KinderfragenWo endet der Himmel?

Irgendwann entdeckt unser Kind die Lust am Fragen. Das kostet uns Eltern manchmal viel Geduld. Doch wenn wir gemeinsam nach Antworten suchen, gewinnen wir alle.

Wo endet der Himmel?
Auf eine gute Kinderfrage folgt oft nicht die eine richtige Antwort, sondern ein gutes Gespräch © bokan76 - iStock

Beim Frühstück dreht der Fünfjährige plötzlich den Kopf zur Seite, schaut seine Mutter an und fragt: „Mama, was will Corona eigentlich von uns?“ Gute Frage! Die Mutter holt erst mal tief Luft, dann erklärt sie, dass Corona gar nichts von uns will, dass aber die winzigen Viren, die die Krankheit machen, sich weiter verbreiten wollen, dass wir uns deshalb dagegen schützen, es auch Impfungen gibt ... Das weiß der Fünfjährige schon. Gut gelaunt fragt er weiter, jetzt geht es um verschiedene wilde Tiere, wo sie leben, was sie fressen, wie stark sie sind.
Kinder stellen Fragen, sobald sie ganze Sätze sprechen können – vielleicht sogar schon davor. Der Einjährige, der auf dem Spielplatz ein Klettergerät entdeckt, mit dem Finger darauf zeigt und „Das?“ ruft, möchte eine Antwort auf die Frage haben: Was ist das, was ich da sehe? „Kinder haben weniger Erfahrungen in der Welt gemacht als Erwachsene, sie wollen die Welt kennenlernen, wollen Erklärungen haben, deshalb stellen sie ständig Fragen“, sagt Barbara Brüning, Professorin für Erziehungswissenschaft aus Hamburg. Daher sei Fragen ganz wichtig für Kinder, erklärt sie: Wissbegierde und Neugier helfen Kindern, sich mit dem auseinanderzusetzen, was sie beobachten und erleben. „Aus den Erfahrungen, die die Kinder machen, entstehen wieder neue Fragen“, sagt Brüning. „Es ist also völlig klar, dass Kinder im Moment auch Fragen nach Corona stellen.“
Für Eltern sind die Fragen deshalb eine gute Möglichkeit zu erfahren, was ihre Kinder gerade beschäftigt, und geeigneter Anlass, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Auch wenn der Vater beim Frühstück kurz überlegen muss, was er auf die Frage der Tochter antworten soll: „Wie werden eigentlich Cornflakes gemacht?“

Fragen, um die Welt kennenzulernen

Wenn Eltern beim Frühstück, auf dem Nachhauseweg oder beim Ins-Bett-Bringen das Gefühl haben, in eine Art Fragengewitter ihres Kindes zu geraten und mit den Antworten kaum nachzukommen, sind sie damit nicht allein: Eine Wissenschaftlerin aus den USA hat in Gesprächen zwischen Kindern und Erwachsenen die Kinderfragen nachgezählt und ist im Durchschnitt auf 107 pro Stunde gekommen, berichtet Vera Brinkmann. Sie ist Grundschullehrerin und Erziehungswissenschaftlerin und forscht selbst seit Jahren zu Fragen, die Kinder stellen.
Die Art zu fragen ist individuell verschieden und kann sich ein Leben lang weiterentwickeln, sagt sie. Trotzdem lassen sich bei Kindern grob zwei Phasen unterscheiden: Ab etwa eineinhalb Jahren stellen sie Was-Fragen, so ähnlich wie schon der Einjährige, der auf das Klettergerüst zeigt. „Was ist das?“, fragen sie in dieser Phase und sammeln so Informationen über die vielen unbekannten Dinge in der Welt um sie herum. Etwas später kommen auch andere, einfache Fragen hinzu, zum Beispiel nach einer Erlaubnis oder einem Ort: „Darf ich das essen?“ Oder: „Wo ist Mama?“ Auch Frageklassiker wie „Wie lange noch?“ gehören dazu.
Mit etwa drei Jahren beginnt dann die zweite Phase und damit die Zeit der berühmten Warum-Fragen: „Warum darf ich nicht auf dem Boden essen?“ – „Weil der Boden schmutzig ist.“ – „Warum ist der schmutzig?“ – „Weil ihn niemand geputzt hat.“ – „Warum hat ihn niemand geputzt?“ ... und so weiter. Die ersten Warum-Fragen sind oft eher praktischer Natur, sagt Vera Brinkmann, die Kinder hinterfragen zum Beispiel Verbote. Spätere Warum-Fragen zeigen dann ein tiefergehendes Erkenntnisinteresse der Kinder. In dieser Phase geht es ihnen nicht mehr nur um Sachinformationen, sondern darum, Zusammenhänge zu verstehen, Gründe für etwas zu erfahren, Sinn zu erkennen. Oder sich einen kleinen Spaß mit den Eltern zu erlauben, denen irgendwann die Antworten ausgehen.

Anlässe für Gespräche

„Ich sehe Fragen immer auch als Beziehungsfragen“, sagt Brinkmann: „Kinder stellen eine Beziehung zu dem Gegenstand her, über den sie etwas herausfinden wollen, aber auch zu der Person, die sie fragen.“ Damit sind Fragen für Kinder eine gute Möglichkeit, Aufmerksamkeit zu bekommen und Kontakt zu anderen herzustellen. Trotzdem interessieren sie sich fast immer auch für die Antwort auf ihre Fragen: „Sie fragen so lange weiter, bis sie eine für sie befriedigende Antwort gefunden haben.“
Die Erziehungswissenschaftlerin Barbara Brüning rät Eltern, die Fragen ihrer Kinder ernst zu nehmen, gut hinzuhören und ihnen da, wo es geht, Raum und Zeit zu geben. Das gelte auch für schwierige Fragen – bedeute aber nicht, dass Mutter oder Vater immer gleich eine Antwort parat haben müssen. Im Gegenteil: „Kinder haben manchmal die Tendenz, Eltern als Auskunftsbüro zu benutzen“, sagt sie. „Wenn mich ein Kind fragt: Kann ein Hund mein Freund sein?, dann würde ich die Frage zurückspielen und fragen: Was meinst denn du?“ Fertige Antworten ersparten Kindern das Selber-Denken, sagt sie. „Wenn ich aber zurückfrage, rege ich das Kind an, selbst zu überlegen, was denn bei einem Freund wichtig ist.“
So kann ein Gespräch entstehen, in dem es auch unterschiedliche Antworten geben darf: „Vielleicht sage ich, dass ich mit einem Freund sprechen will, und das kann der Hund nicht. Und das Kind sagt, mir ist wichtiger, dass ein Freund mich mag und mich beschützt, das kann der Hund.“ So spürt das Kind, dass es mit seiner Frage und seinen Überlegungen ernst genommen wird und dass es auf manche Fragen unterschiedliche Antworten geben kann. „Und es lernt, dass Erwachsene nicht allwissend sind“, sagt Brüning.
„Wenn Eltern auf Anhieb keine Ant-wort wissen, wird es doch erst richtig interessant“, findet auch Vera Brinkmann. Eltern hätten oft den Anspruch, sofort eine möglichst korrekte Erklärung parat zu haben, wenn sie ihr Kind zum Beispiel fragt: Wir groß ist eigentlich die Erde? „Wichtiger ist es aber, sich die Mühe zu machen herauszufinden, was das Kind wirklich wissen will.“ Je nach Alter vermutlich nicht die exakte Länge des Erdumfangs in Kilometern, sondern vielleicht eher, wer größer ist, Sonne, Mond oder die Erde. Man könne auch zusammen mit dem Kind nach einer Antwort suchen, in einem Buch nachschlagen oder im Internet schauen, sagt Brinkmann. Natürlich sei das nicht immer möglich. Wichtig findet sie, die Frage trotzdem zu respektieren: „Eltern können auch sagen: Eine tolle Frage, aber ich habe jetzt keine Zeit, mit dir nachzuschauen. Lass sie uns für nachher aufschreiben.“

Kinderfragen bringen alle weiter

Und dann gibt es noch die richtig schwierigen Fragen. Wenn etwa die Tochter fragt: „Ist das aus einem Tier gemacht?“, während der Vater die Lyoner Wurst auf den Abendbrottisch stellt. Vielleicht muss sich der Vater dann nicht nur damit beschäftigen, wie er seinem Kind die Wahrheit möglichst schonend beibringt, sondern auch mit der Frage, warum er selbst eigentlich kein Vegetarier ist.
Oder wenn die Tochter ganz nebenbei wissen will, ob es Gott eigentlich wirklich gibt. Bei solchen Fragen sei es völlig in Ordnung, Unsicherheit zu zeigen, sagen beide Erziehungswissenschaftlerinnen. Oder zu antworten: Manche Menschen glauben an Gott, manche nicht. Insbesondere Fragen zu Sexualität oder Tod sollten aber nicht als Tabu behandelt werden, sagt Vera Brinkmann: „Es ist wichtig, dass man nicht vermittelt: Darüber wird nicht gesprochen.“ Das verunsichere Kinder und nehme ihnen die Möglichkeit, in Fragen auszudrücken, was sie beschäftigt.
Barbara Brüning erzählt von einer Kita, in deren Hof eine tote Amsel lag: „Das hat die Kinder natürlich beschäftigt, sie haben gefragt: Warum ist die Amsel tot? Wo kommt die jetzt hin? Bleibt die unter der Erde, wenn wir sie beerdigt haben?“ Auch hier sei es nicht schlimm, die eigene Unsicherheit zu zeigen. „Oft ist es dabei für die Erwachsenen aber einfacher, von ihrer persönlichen Betroffenheit wegzugehen und mit den Kindern off en über deren Fragen zu sprechen.“ Brüning hat mit den Kindern das Buch Was ist das, fragt der Frosch gelesen, in dem ein Frosch auch eine tote Amsel findet und sie gemeinsam mit anderen Tieren beerdigt. „Für mich ist es immer wieder erstaunlich, mit welcher Ernsthaftigkeit die Kinder solche Fragen angehen und was sie zu sagen haben. Davor habe ich großen Respekt.“
Wenn Kinder ihren Eltern Fragen stellen, erfahren nicht nur die Kinder viel Neues. Sondern auch die Eltern. Bevor der Dreijährige die Frage stellte: „Wer kann eigentlich mehr – die Schnullerfee oder der Heilige Geist?“, hatte sich sein Vater darüber garantiert noch nie Gedanken gemacht. Schließlich seien beide unsichtbar, erklärte der Sohn. In Sachen Superkräfte ist er bis heute der Experte.
„Es ist gut, wenn Eltern auch selbst Fragende sind“, sagt Vera Brinkmann. Von ihren Kindern können sie sich manchmal an den neugierigen Blick auf die Welt erinnern lassen, an die Fragen nach dem Was, Wie und Warum. Vielleicht, sagt Barbara Brüning, unterhalten sich Eltern und Kinder an einem Abend, an dem alle Zeit haben, über die Frage: Können Blumen glücklich sein? „Und wenn die Kinder dann schlafen, sitzt man im Sessel, denkt noch mal über die Fragen nach und überlegt: Wann habe ich mich eigentlich zuletzt gefragt, was Glücklichsein bedeutet?“

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