Einsatzkräfte auf Corona-DemosPolizei – die unbekannte Seelsorge

Über Polizeiarbeit wird momentan viel diskutiert. Eine Seite kommt dabei aber gar nicht ins Blickfeld: die Seelsorge. Christian Mendt ist evangelischer Pfarrer und arbeitet in Dresden als Polizeiseelsorger. CIG sprach mit ihm über Gewalt gegen Einsatzkräfte, Stresssituationen und warum eine christliche Sicht auf den Menschen so wichtig ist für gute Polizeiarbeit.

Christian Mendt
© privat

CHRIST IN DER GEGENWART: Herr Mendt, Gegner der Corona-Maßnahmen planen für den 12. Dezember eine große Demonstration in Dresden. Was sagen Sie Polizisten, die zum ersten Mal bei einem solchen Einsatz dabei sind?

Christian Mendt: Jeder Polizist, der auf einer Demonstration eingesetzt wird, ist dafür trainiert und weiß genau, was er zu tun hat. In der Regel passiert da nichts Unüberlegtes, auch wenn man provoziert oder angegriffen wird. Ich muss den Einsatzkräften also gar nichts sagen, außer dass ich ihnen Gottes Segen wünsche – und natürlich wünsche ich ihnen, dass sie niemanden verletzen müssen. Das Schwierige bei Corona-Demos ist ja auch, dass sich verschiedene Gruppen mischen. Da marschieren zum Beispiel Familien mit kleinen Kindern neben gewaltbereiten Rechtsextremen.

CHRIST IN DER GEGENWART: Nach der letzten großen Demonstration in Leipzig wurden über hundert Straftaten und mehr als dreißig verletzte Beamte gemeldet. Hat die Gewaltbereitschaft gegen Polizisten zugenommen?

Mendt: Das kann ich so nicht bestätigen, aber heute ist die Gewalt auf jeden Fall öffentlicher. Auch weil jeder ein Smartphone hat und die Polizei im Einsatz überall gefilmt wird. Guter Nebeneffekt: Menschen sehen, welchem Hass Polizisten in bestimmten Einsätzen ausgesetzt sind – und das schon seit Jahrzehnten. Ich begleite selbst seit vielen Jahren Einsätze, um mir ein Bild davon zu machen, was Polizisten erleben. Aber richtige Seelsorge kann man vor Ort im Einsatz natürlich nicht machen. Eher in den Pausen oder danach. Es sei denn, jemand wird schwer verletzt. Auch das kommt vor. Man darf jedoch nicht vergessen: Leute, die Polizisten angreifen, sind in der Regel eine zwar laute, aber kleine Minderheit. In Umfragen sagen etwa neun von zehn Deutschen, dass sie zufrieden sind mit der Arbeit der Polizei. Das ist im internationalen Vergleich ein sehr guter Wert. Was tatsächlich zugenommen hat, sind Beleidigungen. Die Menschen sagen den Beamten heute direkt ins Gesicht, was sie von ihnen halten.

CHRIST IN DER GEGENWART: Können Polizisten solche verbalen Angriffe leichter wegstecken als körperliche? Oder hinterlässt beides Spuren?

Mendt: Gewalt beginnt immer mit der Sprache. Gerade auf Demonstrationen gibt es Bürger, die die Polizei und unser demokratisches System verachten. Das äußern sie ganz offen und nutzen dafür das demokratische System, gegen das sie vorgehen. Dazu gehört, dass in Deutschland Corona-Verschwörungstheorien frei geäußert werden können, selbst wenn sie nur peinlich sind. Polizisten sind auf körperliche und auf verbale Angriffe vorbereitet. Aber in einer Pandemie ist die Situation natürlich besonders angespannt. Die Spucke, die im Gesicht landet, zeigt nicht nur Verachtung, sondern kann lebensgefährlich sein. Wichtig sind dann vor allem Nachgespräche. Die Einsatzkräfte müssen das Erlebte verarbeiten. Diese Form der persönlichen Nachsorge ist noch ziemlich neu, das gibt es erst seit etwa zehn Jahren.

CHRIST IN DER GEGENWART: Es klingt, als wären solche Nachgespräche sehr hilfreich für die Polizisten.Warum wurden sie erst jetzt eingeführt?

Mendt: Früher hieß es einfach „Wer Polizist wird, muss das verkraften“. Da wurde nicht groß über Gefühle gesprochen. Inzwischen wissen wir aus der Hirnforschung, dass jeder anders mit Stress- und Gefahrensituationen umgeht. Seelsorge und Einsatznachsorge helfen, dass jeder seinen Weg findet, wie er solche Erlebnisse verarbeiten und einordnen kann.

CHRIST IN DER GEGENWART: Sie sind nicht nur Seelsorger, sondern auch Polizeipfarrer. Wie sieht Ihre Arbeit konkret aus? Hilft die christliche Perspektive auch bei der Seelsorge?

Mendt: Als Polizeipfarrer bereiten wir Gottesdienste vor, zum Beispiel Gedenkgottesdienste für im Dienst verstorbene Polizisten. Wir zünden Kerzen für sie an und würdigen Leben und Dienst der Kollegen. Es gibt immer mehr Polizisten, die das zu schätzen wissen. Theologie, die Arbeit eines Pfarrers und Polizeiarbeit haben viel gemeinsam.

CHRIST IN DER GEGENWART: Inwiefern?

Mendt: Das Erste, was Polizeischüler lernen, ist Vertrauen zu haben. Vertrauen in den Rechtsstaat, in ihre Ausrüstung, in ihre Kollegen. Auch im Glauben an den barmherzigen Gott geht es immer um Vertrauen. Im Einsatz auf der Straße arbeiten Polizisten mit dem Menschenbild, das im Grundgesetz für unser Zusammenleben als Voraussetzung für den freiheitlichen, demokratischen Rechts- und Sozialstaat bestimmt ist. Es hat unter anderem christlich-jüdische Wurzeln. Der Mensch wird real betrachtet als ein Wesen, das zwar hoch intelligent, liebesfähig, sozial und machtbewusst ist, aber auch seine Bestimmung als Ebenbild Gottes verfehlt. Jeder Mensch hat eine eigene Würde, die nicht angetastet werden sollte. Pfarrer und Polizisten und viele andere Berufsgruppen arbeiten mit diesem Bild vom Menschen.

Interview: Simon Lukas

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