Analytische Theologie in der DiskussionTheologen mit „Konzilsproblem“

Der Innsbrucker Pastoraltheologe Christian Bauer hat zuletzt für große Aufregung gesorgt: Seine scharfe Kritik an der Analytischen Theologie hat Gegenwehr von einigen ihrer Vertreter hervorgerufen. Die Fronten sind schon länger verhärtet. Trotzdem besteht Grund zur Hoffnung.

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Seit einigen Monaten brodelt es wieder: Erneut ist ein Streit um die Analytische Theologie ausgebrochen, die die Frage nach Gottes Existenz und Wesen, nach dem Verhältnis von Gott und Welt oder auch nach der Eigenart des religiösen Glaubens in den Bahnen der Analytischen Philosophie vor allem mit den Mitteln theoretischer Modellbildung und logischer Argumentation zu klären versucht.

Ausgelöst wurde dieser Streit im April 2022 durch einen Artikel des Innsbrucker Pastoraltheologen Christian Bauer in der „Theologischen Revue“ (vgl. zu seinem dem Text zugrundeliegenden Vortrag: HK, März 2020, 11–12). Schon der Titel ist aufschlussreich: „Allianzen im Widerstreit? Zur Internationalität deutschsprachiger Theologie zwischen analytischen und kontinentalen Diskurswelten“ (118 [2022] 1–22). Bauer greift ein Stichwort auf, das in den letzten Jahren vor allem aus analytischer Richtung zu hören war: Deren Vertreterinnen und Vertreter halten sich zugute, dass sie in internationalen Debatten zu Hause sind, während sie die in der kontinentalen Tradition stehende Theologie ernsthaft in Gefahr sehen, provinziell zu werden. Das Problem internationaler Anschlussfähigkeit thematisiert Bauer anders – nichtsdestoweniger denkt auch er in Gegensätzen.

Während die deutschsprachige Theologie des 20. Jahrhunderts mit Karl Barth, Rudolf Bultmann, Karl Rahner, Hans Urs von Balthasar, Dietrich Bonhoeffer, Jürgen Moltmann, Hans Küng, Johann Baptist Metz, Dorothee Sölle und Joseph Ratzinger – eine in der Tat beeindruckende Reihe – die internationalen Debatten maßgeblich bestimmt habe, würden im 21. Jahrhundert selbst ihre herausragenden Entwürfe – Bauer nennt einzig den Ansatz von Thomas Pröpper – international nicht mehr wahrgenommen. Dafür – und dies sei aus postkolonialer Perspektive nur zu begrüßen – rezipiere die deutschsprachige Theologie nun ihrerseits internationale Debatten, und zwar entlang der Koordinaten Papst Benedikt XVI. versus Papst Franziskus, Radical Orthodoxy versus Konzilstheologie und Analytische Philosophie versus Cultural Studies. Europa werde im besten Sinne zur Provinz, zu einem Ort des Theologietreibens unter anderen. Nach Bauer stehen die genannten Gegensätze für sprachübergreifende und damit global wirksame Paradigmen, die sich „aufgrund intersektioneller Überlappungen“ zu einem theologisch „idealtypischen“ Begriffspaar zusammenziehen lassen würden: „Analytische“ gegen „Kontinentale“ Theologie (6).

„Neo-Neuscholastik“

Damit stehen zwei Reihen im Raum: das konservative Bündnis von Analytischer Philosophie, Papst Benedikt und der von dem anglikanischen Theologen John Milbank begründeten, dezidiert antiliberal auftretenden Radical Orthodoxy auf der einen Seite, das progressive Bündnis von Cultural Studies, Papst Franziskus und Konzilstheologie auf der anderen Seite. Folgt man diesem Bündnisschema, so gehört Bauer selbst dem Lager kontinentaler Theologie an: Er kommt von der Nouvelle Théologie und der französischen Postmoderne her, vertritt eine Theologie der Laien und zieht Papst Franziskus als Autorität heran.

Wie nicht zu übersehen ist, haben ihn die jüngeren Verlautbarungen aus dem Lager analytischer Theologie nachhaltig verstimmt, wobei er sich auf Äußerungen von Thomas Schärtl zur Unvereinbarkeit von postmoderner und analytischer Philosophie ebenso bezieht wie auf Benedikt Göckes kontrovers diskutiertes Plädoyer für eine analytisch ausgerichtete Fundamentaltheologie und Dogmatik. Bauer, der Schärtls Äußerungen als Abwertung postmoderner Philosophie und Göckes Plädoyer im Sinne eines Hegemonialanspruchs der Analytischen Theologie und der systematischen Fächer liest, sieht in der von beiden vertretenen Analytischen Theologie eine „de facto vorkonziliare Epistemologie“ (9) am Werk, die der Pluralität wissenschaftlicher Denkstile ebenso wenig gerecht werde wie der Pluralität der theologischen Fächer. Im Sinne einer „epistemischen Synodalität“ votiert er demgegenüber für eine „diskursive Weggemeinschaft von prinzipiell gleichberechtigten Paradigmen“ (19).

Ansätze zu einem gedeihlichen Miteinander sieht Bauer auch in der Analytischen Theologie – am Ende aber überwiegen doch die Vorbehalte: Insofern die Analytische Theologie aufgrund ihrer Orientierung an propositionalen Satzwahrheiten „ein Konzilsproblem“ (14) habe, ja schlimmstenfalls sogar einer „traditionalistischen Konzilskritik“ (15) nahestehe, insofern sie „für eine avancierte Form von geschichtsvergessener Neo-Neuscholastik“ (7) stehe und mit tendenziell antimodernen Positionen aufwarte, sei eine postmodern ausgerichtete Theologie gut beraten, sich an andere Strömungen zu halten. Bauer schwebt ein Bündnis zwischen postmoderner Theologie und transzendentaler Freiheitstheorie vor. Die Analytische Theologie dagegen verweist er an die Radical Orthodoxy.

Zumindest verstimmt durch Bauers Beitrag war einer der im Text regelmäßig Zitierten: der Münchner Fundamentaltheologe Thomas Schärtl, der sich in hohem Maße mit den Anliegen der Analytischen Philosophie identifiziert, philosophische und theologische Debatten jenseits seiner diskursiven Wahlheimat jedoch aufmerksam zur Kenntnis nimmt und keinesfalls als Vertreter einer vorkonziliaren Theologie gelten kann.

Er reagierte in einem offenen Brief an Bauer, der am 25./26. Mai 2022 auf Facebook veröffentlicht wurde, den alle, die dort nicht angemeldet sind, im „Münsteraner Forum für Theologie und Kirche“ finden können (www.theologie-und-kirche.de/analytische-theologie.html: Thomas Schärtl und Matthias Reményi replizieren auf den Leitartikel von Christian Bauer, 1–5). Schärtl nimmt Anstoß an dem Bild, das Bauer von ihm zeichnet: Er werde in dessen Beitrag als „bullig-besserwisserischer, vorkonziliarer, lebensweltfremder und antimoderner analytischer Theologe“ (1) dargestellt. Die Wut, die aus dem Artikel spreche, mache ihn ebenso fassungslos wie ratlos, weil er Bauers Arbeit, die die Grenzen zwischen systematischer und praktischer Theologie in fruchtbarer Weise durchlässig gemacht habe, seinerseits sehr schätze.

Schärtl weist die „Karikatur“ (1) seiner Person und Arbeit in mehreren Anläufen zurück: Als Schüler von Wolfgang Beinert, Peter Hünermann und Klaus Müller stehe er auf dem Boden des Zweiten Vatikanischen Konzils – „Lumen Gentium“ und „Gaudium et Spes“ seien zentrale Referenztexte seiner fundamentaltheologischen Vorlesungen. Insofern er Kant, Hegel, Schelling, Peirce und Wittgenstein mit Gewinn lese und verarbeite, sei er ohnehin „nie ein reiner Analytiker gewesen“ (4). Einen Essentialismus oder Neo-Aristotelismus vertrete er ebenso wenig wie einen naiven metaphysischen Realismus. Dass er seine wissenschaftliche Aufgabe in der metaphysischen Zurückweisung des atheistischen Naturalismus sehe und nicht in erster Linie in politischen Kategorien denke, bedeute nicht, dass er nur mit lebensfernen Spielereien beschäftigt sei. Immer wieder habe er sich außerdem kirchenpolitisch zu Wort gemeldet. Schärtl ist bemüht, das Bild von seiner Person und Arbeit zurechtzurücken – die Zuschreibungen von Bauer wiegen schwer. Er bemängelt außerdem, dass Bauer seine Äußerungen zur Postmoderne falsch wiedergegeben und Bemerkungen aus dem geschützten Raum eines Berufungsverfahrens preisgegeben habe.

Karrieregefährdend

Flankiert wurde Schärtls offener Brief durch eine Stellungnahme des Würzburger Fundamentaltheologen Matthias Reményi, die am 26. Mai 2022 auf Facebook erschien und ebenfalls im „Münsteraner Forum für Theologie und Kirche“ abrufbar ist (5–7). Reményi kritisiert, dass Bauer sein eigenes Anliegen eines legitimen Methodenpluralismus performativ unterlaufe, indem er mit den normativ aufgeladenen Zuschreibungen genau die Dualismen aufreiße, die er eigentlich überwinden wolle. Die „Schablonisierungen“ (6) seien für den wissenschaftlichen Nachwuchs aus der analytischen Szene karrieregefährdend und spielten Konzilstheologie und Analytische Theologie auf Kosten der Letzteren gegeneinander aus. Den Vorwurf pastoraler Blindheit weist Reményi ebenfalls zurück: Reformimpulse bezüglich der Weihe von Frauen oder der Anerkennung homosexueller Menschen seien gerade aus analytischer Richtung zu vernehmen. Reményi kann nach eigenem Bekunden nicht nachvollziehen, warum Bauer „dieses emanzipatorische, ideologie- und traditionskritische Potential analytischen Denkens“ (7) nicht wahrnehme. In den von Bauer vorgeschlagenen Allianzen zwischen Postmoderne und Freiheitstheorie einerseits und Analytischer Theologie und Radical Orthodoxy andererseits sieht er „ein unmoralisches Angebot zur Lagerbildung“, dem „eine klare Exklusionslogik“ (7) zugrundeliege.

Nach einem öffentlichen Gesprächsangebot von Christian Bauer an Thomas Schärtl und Matthias Reményi (Münsteraner Forum für Theologie und Kirche: Reaktion auf Thomas Schärtl und Matthias Reményi) folgte noch ein Beitrag von Michael Schüßler, Praktischer Theologe an der Universität Tübingen (Zur Kontroverse Bauer-Schärtl/Reményi um die analytische Theologie). Schüßler, der Bauers Text offenbar schon im Vorfeld der Publikation mit ihm diskutiert hatte, macht seinerseits auf die Bedeutung von „situierten Praktiken und Ereigniszusammenhängen“ gegenüber der in der Analytischen Tradition üblichen Fokussierung auf den „logischen Sinn von Sätzen“ aufmerksam.

Relevant sei nicht nur die Auseinandersetzung mit dem atheistischen Naturalismus, sondern auch die theologische Einholung der Menschenrechte oder die Überwindung der Differenz von Natur und Kultur angesichts von Klimawandel und Anthropozän. Schüßler beobachtet und begrüßt „so etwas wie einen ‚Practical Turn‘ in der Systematischen Theologie“: Das Gebot der Stunde sei Feldforschung mit empirischen und kulturanalytischen Methoden. Wissen, das rein spekulativ gewonnen werde, verliere zunehmend an Plausibilität und Orientierungskraft. Schüßler votiert von daher für neue transdisziplinäre Bündnisse entlang existentieller und gesellschaftlicher Problemstellungen. Sein Beitrag schließt mit dem Beleg, dass er die Brücke zur Analytischen Philosophie durchaus zu schlagen vermag: Die Analytikerinnen Sarah Coakley, Kate Manne und Sally Haslanger seien für seine Genderforschung wichtige Gesprächspartnerinnen.

Grund zur Hoffnung

So weit die Chronik. Es folgen vier Anmerkungen einer analytisch sozialisierten Kantianerin, die in der Fundamentaltheologie eine Bleibe gefunden hat.

Erstens: Der Streit ist nur die Spitze des Eisbergs. Hinter den Kulissen geht es nicht nur um theoretische Meinungsverschiedenheiten, sondern um die Blockierung oder Verhinderung von Karrieren sowie um diskursive Verleumdungen und Ausgrenzungen. Es geht um universitätspolitische Macht – und dies in Zeiten, in denen sich Theologische Fakultäten und Institute angesichts dramatisch sinkender Studierendenzahlen auf Stellenkürzungen einstellen müssen. Die Analytische Theologie hat diese Macht lange genutzt und offensiv ausgespielt – bestätigt durch den außerordentlichen Erfolg bei der Einwerbung von Drittmitteln, der neidlos anzuerkennen ist. Dass aus den Forschungsprojekten innovative Impulse zur Reflexion der Gottesprädikate oder des Gott-Welt-Verhältnisses hervorgegangen sind, verdient alle Achtung, und zwar auch vonseiten praktisch denkender Theologinnen und Theologen, denn es ist nicht nur von einer Theorierelevanz der Praxis, sondern auch von einer Praxisrelevanz der Theorie auszugehen. Es waren wohl der selbstsichere Auftritt und die mangelnde Wertschätzung anderer Strömungen, die das Pendel haben zurückschlagen lassen: Die Analytische Theologie steht mit dem Rücken zur Wand. Bauers Artikel schlägt genau in diese Kerbe – und spielt seinerseits Macht aus, allerdings von der Warte einer spätmodern auftretenden Pastoraltheologie aus.

Zweitens: Mit Matthias Reményi halte ich Bauers Kartographie für unterkomplex. Analytische Philosophie legt auf ein bestimmtes argumentatives Instrumentarium, nicht aber auf eine bestimmte Lehrmeinung fest: In der Analytischen Philosophie finden sich Anhänger eines metaphysischen Realismus genauso wie Anhänger eines metaphysischen Antirealismus; man trifft dort auf Aristotelikerinnen, Thomistinnen, Kantianerinnen und Hegelianerinnen; manche von ihnen machen Ontologie, andere Epistemologie, wieder andere Ethik, und einige von ihnen sind sogar in den Gender Studies unterwegs. Dies wird hierzulande nicht hinreichend wahrgenommen – Michael Schüßler ist offenbar eine Ausnahme. Vielleicht hat die Analytische Theologie im deutschsprachigen Raum ein Vermittlungsproblem; dass sie das Spektrum Analytischer Philosophie nur unvollständig abbildet, dürfte jedoch als sicher gelten. Den Gegensatz von analytischer und kontinentaler Tradition immer wieder neu zu bedienen, geht an der Sache vorbei und führt aus den diskursiven Sackgassen nicht heraus. Vor allem aber verfehlen die von Bauer vorgeschlagenen Bündnisse das von ihm selbst ausgerufene Ziel einer epistemischen Synodalität, weil sie Diskursgrenzen verstärken, produktive Kooperationen hemmen und gedankliche Freiheit einschränken.

Drittens: Gleichwohl trifft Bauers Artikel ins Schwarze. Die Analytische Religionsphilosophie der letzten Jahrzehnte hat die Bedeutung der Lebenswelt in der Tat verkannt. Weder hat sie die Relevanz der Moral für die Erkenntnis, noch hat sie die Auswirkungen der Metaphysik auf die Politik hinreichend berücksichtigt. Der Virtue Epistemology, einer tugendethisch grundierten Erkenntnistheorie, kommt das Verdienst zu, dass sie diese Lücken zumindest ansatzweise schließt, was sie zu einem zukunftsfähigen Projekt nicht nur Analytischer Religionsphilosophie macht. Dass Praxis ein theologiegenerativer Ort ist, und dass theoretische Entwürfe auch an ethischen Kriterien zu messen sind, schreibt Bauer der Analytischen Theologie von daher zu Recht ins Stammbuch. Überhaupt sind die Brückenschläge zwischen praktischer und systematischer Theologie nur zu begrüßen. Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wagen sich erst gar nicht aus ihrem Fach heraus, wohl auch in der nicht ganz unbegründeten Angst, es könnten eigene Wissenslücken zutage treten. Dass Bauer dieser Angst nicht erlegen ist, verdient Respekt, zumal sein Beitrag von einer guten Intuition für die blinden Flecken Analytischer Theologie zeugt.

Viertens: Auch wenn die Fronten zwischen der analytischen und der kontinentalen Fraktion schon seit längerer Zeit verhärtet sind, besteht Grund zur Hoffnung: Die an der Debatte Beteiligten verlassen – mehr oder weniger freiwillig – die Komfortzone der eigenen diskursiven Beheimatung und senden trotz des „great divide“, des großen Grabens zwischen den beiden Paradigmen (Bauer), immer wieder Signale wechselseitiger Anerkennung und Gesprächsbereitschaft aus – manchmal etwas spät, aber immerhin. Eine Generation vorher wäre es wohl nicht möglich gewesen, dass Professoren und Professorinnen ihre Verletzbarkeit öffentlich eingestehen, in öffentlichen Diskussionsforen Konflikte aufarbeiten und sich abseits des akademischen Diskurses auf ein Bier oder einen Kaffee einladen. Vielleicht ist die Theologie ja auf dem Weg zu einer neuen Debattenkultur: Angesichts kirchlicher Bedrängnis und wissenschaftlicher Unübersichtlichkeit ist sie jedenfalls gut beraten, über Diskurs- und Fächergrenzen hinweg zusammenzuarbeiten.

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