RegenbogenfamilienMama, Mami, Kind

Regenbogenfamilien kämpfen immer noch gegen viele Vorurteile, dabei sind sie Familien wie alle anderen auch

Mama, Mami, Kind
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Bist du die richtige Mama von Edda? Hat Edda zwei Mütter? Ist ihr Papa tot? Solche und ähnliche Fragen hörte Karoline Harthun anfangs jeden Tag, wenn sie ihre Tochter von der Kita abholte. Nach ein paar Wochen war das Thema aber durch – zumindest bei den Kindern. Die einzigen, die hartnäckig fragten, wurden ganz offensichtlich von ihren Eltern dazu aufgestachelt, schreibt Harthun. „An der Art, wie die Kinder auf uns zugingen, konnte man deutlich ablesen, wie die Eltern über uns sprachen.“
Harthun und ihre Frau Esther haben zwei Töchter, beide sind durch künstliche Befruchtung entstanden. Den nicht ganz einfachen Weg zur Elternschaft eines lesbischen Paares und die Reaktionen ihres Umfeldes hat die Berliner Lektorin und Dozentin vor sechs Jahren sehr off en und humorvoll in ihrem Buch Nicht von schlechten Müttern. Abenteuer Regenbogenfamilie (Kösel 2015) beschrieben.
Eine Familie zu gründen oder einen Kinderwunsch zu haben, war für queere Paare lange schwer denkbar. Das ist zum Glück heute anders. Die Gesellschaft ist offener geworden, die Reproduktionsmöglichkeiten vielfältiger, und auch die rechtliche Situation hat sich geändert. Regenbogenfamilien, also Familien, in denen mindestens ein Elternteil lesbisch, schwul oder trans* ist, werden – zumindest in Großstädten – immer sichtbarer. Wie viele es genau sind, lässt sich nur schätzen. Das statistische Bundesamt zählte vor einigen Jahren 16 000 Kinder, die bei einem gleichgeschlechtlichen Paar leben. Nicht berücksichtigt waren dabei Kinder von Alleinerziehenden, aus Patchworkfamilien oder mit Trans*-Eltern.

Vielfalt von Familien nimmt zu

Man kann also davon ausgehen, dass es deutlich mehr Regenbogenkinder gibt – und diese Zahl in Zukunft weiter ansteigen wird. Denn seitdem der Bundestag vor vier Jahren die Ehe für alle beschlossen hat, können gleichgeschlechtliche Partner nicht nur genauso wie heterosexuelle Paare heiraten, sondern auch gemeinsam Kinder adoptieren.
Lange Zeit stammten Kinder häufig aus den früheren heterosexuellen Beziehungen eines der Elternteile. Heute umfassen Regenbogenfamilien viele Konstellationen: Es gibt lesbische Mütter, die ihren Kinderwunsch mit einer Samen- oder Embryonenspende realisieren, schwule Väter mit Pflegekindern, Familien mit Trans*-Vätern oder Müttern, Elternteile, die sich weder als Frau noch als Mann definieren, aber auch Familien mit einem, zwei oder drei Elternteilen oder Patchwork-Konstellationen.
So bunt und vielfältig die Regenbogenfamilien sind, so haben sie doch etwas gemeinsam: „Weil so viele Hürden zu überstehen sind und Kinder nicht einfach so passieren wie bei Hetero-Pärchen, sind Regenbogeneltern meistens sehr reflektierte, bewusste Eltern“, sagt Saskia Ratajszczak vom Regenbogenfamilienzentrum Berlin. „Die Kinder sind immer Wunschkinder und mit ganz viel Liebe in die Welt gekommen.“ Die Sozialpädagogin berät zusammen mit ihrer Kollegin Lisa Haring Regenbogeneltern oder solche, die es werden wollen, organisiert Krabbelgruppen, Schwangerschaftskurse und Fortbildungen. „Der Bedarf, sich in einem geschützten Raum auszutauschen, ist groß“, sagt sie.
Denn trotz aller hart erkämpften Fortschritte, trotz der Meilensteine wie der Ehe für alle, ist die Situation für queere Paare längst nicht optimal. Die Anfeindungen gegen Lesben, Schwule und Trans*-Personen haben in den letzten Jahren zugenommen, es gibt eine starke antiliberale Gegenbewegung und mit der AfD eine Partei im Bundestag, die die Ehe für alle rückgängig machen möchte.
Zudem haben gleichgeschlechtliche Paare immer noch rechtliche Nachteile im Vergleich zu Hetero-Paaren, denn das Abstammungsrecht ist mit der Öffnung der Ehe nicht mitreformiert worden. „Ein Kind, das in eine lesbische Ehe geboren wird, hat nicht automatisch zwei Mütter. Wenn ein Trans*-Mann ein Kind bekommt, wird in der Geburtsurkunde ein Name eingetragen, der vielleicht gar nicht mehr zutrifft. Auch für Familien mit beispielsweise zwei Müttern und einem Vater ist kein Platz auf der Geburtsurkunde“, zählt Lisa Haring auf (siehe Kasten).

Unterschwellige Vorurteile

Und selbst in einer so offenen und toleranten Stadt wie Berlin kursieren immer noch Vorurteile, die den Alltag von Regenbogeneltern erschweren. Schwule Väter müssen sich anhören, dass Kinder eine Mutter brauchen und lesbische Mütter genauso hartnäckig die Frage, wo denn das männliche Vorbild für ihre Söhne sei. „In der Gruppe ist ein männlicher Erzieher, der ist für euch bestimmt gut!“, heißt es dann etwa. „Teilweise haben Menschen noch sehr rückständige und stereotype Geschlechterbilder“, erzählt Haring. Und über allem schwebe das heteronormative Idealbild einer Familie, die aus Vater, Mutter und leiblichen Kindern besteht. Ist das nicht der Fall, dann fehle etwas, dann sei eine Familie nicht komplett. Diese Haltung begegnet nicht nur Regenbogenfamilien, sondern auch Adoptiveltern und Alleinerziehenden immer noch viel zu oft. Das ist bitter.
Dabei ist sich die Wissenschaft einig: Ob sich ein Kind emotional und psychisch gut entwickelt, hat weder etwas mit der sexuellen Orientierung der Eltern zu tun noch mit ihrem Geschlecht oder damit, ob diese blutsverwandt sind. Entscheidend sind andere Faktoren, etwa ob die Eltern eine gute, vertrauensvolle Bindung zu ihren Kindern haben, ob das Klima in der Familie entspannt oder konfliktbeladen ist und ob es finanzielle Sorgen gibt. Und hier stehen lesbische oder schwule Paare, wie zahlreiche Studien belegen, tatsächlich sogar besser da, weil sie oft einen Hochschulabschluss haben, gut verdienen und sich eher Unterstützung und Ressourcen suchen als Hetero-Eltern.

Übergriffige Fragen

Im Alltag legen Regenbogeneltern sich dann oft eine dicke Haut zu, lächeln blöde Sprüche weg oder gehen in die Offensive. „Wir haben uns immer gleich auf dem ersten Elternabend geoutet“, schreibt Karoline Harthun, „damit Klarheit herrschte.“ So machen es viele schwule oder lesbische Paare. Und erleben dann, dass andere Eltern oder auch pädagogische Fachkräfte sich herausnehmen, Fragen zu stellen, die man normalerweise nicht stellen würde, weil die Antworten darauf privat sind und niemanden etwas angehen. Wie habt ihr euer Kind bekommen? Wer ist der Erzeuger? Wer ist die richtige Mutter? Gibt es Spenderkontakt? Das empfinden viele als belastend und übergriffig, erzählt Saskia Ratajszczak.
Oft denken Einrichtungen auch gar nicht darüber nach, was Regenbogeneltern und -kinder brauchen, welchen Bedarf sie haben. Es gibt keine Bücher, kein Spielzeug, keine gegenderten Formulare, nichts, was das Leben von Regenbogeneltern abbildet. Aber auch das andere Extrem existiert: Kitas, die es besonders gut meinen und Regenbogenfamilien in den Mittelpunkt stellen, ohne sie zu fragen. Das verstärke dann eher noch das Gefühl, anders zu sein, erzählt Ratajszczak. „Dabei wünschen sich Regenbogenfamilien eigentlich nur, als selbstverständlich und gleichwertig wahrgenommen zu werden – so wie alle andere Familienformen auch.“
Wurde die Tochter von Karoline Harthun im Kindergarten gefragt, warum sie denn zwei Mamas habe, das ginge doch gar nicht, lautete ihre selbstbewusste Antwort übrigens so: „Doch, das geht. Das siehst du doch an mir.“

Gleiche Rechte für Regenbogenfamilien

Auch nach der Öffnung der Ehe werden lesbische (Ehe-)Paare immer noch anders behandelt als heterosexuelle. Während bei Letzteren der Ehemann automatisch Vater eines in die Ehe geborenen Kindes wird – auch wenn es nicht sein leibliches Kind ist – müssen Zwei-Mütter-Familien einen langwierigen und anstrengenden Adoptionsprozess durchlaufen. Die Ehefrau muss das Kind der leiblichen Mutter adoptieren, sonst ist sie rechtlich kein Elternteil. Viele lesbische Paare fühlen sich dadurch diskriminiert. Aber es tut sich etwas: Der Berliner Senat hat im März eine Bundesratsinitiative eingebracht, die das Abstammungsrecht, das aus dem Jahr 1900 stammt, reformieren soll. Außerdem werden zwei Fälle lesbischer Eltern vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt. Mehr Infos unter www.nodoption.de

Es ist wichtig, sich zu zeigen und zu benennen

kizz sprach mit Michaela Herbertz-Floßdorf, Pädagogin, Coachin, Supervisorin und Mediatorin. Sie bildet unter anderem pädagogische Fachkräfte weiter. Ihre Spezialgebiete sind Diversity und Regenbogenfamilien. www.mundwerk-training.de

Was beschäftigt Regenbogenfamilien, wenn sie in die Kita kommen?
Wenn eine Regenbogenfamilie in der Kita ankommt, hat sie häufig den herausfordernden Prozess der Familienwerdung – wahrscheinlich mit Stiefkindadoption – hinter sich. Das macht was mit einem. Man kommt nicht gestärkt, sondern infrage gestellt in der Einrichtung an. Der Institution ist das meistens gar nicht bewusst.

Gibt es denn noch Diskriminierung von Regenbogenfamilien in Kitas?
Grundsätzlich ist die Haltung offen. Es gibt wohl keine Einrichtung mehr, die sich traut zu sagen, wir haben mit dem Thema größere Probleme. Aber es gibt eine große Uninformiertheit beim Thema Regenbogenfamilie und ihren Konstellationen. Und oft fehlt es an entsprechenden Büchern oder Materialien und deren Implementierung in den Kita-Alltag.

Was macht das mit Kindern, wenn ihre Realität in der Kita gar nicht vorkommt?
Für Kinder ist es ja erst einmal selbstverständlich, dass sie mit zwei Müttern, zwei Vätern oder in anderen Familienkonstellationen aufwachsen. Erst in der Kita bekommen sie die Rückmeldung, dass sie anders sind. Es kann das Gefühl entstehen, meine Familie existiert so gar nicht und deshalb bin ich weniger wert als andere Kinder.

Was wünschen sich Regenbogeneltern von pädagogischen Fachkräften?
Wirklich wichtig ist, die Formulare durchzugehen und zu schauen, ob das auf Regenbogenfamilien zugeschnitten ist. Anstatt Kindsvater oder Kindsmutter kann da etwa geschlechterneutral Elternteil oder noch besser Fürsorgende*r stehen. Es ist sehr frustrierend, immer wieder festzustellen, dass deine Familie nicht in das Formular passt.

Hilft es, wenn Vielfalt schon im Konzept der Einrichtung verankert ist?
Ja, auf jeden Fall, jede Einrichtung sollte überprüfen, wo und wie sie das Thema geschlechtliche und sexuelle Vielfalt verankert hat und welche Haltung sie dazu hat. Auf Fortbildungen sagen Leitungen oft zu mir, solange wir keine Regenbogenfamilien haben, brauchen wir das nicht. Aber das ist natürlich Quatsch. Man kann nicht wissen, ob es ungeoutete Fachkräfte im Team gibt oder Kinder lesbisch, trans*, inter* oder schwul sind. Gehen Sie nicht immer nur von ihrer wahrgenommen Lebensrealität aus! Dann dürften Sie auch keine Bücher über Giraffen oder Pinguine in der Leseecke haben, die kommen im Alltag der Kinder in Westeuropa auch nicht vor.

Oft tun sich Fachkräfte auch mit der Anrede schwer.
Ja, es ist wichtig, sich zu merken, wer die Mami, wer die Mama, wer der Papi, wer der Papa ist. Kinder unterscheiden ihre Eltern mit Wörtern und haben eine klare Zuschreibung. Fachkräfte dürfen Regenbogeneltern ruhig fragen, wie ihre Kinder sie nennen und das dann übernehmen.

Nervt es schwule, lesbische und Trans*-Eltern, immer ihr Familienmodell erklären zu müssen?
Ich habe dazu tatsächlich sehr viele Anfragen von Eltern, die unsicher sind, wie sie sich verhalten sollen. Die Strategie, sich von Anfang klar zu bekennen, finde ich gut. Es ist wichtig, sich zu zeigen und zu benennen, auch für die Kinder, die ja sonst das Gefühl bekommen, da gibt es ein Geheimnis und ich kann nicht entspannt über meine Familie sprechen. Was ich oft erlebe, ist, dass Regenbogeneltern sich sehr engagiert in die Einrichtung einbringen, in den Förderverein gehen und ähnliches. Gleichzeitig sind sie aber zurückhaltend, wenn es dar-um geht, die Sichtbarkeit von Regenbogenfamilien einzufordern. Vielleicht weil sie nicht noch mehr auffallen wollen. Da rate ich immer: Zeigt Stärke! Ihr seid nicht schlechter als andere Familien, auch nicht besser – ihr seid gleich wert und habt dieselben Rechte wie andere Familien

Glossar

Gender
Der Begriff steht für das soziale Geschlecht und bezieht sich nicht auf die biologischen Merkmale von Menschen, sondern auf die durch Kultur, Erziehung und Gesellschaft geprägten Vorstellungen, wer Männer und Frauen sind und wie sie sein sollen.

*Genderstar, das Sternchen
Das Sternchen hat eine Platzhalterfunktion und signalisiert das Mitdenken von allen Geschlechtern, z. B. Mitarbeiter*innen. Hier sind sowohl männliche, weibliche und nicht-binäre Menschen gemeint. Intergeschlechtlich, inter*Menschen, deren geschlechtsspezifische Merkmale – also Chromosomen, Keimdrüsen, Hormone und äußere Geschlechtsorgane – bei der Geburt nicht eindeutig männlich oder weiblich zugeordnet werden können.

Nicht-binär (oder non-binary)
So bezeichnen sich Menschen, die sich weder in die Kategorie Mann noch in die Kategorie Frau einordnen.

Queer
Sammelbegriff für alle Menschen, die nicht der cis-heterosexuellen Geschlechternorm entsprechen. Im anglo-amerikanischen Raum war „queer“ (zu Deutsch: seltsam, sonderbar) lange Zeit ein Schimpfwort für Schwule, Lesben und Bisexuelle, bis sich die Community in den 1990er-Jahren den Begriff aneignete.

Trans*, transsexuell, transgender
Überbegriff für alle Menschen, die sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Manche möchten ihren Körper durch eine Operation und Hormone verändern, manche ihren Namen oder Personenstand – aber nicht alle.

Cis
ist der Gegenbegriff zu trans* und bezeichnet alle Menschen, die sich entsprechend dem Geschlecht fühlen, das ihnen bei der Geburt zugeteilt wurde.

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