Die Gentechnikdebatte duldet keinen AufschubBiopolitik und Ethik

Die Diskussion über bioethische Fragen hat in Deutschland im zurückliegenden Jahr an Schärfe und Vehemenz gewonnen. Die konkreten Projekte Stammzellforschung, Präimplantationsdiagnostik (PID) und die Biopatentierung stehen zur parlamentarischen Beratung und Entscheidung an. Der Mainzer Moraltheologe Johannes Reiter informiert und bewertet.

Die deutsche Bioethikdebatte hat seit dem Sommer, zumindest in den Medien, eine neue Reflexionsstufe erreicht, indem sie sich selbst zum Gegenstand geworden ist. Den Stein ins Rollen gebracht hatte Johannes Rau mit seiner berühmten Berliner Rede „Wird alles gut. Für einen Fortschritt nachmenschlichem Maß“ vom 18. Mai 2001 (vgl. HK, Juni 2001, 284 ff.). Der Bundespräsident brachte das Unbehagen vieler Menschen angesichts der Fortschritte in der Gen- und Reproduktionstechnik auf den Punkt, forderte Grenzen und gab Orientierung, wie dies auch die deutschen Bischöfe mit ihrer Erklärung „Der Mensch: sein eigener Schöpfer.“ vom 7. März 2001 getan haben. Rau sprach als Volkes Stimme, als er feststellte, dass die Wissenschaft dabei sei, ihre Grenzen zu überschreiten und sich eine Sondermoral zu geben, wobei sie Ethik und Forschung durcheinander bringe, indem sie den „Stand der Forschung“ zum Kriterium für Entscheidungen über Würde und Moral mache. Dabei werde Ethik allerdings zu einer variablen Größe, die vor allem von Therapieaussichten und Marktchancen abhängig sei. Die zweifelhafte Ehre einer Gegenrede zu Rau kam dem Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft, Hubert Markl, zu (teilweise dokumentiert in der FAZ, 25. Juni 2001). Für Markl, dessen Rede durchaus bedenkenswert ist, aber an vielen Stellen Sprengstoff enthält und zum Widerspruch herausfordert, ist es gerade umgekehrt. Die Menschenwürde sei der Imperativ, Grenzen zu überschreiten, um die Bedingungen des Lebens zu verbessern und freie Entscheidungen zu vermehren. Die Grenzen der Wissenschaft und moralische Entscheidungen sind nach Markls Auffassung aber nichts anderes als Variablen politischer Absichten. Die Anschauungen vom Menschen und vom Menschsein, die Rede von der Menschenwürde sind für ihn bloßer Ausdruck menschlicher Übereinkunft, kulturgemacht, daher relativ und revidierbar.

Bioethikdebatte als Kulturkampf

In der Tat ist es die Menschenwürde, die das Zentrum der ethischen Selbstverständigung ausmacht. Wann beginnt das Leben eines Menschen? Und ab wann kommt ihm Menschenwürde zu? Wo sind dem Forschen und Verwerten Grenzen zu ziehen? Wie sieht unser Menschenbild aus, und welche Art von Gesellschaft wollen wir? Der Verfassungsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde hat dargelegt (vgl. FAZ, 27. Juli 2001), wie mit dem Menschenbild der erste Artikel unseres Grundgesetzes – „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – steht und fällt. Vom Menschenbild hänge es ab, wer Menschenrechte genießt. Böckenförde weist darauf hin, dass dem „geltenden Recht eine kohärente Auffassung vom Menschen überhaupt abhanden“ komme. Dies bleibt nicht ohne Folgen. „Verblasst aber zunehmend das Rechtsbild des Menschen von sich selbst, so verliert das Recht für die konkrete, gar richtige Lebensführung an Orientierungskraft.“

Wo lassen sich dann aber der Wissenschaft Grenzen setzen, wer bleibt noch Subjekt der Menschenwürde? Darauf und in direkter Erwiderung auf Markl antwortete der Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung und frühere Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), Wolfgang Frühwald (vgl. Forschung und Lehre 8 [2001], 402–405). Die Emporstilisierung des Bioethikdiskurses als „Kulturkampf“ stammt von ihm. Es sei nämlich, so Frühwald, „die Kontroverse zu einer Auseinandersetzung um ein christliches, zumindest kantianisches Menschenbild auf der einen Seite und ein szientistisch-sozialdarwinistisches Menschenbild auf der anderen Seite geraten“. Frühwald wirft Markl, aber auch dem derzeitigen Präsidenten der DFG, Ernst Ludwig Winnacker, vor, die grundsätzliche Dimension der bioethischen Debatte zu verkennen und die DFG mit ihren Empfehlungen zur Forschung an menschlichen Embryonen und dem Stufenplan zur Forschung vom 3. Mai 2001 auf einen rein pragmatischen Kurs in der Embryonenforschung einzuschwören. Nach Frühwald geht es in der Debatte um weit mehr als um Konditionen für die Forschung an embryonalen Stammzellen. Frühwald, ein Kenner der Gen-Forschungsdebatte, sieht diese nach einem „immer gleichen Schema“ verlaufen: „Zuerst der Jubelschrei über ein neues Forschungsergebnis, dann der Entsetzensschrei über die gesellschaftliche Wertung des Ergebnisses und über seinen möglichen Missbrauch! Beruhigung und politische Entschiedenheit werden demonstriert, dann folgt eine Diskussionspause – und nach einem Jahr ist ein neues Forschungs-Faktum geschaffen“ (SZ, 2. August 2001). Wer so hart an den Grenzen des Zumutbaren forscht wie die moderne Lebenswissenschaft, müsse, so Frühwald, andere Argumentationsmuster finden, als sie die Grundlagenforschung alten Stils zur Verfügung hatte. „Wo zwei grundgesetzlich geschützte Werte wie die menschliche Würde und die Forschungsfreiheit gegeneinander geführt werden, können Diskussionen um den Forschungsstand, um mögliche Gesetzeslücken oder kleinteilige Verfahrensregelungen nicht weiterführen.“ Es gehe vielmehr um die alte Utopie vom „perfektionierten Menschen“ und um grundsätzliche Grenzen der menschlichen Würde. Bevor diese Grenzen überschritten werden, müsse sich die Gesellschaft ihres Menschenbildes vergewissern.

Manche, und unter ihnen befindet sich auch der Bundeskanzler, sehen mit einer gewissen Skepsis, dass sich in dieser Debatte eine christliche oder gar katholische Sondermoral durchzusetzen versuche. Da ist die Argumentation des diesjährigen Friedenspreisträgers des Börsenvereins des deutschen Buchhandels, Jürgen Habermas, bemerkenswert. In seiner Dankrede thematisierte der sich als „religiös unmusikalisch“ bezeichnende Sozialwissenschaftler ebenfalls den Streit zwischen Gentechnik und Bioethik und stellte dabei immerhin fest, dass die säkularisierten modernen westlichen Gesellschaften offenbar die Bedürfnisse vieler Menschen auf diesem Feld nicht mehr befriedigen. In der von Naturwissenschaftlern und Ökonomen auf der einen, Kirchenvertretern und religiös denkenden Politikern auf der anderen Seite geführten Debatte gehe es um das große Traditionsthema „Glaube und Wissen“ (vgl. auch HK, November 2001, 546 f.). Bisher, so Habermas, „mutet ja der liberale Staat nur den Gläubigen unter seinen Bürgern zu, ihre Identität gleichsam in öffentliche und private Anteile aufzuspalten. Sie sind es, die ihre religiösen Überzeugungen in eine säkulare Sprache übersetzen müssen, bevor ihre Argumente Aussicht haben, die Zustimmung von Mehrheiten zu finden. So machen heute Katholiken und Protestanten, wenn sie für die befruchtete Eizelle außerhalb des Mutterleibes den Status eines Trägers von Grundrechten reklamieren, den (...) Versuch, die Gottebenbildlichkeit des Menschengeschöpfs in die säkulare Sprache des Grundgesetzes zu übersetzen. Wo aber, wie bei der Gentechnik, existenziell relevante Fragen auf die politische Agenda kommen, dürfen säkulare Mehrheiten keine Beschlüsse durchdrücken, bevor sie nicht dem Einspruch von Opponenten, die sich davon in ihren Glaubensüberzeugungen verletzt fühlen, Gehör geschenkt haben. Sie müssen diesen Einspruch als eine Art aufschiebendes Veto betrachten, um zu prüfen, was sie daraus lernen können“ (vgl. SZ, 15. Oktober 2001). Schon vorher hatte Habermas in seinem Marburger Vortrag seine „ethische Hemmung gegen PID“ und seine „Abscheu vor verbrauchender Embryonenforschung“ zum Ausdruck gebracht und dafür plädiert, den Embryo „unabhängig von irgendeiner ontologischen Überzeugung über den Anfang des personalen Lebens“ als jemanden zu betrachten, der in der Diskursgesellschaft eine eigene Stimme hat: „Wir sollten ihn in Antizipation seiner Bestimmung wie eine zweite Person behandeln, die sich, wenn sie geboren würde, zu dieser Behandlung verhalten könnte“ (FAZ, 30. Juni 2001; vgl. neuestens J. Habermas, Die Zukunft der menschlichen Natur. Auf dem Weg zu einer liberalen Eugenik? Frankfurt 2001, 120).

Die Terroranschläge in den USA, die darauf folgende Afghanistan-Offensive, der Einsatz von biologischen Waffen und schließlich düstere Konjunkturdaten haben die Gendebatte aus den Schlagzeilen verdrängt. Das ändert aber nichts an der Dringlichkeit des gesetzgeberischen Handlungsbedarfs. Regierungskoalition, aber auch Opposition, sehen sich mit einer Fülle schwieriger Fragen konfrontiert, die noch manchen politischen Streit verursachen werden. Stammzellen, Embryonenforschung, Präimplantationsdiagnostik, Biopatentierung sind nach wie vor die Themen, die auf der Agenda stehen und dringend auf eine Regelung warten. Als Ergebnis der bisherigen, sowohl in einer breiten Öffentlichkeit als auch in den unterschiedlichen Gremien wie etwa der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages, dem Nationalen Ethikrat und der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer geführten Diskussion gilt die Einsicht, dass man die aufgeworfenen Fragen nicht mehr nur pragmatisch – wie zum Beispiel Haushaltsfragen – lösen kann, sondern dass ihre Lösung die Besinnung auf anthropologische Grunddaten voraussetzt.

Ist das ungeborene Leben schon menschliches Leben?

Die Notwendigkeit ethischer und rechtlicher Grenzziehungen hängt wesentlich von der Frage ab, welcher moralische Status dem vorgeburtlichen menschlichen Lebewesen zukommt. Wann beginnt überhaupt das Leben eines Menschen, und inwieweit steht die pränatale Phase unter dem gleichen Schutz, der generell dem Leben des Menschen nachgeburtlich zukommt? Wie lässt sich seine Schutzwürdigkeit begründen? Kommt dem Menschen vor der Geburt bereits Würde und Personalität zu – und wenn ja, ab wann? Ist die Menschwerdung des Menschen ein kontinuierlicher Prozess oder ist sie ein durch Zäsuren unterbrochenes Geschehen, das es rechtfertigen würde, Personalität und Würde nicht ab der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle anzusetzen? Und was folgt aus der Beantwortung dieser Fragen für den Umgang mit Embryonen? Die Diskussion um diese nicht grundsätzlich neuen, in den vergangenen Monaten aber neu aufgebrochenen Fragen wird sowohl von der naturwissenschaftlichen (vgl. etwa nur Christiane Nüsslein-Volhard, Wann ist ein Tier ein Tier, ein Mensch kein Mensch?, in: FAZ, 2. Oktober 2001) als auch von der geisteswissenschaftlichen Seite mit weiteren Differenzierungen und neuen Akzentsetzungen geführt. Man vergleiche dazu etwa das sehr differenzierte und auch die Theologen auf Forschungsdesiderate hinweisende Eröffnungsreferat von Kardinal Karl Lehmann auf der Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Fulda vom 24. September 2001: „Das Recht, ein Mensch zu sein. Zur Grundfrage der gegenwärtigen bioethischen Probleme.“

Bei der Frage nach dem Beginn des Lebens eines Menschen stehen sechs unterschiedliche Theorien zur Diskussion. Nach der ersten Theorie nimmt ein menschliches Lebewesen im Augenblick der Verschmelzung der Keimzellen seinen Anfang. Für die Annahme dieses Zeitpunktes werden zwei wichtige Gründe genannt: Der erste Grund ist die völlig neue biologische Realität, die aus der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle entsteht, mit einem eigenen Steuersystem oder Lebensprinzip. Es handelt sich um ein neues Wesen, dessen Entwicklung durch die ihm eigenen Gene bestimmt und vorangetrieben wird. Man geht davon aus, dass hier bereits volles, das heißt individuelles menschliches Leben gegeben ist. Der zweite Grund für die Annahme, dass es sich hier um individuelles Leben handelt, ist die Radikalität seines Anfangs. Im Verlauf der weiteren Entwicklung zeigt sich kein derart gravierender Einschnitt mehr, wie ihn die Verschmelzung der Keimzellen darstellt, auch wenn die Verschmelzung der Gameten nicht punktuell, sondern prozesshaft zu verstehen ist. Vor der Verschmelzung gibt es die Ei- und Samenzelle je für sich, zwar mit einer Fülle von Informationen und einer immensen Lebensenergie, aber wenn sie für sich bleiben, geht alles in kürzester Zeit verloren. Auch die Tatsache, dass der im Labor erzeugte Embryo für seine Weiterentwicklung der Gebärmutter einer Frau bedarf, ist kein Grund für eine Abwertung seines moralischen Status und die Beschränkung seines Schutzes. Denn von Seiten des Embryos liegen alle Voraussetzungen für einen selbstgesteuerten Lebensprozess vor. Es ist derzeit auch nicht absehbar, wie weit die Entwicklung menschlicher Embryonen, über das Morula-Stadium (d.h. als „Zellhaufen“) hinausgehend, in einer künstlichen Gebärmutter in Zukunft verbessert und wann die natürliche Gebärmutter durch eine künstliche ersetzt werden kann. Einer zweiten Theorie zufolge beginnt das Leben nach Abschluss der Einnistung, also um den fünften bis neunten Tag. Erst bei der Einnistung stelle sich der mütterliche Organismus auf die Versorgung des Embryos ein. Demgegenüber steht die Auffassung, dass die hormonelle Umstellung des mütterlichen Organismus nicht erst mit der Nidation einsetze, sondern ein fließender Prozess sei; auch schon vor der Nidation werde das befruchtete Ei ernährt und ihm so die Fortentwicklung ermöglicht. Auf den Zeitpunkt der Einnistung und den „unersetzbaren“ Beitrag des mütterlichen Organismus für die Entwicklung des Embryos hat kürzlich die Nobelpreisträgerin Nüsslein-Volhard hingewiesen. „Erst während dieser erstaunlichen und wundersamen Symbiose wird das Programm ausgeführt.“ Schon vorher hatte der Naturphilosoph Christian Kummer darauf aufmerksam gemacht, dass die Expression der genetischen Information im weiteren Entwicklungsverlauf nur im Zusammenspiel mit äußeren, über die Zellmembran wirksamen Reizen erfolgt und die Ausbildung des Primitivstreifens sowie die Ausrichtung der späteren Körperachse auf Positionssignale antworten, die vom mütterlichen Organismus ausgehen. Allerdings gehen solche Signale auch von der befruchteten Eizelle aus, die bei der Frau das Vorbereitungsprogramm für die Einnistung erst aktivieren. Die von Nüsslein-Volhard angeführten Hinweise sind durchaus mit der Annahme vereinbar, dass der Embryo von Anfang an über die Potenz zur vollständigen menschlichen Entwicklung verfügt. Nach deren Forschungsergebnissen muss zwar einerseits auch berücksichtigt werden, dass der Embryo für die Umsetzung der in ihm bereits angelegten Entwicklungsmöglichkeiten auf Anreize angewiesen ist, die aus der Beziehung mit dem mütterlichen Organismus hervorgehen.

Andererseits kann das Verwiesensein der Embryonalentwicklung auf die vom mütterlichen Organismus ausgehenden Anreize nicht in dem Sinne interpretiert werden, als sei die im Embryo angelegte genetische Information zum Zeitpunkt der Befruchtung noch nicht abgeschlossen. Die Entwicklung im Uterus verschafft dem Embryo kein neues Potenzial. Vielmehr lassen die genannten Erkenntnisse den Schluss zu, dass der Embryo, sofern ihm die notwendigen biologischen Voraussetzungen gewährt werden, durchaus in der Lage ist, die in ihm angelegten Potenziale kontinuierlich zu entfalten. Die Umgebungsbedingungen sind zwar notwendig für die Entwicklung, aber nicht hinreichend für das Selbstsein des Embryos. Bei der Nennung der Einnistung als Termin für den Beginn eines menschlichen Lebewesens dürften auch kriminologische Erwägungen eine Rolle spielen, insofern nämlich Eingriffe in die Embryonalentwicklung vor der Einnistung kaum nachzuweisen sind. Hinzu kommt auch das Interesse an der Zulassung der Nidationshemmer (intrauterine Spirale und Pille danach) als Verhütungsmittel. Als dritte Theorie für den Lebensbeginn wird das Ende der Möglichkeit zur Mehrlingsbildung genannt: Der Grund für diesen Ansatz ist die Überlegung, dass ein Individuum nicht noch einmal in zwei oder noch mehr Individuen oder Personen geteilt werden könne. Also sei vor dem Ende der Möglichkeit zur Mehrlingsbildung – die grundsätzliche Teilungsfähigkeit besteht etwa bis zum 13. Entwicklungstag – noch kein individuelles menschliches Lebewesen vorhanden, sondern lediglich artspezifisches Leben, aus dem das Individuum oder die Individuen erst herauswüchsen. Dem wird entgegengehalten, man dürfe Individualität nicht mit Singularität verwechseln und der Begriff Individuum stehe für Ungeteiltes und nicht Unteilbares. Eine Teilung könne schon vor der Mehrlingsbildung vorliegen, ohne sie mit dem gegenwärtigen Instrumentarium feststellen zu können.

Der moralische Status von Embryonen

Eine vierte Theorie sieht den Lebensbeginn erst im Verlauf des dritten Monats, mit der Entwicklung des Gehirns gegeben: Der Grund für diesen Termin ist eine vermeintliche Entsprechung von Anfang und Ende der Hirntätigkeit: So wie der Ausfall der Gehirntätigkeit das Ende des Menschen bedeutet, so sei ihr Einsetzen sein Beginn. Dagegen wird eingewandt, dass Anfang und Ende der Gehirntätigkeit nicht in völliger Parallele zu sehen seien. Nach dem Erlöschen der Gehirntätigkeit sei der Mensch tot. Der Embryo sei aber schon vor der Entstehung seines Gehirns sehr lebendig. Die fünfte Theorie geht davon aus, dass das Leben eines Menschen irgendwann während der Schwangerschaft oder sogar erst mit der Geburt beginnt, wenn das Leben von der Mutter oder der Gesellschaft angenommen wird: Als Grund für diesen Termin gilt der Gedanke, dass der Mensch sich erst durch Beziehung zu anderen verwirkliche. Zu dieser Position wird kritisch angemerkt, dass für den Vollzug menschlichen Lebens Beziehungen zu Mitmenschen ein wichtiges Faktum sind; davon aber die Definition eines menschlichen Lebewesens abhängig zu machen, scheine unmöglich, nicht zuletzt im Hinblick auf bereits geborene Menschen, die – aus welchen Gründen auch immer – keine Beziehungen pflegen könnten. Und erst recht könne der Menschen- beziehungsweise Personenstatus nicht durch die Anerkennung der Gesellschaft definiert werden, diese könnte ihn dann auch jederzeit aberkennen. Es ist heute jedoch fast einhellige Meinung der Philosophie und Theologie, dass Recht und Anspruch auf Leben einem Menschen von Natur aus zukommen beziehungsweise von Gott gegeben werden. Die sechste und extremste Theorie setzt den Beginn des Menschenlebens erst während der ersten Lebensjahre an, wenn das Kind Selbstbewusstsein und die Fähigkeit zu freier Entscheidung erlangt hat. Dies ist die These von Peter Singer. Die genannten Kriterien treffen jedoch weder bei einem Embryo noch bei einem Kleinkind zu, sondern ergeben sich erst im Laufe der Entwicklung. Dem gegenüber steht der Einwand, dass bei dieser Position das Bild des Menschen, wie es in der Tradition der letzten Jahrhunderte verstanden wurde, verkürzt wird, nämlich auf den aktuellen Besitz von geistigen Fähigkeiten. Nach fast einhelliger Meinung von Philosophie und Theologie macht nicht der aktuelle Besitz von Verstand und Freiheit den Menschen aus, sondern bereits die Anlage (Potenzialität) dazu; andernfalls könnten auch Schlafende und Bewusstlose keine Menschen genannt werden.

Die Skeptiker, die es nach wie vor in dieser Frage nach dem Beginn eines menschlichen Lebewesens geben wird, seien auf eine Meta- oder Klugheitsregel aus der ethischen Tradition hingewiesen, die auf dem Prinzip des Tutiorismus beruht. Sie besagt, dass man bei Entscheidungen, insbesondere bei solchen, die das Leben betreffen – und die Theologie fügt noch das Seelenheil hinzu –, bei denen es mehrere Alternativen gibt, die sicherere Variante wählen soll. Dem entspricht die Theorie 1: Leben beginnt mit der Vereinigung von Ei- und Samenzelle. Jede Terminierung zu einem späteren Zeitpunkt trägt mehr oder weniger die Signatur der Willkür. Diese Theorie entspricht auch der Meinung der beiden großen Kirchen sowie der 13 kleineren Kirchen, die in der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland vertreten sind (vgl. Gott ist ein Freund des Lebens, Trier 1989, Teil IV, Nr. 4). Bei der Frage nach dem moralischen Status als der Frage nach dem Umfang und Grund der Schutzwürdigkeit des Embryos werden in der Gesellschaft im Wesentlichen zwei einander nicht anzunähernde Grundpositionen vertreten. Die Vertreter der ersten Position nehmen einen absoluten und substanziellen Lebensschutz an. Sie gehen von der Unteilbarkeit der Menschenwürde und dem Werturteil aus, dass dem Menschen von Anfang an Menschenwürde und Lebensschutz zukommen. Der Schutz der Menschenwürde ist nicht gegen andere Güter abwägbar. Leben kann, wenn überhaupt, nur gegen Leben abgewogen werden. Vertreter der zweiten Position vertreten einen relativen oder prozeduralen Lebensschutz. Dieses abgestufte Lebensschutzkonzept geht davon aus, dass die Menschenwürde im Laufe der Entwicklung eines Menschen erst nach und nach erworben wird. Die dem Menschen als Subjekt und Person geschuldete volle Schutzwürdigkeit wäre demnach erst in einem bestimmten Stadium des Menschen anzunehmen. Die zuvor referierten Überlegungen zum Lebensbeginn und zum moralischen Status sind für die ethische Bewertung der meisten bioethischen Fragen maßgebend. Dass es hier in der Gesellschaft unterschiedliche Auffassungen gibt, hängt mit der jeweils bezogenen Position zusammen. Von Seiten der katholischen Moraltheologie wird in Übereinstimmung mit der modernen Embryologie nahezu einhellig – was den Lebensbeginn anbelangt – die Theorie 1 (Verschmelzung von Ei- und Samenzelle) und – was den moralischen Status betrifft – die Position 1 (absoluter und substanzieller Lebensschutz) vertreten. Unter den evangelischen Ethikern findet sich ein breiteres Meinungsspektrum, das zum Teil der offiziellen Position der EKD entgegensteht. Dennoch sollte man die unterschiedlichen Auffassungen nicht konfessionalisieren. Wenn man genauer hinsieht, stellt man nämlich schnell fest, dass die Allianzen in den entscheidenden Fragen der Bioethik über Kreuz laufen. Links und rechts, katholisch und evangelisch versagen als Kategorien der Parteienbildung.

Was die konkreten Anwendungsfragen anbelangt, hat auf der bioethischen Themenliste die Stammzellforschung absolute Priorität. Die DFG hat im Rahmen ihres Schwerpunktprogrammes „Embryonale und gewebsspezifische Stammzellen: Regenerative Zellsysteme für Zell- und Gewebeersatz“ über einen Antrag auf Förderung eines Projektes von Bonner Wissenschaftlern zu entscheiden, das den Import embryonaler Stammzellen vorsieht. Wegen schwerwiegender öffentlicher Bedenken und um der noch ausstehenden parlamentarischen Beratung nicht vorzugreifen, hat die DFG ihre Entscheidung bis zum 7. Dezember dieses Jahres vertagt. Da das Parlament, dessen Zeitplan durch die Ereignisse des 11. September durcheinander gekommen ist, erst am 24. oder 25. Januar 2002 über die Stammzellforschung beraten kann, haben die Fraktionsvorsitzenden der Parteien der SPD, CDU/CSU sowie der Grünen und der Bundestagspräsident die DFG gebeten, ihre Entscheidung bis dahin aufzuschieben. Ob die DFG dieser Bitte entsprechen wird, ist bislang noch fraglich. Mit einem Import sind jedoch die anstehenden Probleme nicht gelöst. Notwendig ist eine grundsätzliche Urteilsbildung und Entscheidung über die Gewinnung und den Einsatz der verschiedenen embryonalen oder adulten Stammzellsorten sowie eine Prioritätensetzung. Stammzellen sind Zellen, die sich durch Zellteilung selbst erneuern und in einzelne oder mehrere Zelltypen ausreifen können. Sie gehören daher zu den begehrtesten Rohstoffen der Medizin. Zunächst will man mit ihnen grundlegende biologische Fragen klären, wie etwa die Entstehung von Krankheiten, deren Ursachen Fehldifferenzierungen oder Zelldegenerationen sind (zum Beispiel Krebs). Damit verbunden ist die Hoffnung auf Therapien, deren Realisierung, wenn überhaupt, noch viele Jahre dauern kann. Hierbei spielt die tierexperimentelle Forschung als Voraussetzung für den Übergang zu Versuchen am Menschen eine wichtige Rolle.

Grünes Licht für Forschung mit embryonalen Stammzellen?

Auch in der Bevölkerung hat die Diskussion über die Forschung an embryonalen Stammzellen zwischenzeitlich große Aufmerksamkeit erlangt. Ihre rechtliche und ethische Erlaubtheit wird kontrovers diskutiert. Dabei liegt die ethische Problematik dieser Forschung nicht in den eventuell möglichen Therapien – diese werden von allen gewollt und für sinnvoll erachtet –, sondern in der Herkunft und in der Art der Gewinnung solcher Stammzellen. Fünf Gewinnungsverfahren von Stammzellen lassen sich unterscheiden. Bei dem ersten Verfahren entnimmt man die Stammzellen aus Embryonen, die bei der Retortenbefruchtung übrig geblieben sind (embryonale Stammzellen oder ES-Zellen = Embryonic Stem Cells). In Deutschland soll es nach Auskunft des Registers zur In-vitro-Fertilisation (der Befruchtung außerhalb des Körpers) aus den Jahren 1998 bis 2000 genau 71 solcher verwaister Embryonen geben. Darüber hinaus seien noch 32123 Eizellen im Vorkernstadium eingefroren. Eine anders lautende Zahl liegt aus dem Bundesgesundheitsministerium vor; danach soll es 61370 Zellen im Vorkernstadium geben. Als Vorkernstadium bezeichnet man, wenn aus dem Kern der Eizelle der weibliche Vorkern und aus dem Kern der Samenzelle der männliche Vorkern geworden ist (etwa 16 bis 18 Stunden, nachdem eine Samen- in eine Eizelle eingedrungen ist), beide Vorkerne aber noch nicht verschmolzen sind.

Menschliche Lebewesen werden als bloßes Mittel behandelt

Stammzellforschung mit überzähligen Embryonen ist ein Eingriff in ihr Recht auf Leben und ihre Integrität sowie ein Verstoß gegen die Menschenwürde. Indem der Embryo getötet (oder zumindest in seine körperliche Unversehrtheit eingegriffen) wird, um Forschung betreiben zu können, wird er nicht als Zweck an sich, sondern nur als bloßes Mittel behandelt. Seine Subjektqualität wird prinzipiell in Frage gestellt. Dies gilt auch für einen verwaisten todgeweihten Embryo. Auch sterbenden Menschen kommt Menschenwürde zu. „Todesnähe macht aus den Betroffenen keine Leichname, und Chancenlosigkeit für ein Weiterleben eröffnet nicht die Möglichkeit des lebenszerstörenden Zugriffs“ (Wolfram Höfling). Das Verbot, den Menschen zum Objekt zu machen, das heißt als Mittel zum Zweck zu behandeln, gilt bis zu seinem Tod. Zwar werden sich so genannte überzählige Embryonen voraussichtlich nicht mehr zum geborenen Menschen entwickeln, weil sie keine Mutter haben. Diese verringerte Chance liegt aber nicht in ihrer eigenen Entwicklungsfähigkeit begründet, denn unter günstigen Rahmenbedingungen könnten sie geboren werden. Daher verlieren sie durch die Entscheidung der Mutter, sie nicht zu implantieren, nicht ihren Anspruch auf Achtung ihrer Menschenwürde. Wenn es um die Rettung überzähliger Embryonen geht, sollte man auch die Möglichkeit ihrer Adoption ins Auge fassen. Das Embryonenschutzgesetz verbietet diese Möglichkeit nicht. Der Unterschied der „Präimplantations-Adoption“ zu der durch das Embryonenschutzgesetz verbotenen Leihmutterschaft liegt darin, dass hier einem verwaisten Embryo zu Eltern verholfen wird und nicht kinderlosen Eltern über eine Leihmutter zu Kindern verholfen wird. Die „Adoptionsmutter“ trägt das Kind ja für sich aus und übergibt es nicht nach der Geburt wieder anderen Eltern. Scheidet diese Möglichkeit aus, ist die weitere Kryokonservierung (Einfrieren) noch die bessere Alternative gegenüber dem Verbrauch. Es gibt auch Überlegungen, dass man die so genannten verwaisten Embryonen sterben lässt; ein solches Schicksal, das unser aller ist, sei jedenfalls humaner als die Verzweckung zur Forschung.

Die zweite Art der Stammzellgewinnung erfolgt durch Klonierung nach der Dolly-Methode. Hier ist zu bedenken, dass auch die Herstellung von Embryonen für Forschungszwecke ein Verstoß gegen die Menschenwürde ist. Menschliche Lebewesen werden hier nicht als Selbstzweck behandelt, sondern als Mittel zur Erfüllung der Interessen anderer eingesetzt. Ethisch bedenklich ist auch, dass für dieses so genannte therapeutische Klonen Eispenden von Frauen in großer Zahl benötigt werden und eine Ökonomisierung der Eispende nicht ausgeschlossen werden kann. Den Umstand, dass hier menschliche Embryonen durch Klonierung eigens für Forschungszwecke hergestellt werden, könnte man als noch mehr verwerflich betrachten als die Verwendung sowieso schon vorhandener, „überzähliger“ Embryonen. Bei der dritten Art der Gewinnung werden die Stammzellen aus den primordialen Keimzellen (EG-Zellen = Embryonic Germ Line Stem Cells) von Embryonen nach Schwangerschaftsabbrüchen oder aus Spontanaborten gewonnen. Die Gewinnung von EG-Zellen ist nach den Vorschriften des Embryonenschutzgesetzes nicht verboten und in den „Richtlinien zur Verwendung fetaler Zellen und fetaler Gewebe“ der Bundesärztekammer geregelt. Die medizinische Verwendbarkeit dieser Zellen ist jedoch sehr begrenzt. Ethisch problematisch ist die Forschung an EG-Zellen von abgetriebenen Feten, weil die Abtreibung als solche ethisch nicht gebilligt werden kann. Zudem könnten Eltern sich von dem Gedanken leiten lassen, auf diese Weise mit der Abtreibung noch etwas Gutes zu bewirken. Stammzellen werden viertens aus Nabelschnurblut und fünftens aus adulten Zellen, also von Zellen Erwachsener gewonnen. Die beiden letztgenannten Gewinnungsarten stellen keine besonderen ethischen Probleme dar.

Die DFG geht in ihren Empfehlungen zur Forschung mit menschlichen Stammzellen vom 3. Mai dieses Jahres von einem „Abwägungsprozess zwischen dem verfassungsrechtlichen Lebensschutz des Embryos einerseits und der ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten Forschungsfreiheit andererseits“ aus und kommt dabei zu dem Ergebnis, dass die „Hochrangigkeit des Forschungszieles“ die Nutzung des Embryos rechtfertigen könne. Dem wird entgegen gehalten, dass Lebensschutz sich unter keinen Umständen der Forschungsfreiheit unterordnen lasse. Denn beim Leben handelt es sich um einen Fundamentalwert, oder – wie es das Bundesverfassungsgericht sagt – um einen Höchstwert, dem bei Abwägungen Priorität eingeräumt werden muss. Der von vielen befürwortete Import von embryonalen Stammzellen aus dem Ausland ist, wenn auch rechtlich nicht verboten – für das Embryonenschutzgesetz aus dem Jahr 1990 war dies noch kein Thema –, so doch ethisch problematisch, insofern diese Stammzellen durch Handeln erzeugt werden, das hierzulande moralisch abgelehnt wird. Auch sollten sich all jene, die sich in Deutschland für einen Import aussprechen, über dessen Tragweite bewusst sein. Wird es bei der begrenzten Forschung an importierten Zellen bleiben oder ist eine Kaskade zu befürchten? Schon jetzt wird bezweifelt, dass die von der Bush-Regierung im vergangenen August aufgelisteten 64 embryonalen Stammzelllinien, die angeblich weltweit zur Verfügung stehen, für die Forschung ausreichen. Nur 24 oder 25 von ihnen seien so weit entwickelt, dass sie für die Forschung genutzt werden können. Bei den anderen weiß man noch nicht, ob sich daraus brauchbare Zelllinien entwickeln lassen. Kritiker wenden daher ein, dass der Import nur der Anfang sein werde, der zur Eigenherstellung embryonaler Stammzellen in Deutschland führe, später zur Abschaffung des Embryonenschutzes und dann beim therapeutischen Klonen, vielleicht sogar beim reproduktiven Klonen ende. „Wenn es das Ziel einer hoffnungsvollen Gesellschaft ist, über neue therapeutische Verfahren auf der Basis embryonaler Stammzellforschung zu verfügen, so muss sie akzeptieren, dass dies nur um den Preis des Klonens zu haben ist, mindestens des therapeutischen Klonens“, so der Direktor des Instituts für Zellbiologie der Universität Bonn, Volker Herzog (FAZ, 7. September 2001).

Als Ausweg aus dieser, aus ethischer Sicht katastrophalen Zwangsläufigkeit bieten sich die oben genannte vierte und fünfte Möglichkeit an: die Forschung mit neonatalen und adulten Stammzellen. Forschung und klinische Versuche mit ihnen zeigen, dass diese vermutlich ebenso viel versprechend sein könnten und weniger ethische Probleme verursachen als embryonale Stammzellen. Auf diesen Ausweg hatten auch schon die deutschen Bischöfe in ihrer Erklärung vom 7. März 2001 hingewiesen.

Eingeschränkte Zulassung der PID?

Für den Fall, dass embryonale Stammzellforschung sich dennoch als unverzichtbar herausstellen sollte – was allerdings von vielen bestritten wird – und in Anbetracht der Tatsache, dass der Import von embryonalen Stammzellen nach Deutschland nicht verboten ist, diskutiert man über eine Kompromisslösung: Auf Grund einer Übel-Abwägung (minus malum) toleriert man in definierten Einzelfällen den Import von vorhandenen Zelllinien aus übrig gebliebenen Embryonen, um so die Tötung weiterer Embryonen zu verhindern. Ein solcher Kompromiss müsste nach der Auffassung seiner Befürworter streng reguliert und nach vielen Seiten abgesichert werden. Die Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ hat in ihrer Sitzung vom 12. November 2001 mit sieben Stimmen für eine solche Kompromisslösung votiert. Die restlichen siebzehn Mitglieder haben sich gegen jeglichen Import ausgesprochen und auf die oben genannten alternativen Wege hingewiesen. Denkbar ist, dass im Nationalen Ethikrat die Mehrheitsverhältnisse genau andersherum verlaufen. Der Ort der Entscheidung ist jedoch der Bundestag. Weniger heftig diskutiert wurde in den vergangenen Monaten das Thema Präimplantationsdiagnostik (vgl. HK, April 2000, 174 ff., und Januar 2001, 12 ff.). Diese Untersuchungsmethode ermöglicht es, Embryonen, die außerhalb des Mutterleibes gezeugt wurden, Zellen zu entnehmen, und diese auf bestimmte genetische Merkmale hin zu untersuchen. Der Embryo wird nur dann übertragen, wenn bei ihm die Erkrankung ausgeschlossen ist. Während die PID in den USA schon seit 1990 angewandt und inzwischen auch in den meisten europäischen Ländern durchgeführt wird, ist sie in Deutschland durch das Embryonenschutzgesetz verboten. Die Position der katholischen Moraltheologie ist hier nahezu eindeutig. Die deutschen Bischöfe haben sie in ihrer Erklärung „Der Mensch: sein eigener Schöpfer?“ auf den Punkt gebracht. Die PID „ist in jeder Hinsicht und von vorne herein auf Selektion von menschlichem Leben ausgerichtet und daher ist ihr aus ethischer Sicht entschieden zu widersprechen. Sie muss daher in Deutschland auch weiterhin verboten bleiben“. Die Tatsache, dass etliche Wissenschaftler und einige Eltern darauf drängen, die PID auch hierzulande zuzulassen, war für die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages Anlass, sich mit der Problematik auseinander zu setzen und einen Zwischenbericht noch in diesem Jahr vorzulegen. Schon vorher haben sich Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD), die sonst zur Gentechnik schweigt, und ihre Kollegin aus dem Forschungsministerium, Edelgard Bulmahn (SPD), für eine begrenzte Zulassung ausgesprochen: Die PID solle solchen Paaren erlaubt sein, die ein hohes genetisches Risiko aufweisen. Denkbar wäre, dass für eine derart eingeschränkte Zulassung auch eine Minderheit der Enquete-Kommission plädiert, während die Kommissionsmehrheit sich für ein Verbot der PID ausspricht.

In der politischen und bioethischen Debatte wird die Gesellschaft derzeit in zwei Fraktionen aufgeteilt: in eine, die eine „Ethik des Heilens“ vertritt, die offen sei für Forschung mit Embryonen, weil sie Menschen helfen und heilen wolle, und in eine andere, die eine „Ethik des Lebensschutzes“ vertritt, die aus moralisch-religiösen Gründen gegen Forschung mit Embryonen sei und Menschen leiden lasse. Man kann sich des Eindruckes nicht erwehren, dass hinter dieser Spaltung in „fortschrittsfreundliche Heiler“ und „fortschrittsfeindliche Lebensschützer“ Methode steckt. Menschen, insbesondere Christen, die sich für den Lebensschutz einsetzen, sollen zum Schweigen gebracht werden. Zudem ist die Behauptung, die christliche Religion sei eine Religion des Leidens, die den Menschen Heilung verweigere, falsch und eine Unterstellung. In den diskutierten Fällen von PID und embryonaler Stammzellforschung geht es nicht darum, dass man Menschen nicht helfen möchte. Das christliche Gebot der Nächstenliebe zielt geradezu darauf, Krankheiten zu heilen und Leid zu mindern. Jedoch darf dieses Ziel nicht um jeden Preis verfolgt werden.

Der Weg darf nicht über Selektion und Vernichtung von Leben führen. Wir sollten uns auch von der trügerischen Vision frei machen, allein mit Wissenschaft und Technik ein Paradies auf Erden schaffen und jede Lebensnot bewältigen zu können. Eine von Krankheit und jeglichem Leid befreite Menschheit bleibt eine Utopie, deren Realisierungsversuche über kurz oder lang in die Barbarei münden.

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