Reale Umsetzung

Warum die „Herder Korrespondenz“ vor sowie nach dem Konzil – und damit auch weiterhin – so eminent wichtig ist.

Mein persönlicher Weg als Theologe ist in einer besonderen Weise verbunden mit der Geschichte der „Herder Korrespondenz“. Die früheste Phase der HK nach der Gründung vor 75 Jahren habe ich zunächst als Student ab 1949, nach der Promotion als Abonnent seit 1958 und in persönlichen Begegnungen seit 1961 miterlebt.

Was mich als Theologiestudent an der HK faszinierte, war der eigene Stil der HK: nüchtern, ungeheuer informativ, das Leben von Kirche und Gesellschaft im Wort erschließend. Nach dem Krieg mit seiner Dominanz von ideologisch aufgeladenen Informationen der Nazizeit war die HK eine Monatsschrift, die mit einer Fülle von gut recherchierten Artikeln die Mannigfaltigkeit des öffentlichen Lebens von Religion, Kirche und Gesellschaft international aufzuschlüsseln begann. Die Hefte waren sehr klein gesetzt und lieferten so ein Maximum an Nachrichten und Beobachtungen. Das wohlabgewogene Wort war das Medium schlechthin. Hier wurden wesentliche Voraussetzungen für demokratisches Denken in Deutschland mitgestaltet. Hier wurden aber auch Voraussetzungen für eine moderne theologisches Sprache, Denken und Urteilen grundgelegt. Das war etwas anderes als die Sprache Pius XII. beziehungsweise die neuscholastische theologische Sondersprache. (Es würde sich meines Erachtens wirklich lohnen, die theologische Bedeutung der HK in der Vorbereitungsphase des Konzils zu untersuchen.) Im Gegensatz zu der These von Joseph Ratzinger in seiner letzten Ansprache als amtierender Papst für den römischen Klerus, die Presse habe ein völlig verkehrtes Bild vom wahren Vorgang des Konzils gezeichnet, meine ich, dass die Artikel der „Herder Korrespondenz“ theologisch hochkompetente und – journalistisch gesehen – brillante Leistungen waren.

Am Ende des Pontifikates von Paul VI. zeichneten sich deutlich eine Reihe von zentralen Problemen der Rezeptionsgeschichte des Konzils ab: Die Stellung der Frau in der Kirche, das Verständnis des Amtes, die Umformung der Anstaltskirche in eine „Kirche in der Welt“, die Differenzen der Entwicklung in einzelnen Kontinenten. Ratzinger und Papst Johannes Paul II. sahen das Zweite Vatikanum als ein Konzil, das den festgelegten Dogmen neue Lehren an die Seite gestellt hat. Johannes Paul II. hatte sich noch als Kardinal bei seiner großen Rezeptionseröffnung des Konzils in seiner Diözese Krakau auf Paul VI. darauf berufen.

Für die HK ergab sich damit eine neue Situation. Sie berichtete genau und detailliert über Religion und Gesellschaft mit den dramatischen Entwicklungen in Ost und West, öffnete sich gerade in diesem Bereich auch für die grundlegenden theologischen Sachkonzeptionen. Persönlich habe ich 18 Artikel in diesen Jahren in der HK publiziert. Dies begann bezeichnenderweise 1976/77 mit einem Beitrag „Roma locuta – causa finita? Zur Argumentation der vatikanischen Erklärung über die Frauenordination.“ Ich arbeitete nach der Würzburger Synode in der Kommission der Bischofskonferenz mit, die den Entwurf des Codex Jurisdictionis auf die Frauenproblematik hin überprüfen sollte. In diese Arbeit hinein platzte „Ordinatio Sacerdotalis“. Die anderen Artikel entstanden im Grunde alle in ähnlichen Situationen. Es waren Stellungnahmen die die Beurteilung der Befreiungstheologie betrafen, den Umgang mit der Piusbruderschaft oder etwa den Anstaltscharakter der Kirche in Europa.

Als Plattform hat die „Herder Korrespondenz“ der Theologie einen wichtigen Ort geboten und sie zugleich immer wieder in ihren kirchlichen und gesellschaftlichen Bewandtniszusammenhang gestellt. In dieser langen Periode der Pontifikate von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. war die HK ein Halt für kritisch denkende Glaubende.

Zum Abschluss dieses Rückblicks ein Votum für die Zukunft der HK: Papst Franziskus hat seit seiner ersten Erklärung der Ziele seines Pontifikates auf das hingewiesen und hingearbeitet, was das Vorbereitungsdokument „Für eine synodale Kirche: Gemeinschaft , Teilhabe und die Umsetzung“ ausmacht. Es geht faktisch um den Schritt vom Aufriss zur realen Umsetzung des Zweiten Vatikanums. Das Echo, das diese Publikation ausgelöst hat, erinnert mich fatal an das Echo, das die Ankündigung des Konzils durch Johannes XXIII. in St. Paul ausgelöst hat: Kopfschütteln und Schweigen. Erst sehr langsam gewann das Vorhaben Johannes’ XXIII. öffentliche breite Zustimmung auch im Kreis der Kurienkardinäle und der Bischöfe. Viele Christen sind misstrauisch, trauen der Kirche Jesu Christi keine Geisteskraft und Umkehr-Dynamik mehr zu. Viele Bischöfe sind verstrickt ins Klein-Kleine. Die „Herder Korrespondenz“ möge – wie vor dem Zweiten Vatikanum – den Mut und die Zuversicht im Glauben aufbringen.

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