts geschieht – das Wort von der „Notwendigkeit einer missionarischen Pastoral“ für reine Restrukturierungsmaßnahmen und eine von oben verordnete Umverteilung von personellen Ressourcen in Anspruch genommen wird. Missionarität ist Hörbereitschaft für das, was der Geist den Kirchen heute an Neuem und auch Unerhörtem sagen will.

Missionarische Menschen gehen angstfrei auf Fremdes und Neues zu. Eine missionarische Kirche wird sich dem Ungewohnten öffnen, auch und gerade wenn es Risiken birgt. Eine missionarische Ortskirche wird neue Formen des Dienstes für Männer und Frauen fordern und fördern, auch in der Verkündigung und im sakramentalen Dienst. Sie ist nicht priester- und klerikerzentriert.

Eine missionarische Ortskirche wird sich stark und dankbar von Gottes- und Glaubenserfahrungen, Spiritualitäten und Theologien anderer Kulturen inspirieren und bereichern lassen. Eine missionarische Kirche, Gemeinde oder Ordensgemeinschaft zielen nicht darauf, Kriseninstrumente gegen Entkirchlichung und Priestermangel zu propagieren, sondern darauf, Gottes universale Zusage von Frieden und Heil und Leben grenzüberschreitend sichtbar und erfahrbar machen zu helfen. Eine missionarische Kirche überschreitet Grenzen, von Kulturen und Sprachen und „Milieus“, aber auch von Menschen gesetzte Grenzen in der Entwicklung theologischen Denkens und pastoralen Handelns. Mission darf nicht ekklesiologisch und konfessionell enggeführt werden. Sie sucht und findet Gott auch jenseits von Grenzen.

Eine missionarische Kirche zeichnet sich durch eine Kommunikation aus, welche Partnerschaftlichkeit, Partizipation, Synodalität, Abbau von Klerikalismus, gendergerechte Umgangsweisen fördert. Eine bischöfliche Stimme aus dem Süden sagt: „Dem Herrn hat es gefallen, der Kirche ein achtes Sakrament zu spenden – die Stimme des Volkes Gottes“ (Pedro Casaldáliga).

Theo Sundermeier hat gezeigt, wie stark die missionarische Ausstrahlung der frühen Kirche gerade auf ihre Gastfreundschaft für die Migrantenströme der damaligen Zeiten zurückzuführen ist (in: Den Fremden verstehen, Göttingen 1996). Gastfreundschaft (Lk 24) öffnet Räume für ein „Mehr“ an Leben und Gotteserfahrung. Der Fremde engt die eigene Freiheit nicht ein. Er ist ein Geschenk für das eigene begrenzte Leben.

Fähigkeit zur Relation statt Drang zur Expansion

Mission wird sich in Zukunft überhaupt mehr durch die Fähigkeit zur Relation als durch einen Drang zur Expansion definieren. Unbestritten bleibt, dass das Evangelium bis an die Grenzen der Erde getragen werden und auch die Tiefenschichten der menschlichen Existenz anrühren soll. Mission bleibt darin ein universales Projekt. Es ist jedoch dem Auftrag Jesu an seine Kirche nicht angemessen, den Erfolg dieser Sendung mit mehr oder weniger subtilen Machtmitteln sichern zu wollen und die erhoffte Fruchtbarkeit von Mission im Sinne territorialer Zuständigkeiten, in Besitzständen, Zahlen und Strukturen zu definieren. Es geht vielmehr darum, Gott und sein Reich mit seinen „vielen Wohnungen“ bekannt zu machen. Wenn der Geist Gottes in der Schöpfung lebendig ist, dann wird die Kirche im Vertrauen auf diese „Missio Dei“ sich in ihren Diensten vor allem in Anspruch nehmen lassen als Zeugin und Anwältin eines Gottes, der zur Freiheit beruft, der allen Menschen Würde, Heimat und Leben zugedacht hat – nicht zuletzt auch als mutige Anwältin für den Schutz des Lebensraumes „Erde“ und der Biosphäre.

In jedem Verstehensvorgang ist es wichtig, etwas oder jemanden überhaupt verstehen zu wollen. Die elementare Bereitschaft zum Eingeständnis von Relativität und Grenzen der eigenen Identität ist offenbar in keiner Kultur und Religion naturgemäß vorgegeben. Sie kann freilich eingeübt und vertieft werden.

Mission als Begegnung, im Verzicht auf Machtmittel, Glaubensweitergabe im Spiegel des Anderen ist heute in neuer Weise der Kirche aufgegeben. Neuere kulturanthropologische Arbeiten sprechen im Blick auf die ersten franziskanischen Missionare unter den Azteken vom „Verstehen-Wollen“, von „verstehender Brüderlichkeit“, von ihrer „Lust“ zum Fremd-Verstehen. Solche Empathie befähigt zur Begegnung mit dem Ungewohnten und Anderen. Sie grenzt niemanden aus. Sie sieht in der Begegnung mit dem Fremden nicht die Gefahr, sondern die potenzielle Bereicherung. Sie ist von Sensibilität für das Kleine und Unscheinbare getragen.

Jede echte Begegnung hat eine bestimmte Form der Relativierung des eigenen Verstehenshorizontes zur Voraussetzung. Keineswegs eine Relativierung eigener Grundüberzeugungen und Werte als solcher, wohl aber das Eingeständnis, dass ein Mensch sie immer nur sehr begrenzt versteht und lebt. Deshalb bedarf es zum Verstehen eines Gegenübers einer ständigen Bereitschaft zum Verzicht auf irreversible eigene Vorverständnisse, einseitig deklarierte Interessen und „letzte“ Wahrheitsansprüche.

Es bedarf vielmehr einer ständigen empathischen Annäherung, eines bestimmten Maßes an Sympathie und sensibler Aufmerksamkeit. Das ist und bleibt immer auch ein Wagnis. Es bleibt die Gefahr der Missverständnisse, der Manipulation, einer jener naiv trunkenen Begeisterung für Fremdes, das man sich, indem man es glorifiziert, umso unkritischer und im Grunde umso respektloser aneignen möchte. Denn Eines bleibt festzuhalten: Sowohl im interkulturellen wie erst recht im interreligiösen Dialog bleibt die „Differenz“ eine Realität, behält sie ihren notwendigen hohen heuristischen wie hermeneutischen Stellenwert. Erst die partielle Loslösung aus absolut gesetzten Grenzen kultureller und religiöser Identität und Heimat befähigt dazu, Räume für neue Gotteserfahrungen zu erschließen.

Mission in solcher Perspektive wird mehr auf biblische „Früchte des Geistes“ wie Liebe, Friede, Versöhnung setzen statt auf „Effizienz“ im Sinne von Zahlen und territorialen Besitzständen. Pluralität und Pluralismus sind in dieser Perspektive weniger Gefahr als vielmehr Ausdruck eines von Gott selbst gewollten natürlichen mannigfaltigen Reichtums seiner Schöpfung. Differenzen können in einer solchen Sichtweise als Einladung zur Begegnung und zur Komplementarität erfahren werden.

Die Dynamik der Mission muss mehr auf das Innen als auf das Außen zielen

Das wäre eine Mission, deren Dynamik mehr auf das Innen als auf das Außen zielt. Eine Reise in die Reichtümer und Tiefen der „Andersheit des Anderen“, eine Mission, die aus der Freude an der Begegnung lebt. Diese Mission wäre mehr Kunst als Strategie und Handwerk. Sie wäre die Kunst, gemeinsam einen weiten Horizont offen zu halten für das „Mehr“ an Leben und Hoffnung, derer auch die Kirche bedarf. Es wäre die Kunst, im komplexen heutigen Weltkontext und in den Begrenzungen der eigenen Existenz Erfahrungen von Verstehen und Verstanden-werden, von Versöhnung und Frieden zu machen, über Grenzen und Differenzen hinweg. Eine solche Mission unterläge keinem ständigen Rechtfertigungsdruck. Sie wäre der beste Beitrag der Kirche zum Dialog der Kulturen und Religionen und damit auch für die Entwicklung unserer Einen Welt in Gerechtigkeit und Frieden.

Der französische Theologe Michel de Certeau hat den bedenkenswerten Satz geschrieben: „Das Christentum ist seiner Einzigartigkeit nur dann treu, wenn es unter Beweis stellt, dass es sich – im radikalen Gegensatz zu einer imperialistischen und allumfassenden Religion – durch das Fehlen definiert. Durch das Fehlen des Anderen und durch die Ausrichtung auf das, was es nicht ist“. Daraus folgt: „Als Christen sind wir Missionare nicht nur, weil wir Gott schon gefunden haben, sondern weil wir ihn noch suchen. Wir sind Missionarinnen und Missionare nicht nur, weil wir die Botschaft vom Gott Jesu Christi zu anderen Menschen tragen möchten, sondern weil wir Gott dort entdecken möchten, wo er anders wahrgenommen wird“ (Hadwig Müller). Und zuletzt das Wort einer Ordensfrau, Missionarin in einem islamischen Land: „Du kannst nur das evangelisieren, was Du auch liebst.“

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