FamilienlebenFamilie ohne Gemecker - es geht

kizz sprach mit den Elterncoaches Uli und Bernd Bott über ihr gemeinsames Buch #gemeckerfrei

Familie ohne Gemecker - es geht
Wer Uli und Bernd Bott näher kennenlernen möchte, findet sie unter www.gemeckerfrei.de, bei Facebook und Instagram © privat

Sie haben zusammen ein Elternbuch geschrieben, das sehr persönlich ist. Sie teilen ihren Weg und den Veränderungsprozess, den Sie als Familie durchlebt haben. Wie kam es dazu?
Uli Bott:
Ich hatte immer schon eine Idee davon, wie sich Familie anfühlen soll. Schon bevor wir Kinder hatten. Und als wir dann Kinder bekommen haben, war es mein Ziel, diese Idee auch zu leben. Und mein Mann Berndt ist diesen Weg zum Glück mitgegangen. Am Anfang war das nicht einfach. Ganz viele Dinge, von denen wir dachten, sie würden funktionieren, haben überhaupt nicht geklappt. Ich habe als junge Mutter jeden Erziehungsratgeber und jedes Buch zu achtsamer und bedürfnisorientierter Elternschaft verschlungen. Wir haben das umgesetzt – und hatten trotzdem einen kleinen Giftzwerg, der dem großen Bruder in den Rücken gebissen oder uns vor Wut die Bude zusammengeschrien hat. Immer wieder haben wir uns gefragt, warum funktioniert das nicht?

Bernd Bott : Wichtig war, dass wir nicht locker gelassen und das Ziel nie aus den Augen verloren haben. Wir haben daran festgehalten, dass Familie funktionieren muss. Wir hatten vier Kinder und waren beide beruflich selbstständig, unser Leben war herausfordernd. Aber Aufgeben war für uns keine Option.

Uli Bott : Ich war einfach nicht bereit, mich mit der Vorstellung abzufinden, dass es Augenblicke gibt, in denen ich die Kinder, die ich liebe und die ich unter meinem Herzen getragen habe, ekliger behandele als meine besten Freunde. Ich wollte nicht akzeptieren, dass das normal sein soll. Mein Mann und ich haben deshalb sehr viel Zeit und Energie darauf verwendet, einen Weg zu finden, wie wir als Familie glücklich zusammenleben. Mein berufliches Ziel war es schon sehr lange, die Welt für Kinder schöner zu machen. Irgendwann habe ich entschieden, dass ich deshalb mit Eltern arbeiten will. Und seitdem geben wir die Erfahrungen, die wir selbst gemacht haben, an andere Familien weiter.

Was war eine wichtige Erkenntnis auf diesem Weg?
Uli Bott:
Wir hatten einen kleinen Seismographen zu Hause und irgendwann haben wir verstanden, wann der explodiert. Das war immer genau dann, wenn zwischen uns Eltern eine angespannte Stimmung herrschte. Das waren ganz kleine Dinge, zum Beispiel, wenn wir zusammen gekocht haben und einer war von irgendwas genervt. Das hat unser Kind sofort gespürt und ist explodiert.

Bernd Bott : Bald haben wir erkannt, dass das eigentlich den ganzen Tag passiert. Wir bekommen eine Mail, die uns rausbringt, irgendeine Sache stresst uns – und zack! An den Kindern merkt man sofort den Stimmungsabfall.

Uli Bott: Meine innere Haltung ist dafür verantwortlich, wie es mit dem Kind klappt, ob es zum Beispiel drei Stunden dauert, es ins Bett zu bringen oder nicht. Wenn es mir gut geht, habe ich kein Problem damit, dem Kind Wünsche zu erfüllen. Wenn mich die Wünsche des Kindes aber wütend machen oder wenn ich mich angegriffen fühle, dann hat das meistens etwas mit meiner eigenen Vergangenheit zu tun. Dann habe ich da einen Mangel. Die Kinder fühlen, wo wir Narben haben, und legen ihren Finger genau da hin. Sie pieksen uns mit ihrem Verhalten so lange, bis wir da hingucken, wo es wehtut.

Und immer wenn die Kinder unsere empfindlichen Stellen pieksen, meckern wir?
Uli Bott: Äußeres Gemecker ist immer die Folge von innerem Gemecker. Wir denken jeden Tag 60 bis 80 000 Gedanken, viele davon sind uns nicht bewusst und nur ein kleiner Prozentsatz davon ist positiv. Als Mutter meckere ich vielleicht mit mir selbst, weil ich alles besser hinbekommen müsste oder weil ich mich immer so anstelle. Und je mehr ich innerlich meckere, desto mehr pieksen mich die Situationen im Außen. Und was ich zu den anderen sage, sage ich eigentlich zu mir selbst. Wenn ich es aber schaffe, mein inneres Gemecker abzustellen, dann bin ich auch im Außen gemeckerfrei.

Sind Eltern sehr kritisch mit sich selbst?
Uli Bott
: Ich arbeite jetzt seit 21 Jahren mit Eltern und erlebe niemanden, der aus einer positiven Intuition heraus sagt: Ich bin mir sicher, dass ich meinen Job als Mama oder Papa sehr gut mache. Stattdessen treffe ich Leute, die sich infrage stellen und im Hinterkopf permanent ein Bewertungsprogramm abspulen: Mache ich das richtig? Wie machen das die anderen? Sollte ich das besser können?

Bernd Bott: Und das ist nicht nur elternspezifisch. Es gibt ja auch die Theorie, dass unser Negativdenken evolutionär mit unserem Überlebensinstinkt zusammenhängt, der uns vor Gefahren schützt. Nur ist unser Leben heute nicht mehr permanent bedroht. Deshalb ist die Aufgabe von uns allen – und als Eltern ist man ja immer noch stärker mit sich selbst konfrontiert –, aus diesem Negativdenken auszusteigen, um das innere Gemecker abstellen zu können.

Dürfen wir Eltern also gar nicht mehr unsere Gefühle rauslassen?
Bernd Bott
: Gemeckerfrei heißt nicht emotionslos. Das wird oft missverstanden. Alle Emotionen dürfen immer da sein. Auch in unserer Familie äußert jeder seine Emotionen. Was wir mit Gemecker meinen, das geht gegen die andere Person. Gemeckerfrei sein heißt auch nicht, dass wir alles durchgehen lassen und uns die Kinder auf der Nase herumtanzen. Ein wichtiger Aspekt in unserer Kommunikation ist Klarheit. Auch wir sagen manch-mal zu unseren Kindern: bis hierhin und nicht weiter. Aber ohne dabei zu meckern und mit dieser negativen Energie mit ihnen zu sprechen. Das hört sich nach viel Selbstreflexion an.

Müssen Eltern hart arbeiten, um gemeckerfrei werden?
Uli Bott
: Also wenn es harte Arbeit wäre, dann würde es dem Ansatz widersprechen. Wir wollen ja Spaß haben mit unseren Kindern! Bei uns werden Eltern in sechs Wochen gemeckerfrei. In dieser Zeit lernen sie alles, was sie dafür brauchen. Letztlich geht es auch darum, ein glücklicheres Leben zu führen. Denn #gemeckerfrei hilft mir dabei, meine Glaubenssätze, meine Verletzungen und mein Minderwertigkeitsgefühl aufzulösen. Dass ich aufhöre zu meckern, ist letztlich nur ein Nebenprodukt. Wir haben uns auch nicht hingesetzt und gesagt: Wir -finden jetzt einen Weg, wie wir weniger meckern. Wir haben einfach irgendwann festgestellt, dass wir in der Familie viel weniger streiten.

Worum genau geht es in Ihrem Elterncoaching?
Uli Bott : Um gemeckerfrei zu werden, braucht es keine Therapie. Es erfordert aber von den Eltern ein ganz wichtiges Umdenken, nämlich dass sie die Schuld und Verantwortung nicht bei den Kindern suchen. In unserer Gesellschaft passiert das ganz oft: Wir diagnostizieren Kinder, weil wir glauben, die seien irgendwie falsch. Ich habe noch kein Kind erlebt, das falsch ist. Eine Voraussetzung für das Coaching ist, dass ich bereit bin, bei mir selbst anzufangen. Und dass ich bereit bin zu glauben, dass ich es in der Hand habe. Eltern machen bei uns die Erfahrung, dass man liebevoll mit den Kindern sein kann, wenn man sich selbst nicht mehr permanent infrage stellt. Das ist ein Gewinn für alle Seiten. Wir coachen oft Familien, da kommt zum Beispiel nur die Mutter und der Partner weiß vielleicht gar nichts davon – und trotzdem ändert sich in der Familie alles.

Was lernen die Eltern ganz konkret?
Uli Bott
: Zum einen ist es ganz viel Perspektivwechsel, ich muss also erst mal davon wegkommen, mich angegriffen zu fühlen. Dann muss ich lernen zu fragen: Was will ich eigentlich? Welche Ziele habe ich für mein Familienleben? Was für eine Beziehung möchte ich zu meinen Kindern haben, wenn sie erwachsenen sind? Dann stecken wir zusammen mit den Eltern den Weg ab. Wir stellen sozusagen das Navi ein und zeigen den Eltern, wie sie mit Stolpersteinen zurechtkommen. Wenn ich das einmal gelernt habe, kann ich das auf jede Situation anwenden und brauche kein Handbuch mehr.

Bernd Bott: Genau. Wir stellen das Navi ein und wir zeigen den Eltern auch, wie sie es immer wieder neu programmieren können. Es ist also ein Weg, der nie endet. Aber die Eltern sind vorbereitet auf diesen Weg. Weil unser Coaching sozusagen nicht nur eine geführte Wanderung ist, sondern eine Ausbildung zum Bergführer.

Die Fragen stellte Julia Ubbelohde.

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