SchönheitsidealDer Mamakörper lebe hoch!

Promifrauen werden bewundert, wenn die Spuren ihrer Schwangerschaft in kürzester Zeit wieder verschwinden. Unsere Autorin plädiert für einen neuen Trend: Der Mutterkörper hat viel geleistet, das darf selbstbewusst gefeiert werden

Der Mamakörper lebe hoch!
Morgen Rückbildungsgymnastik um 7:30 Uhr! © Daniela Kohl

Mein ältester Sohn kam um 6:04 Uhr im nahe gelegenen Krankenhaus auf die Welt. Etwa um 9:00 Uhr wurde ich vom Kreißsaal in mein Zimmer verlegt. Knappe zwei Stunden später stand eine durchtrainierte Physiotherapeutin in meinem Zimmer und fragte – strotzend vor positiver Energie –, ob ich am nächsten Tag gerne bei der Rückbildungsgymnastik mitmachen wolle, denn je früher man mit leichten Übungen beginne, desto eher finde man zu seiner „Normalfigur“ zurück. Einige Sekunden lang fragte ich mich, ob ich sie richtig verstanden hatte, denn „Normalfigur“ und „ausgeleierte Bauchmuskulatur“, „Rückbildungsgymnastik“ und „Dammriss dritten Grades“ schienen mir in meinem damaligen Zustand Wortpaare zu sein, die nicht zusammenpassten. Etwas verdattert teilte ich ihr mit, dass ich mit sehr großer Wahrscheinlichkeit nicht an ihren stählenden Leibesübungen teilnehmen werde, denn möglicherweise müsse ich gerade dann bedächtig meine Schwangerschaftsstreifen betrachten oder ehrfürchtig meine schwabbelige Bauchdecke abtasten.

In der Retrospektive hätte ich die wohlmeinende Muskelfrau mit einem erstaunten Ausdruck auf meinem etwas fahlen Wöchnerinnengesicht fragen sollen, was genau sie denn unter „Normalfigur“ verstehe? Denn mein Körper sah genauso aus, wie das nach einer neunmonatigen Schwangerschaft und einer Entbindung zu erwarten war, alles im grünen Bereich, ganz „normal“ also. Aber wie vorher war trotzdem nichts mehr. Warum sollte es auch so sein? Mein Körper hatte eine Leistung vollbracht, die an ein Wunder grenzt, er hatte ein Kind beherbergt, ernährt und auf die Welt gebracht. Diese Tatsache sollte gefeiert werden! Mir scheint, die Prioritäten haben sich etwas verschoben, wenn es nach einer Geburt sofort darum geht, die körperlichen Auswirkunge der Mutterschaft ungeschehen zu machen.

Mutterschaft darf man sehen

Ich plädiere deshalb für einen neuen Trend: Dehnungsstreifen statt Arschgeweih! Stolz sollte man sie im städtischen Schwimmbad präsentieren und beim Smalltalk mit einer Bekannten erläutern, welche beim zweiten Kind dazugekommen sind und wie lange es gedauert hat, bis sie nicht mehr rot waren, sondern als silbrige Linien auf unseren Bäuchen von neuem Leben zeugen. Es ist eine seltsame Welt, in der es wichtiger sein soll, am zweiten Tag nach der Geburt seines Kindes breitbeinig in die Turnhalle des Krankenhauses zu schlurfen – weil man kaum gehen kann aufgrund der luftmatratzengroßen Wochenflussbinden im unattraktiven Netzunterhöschen –, um möglichst schnell wieder zur „Normalfi gur“ zurückzufinden, als total erschöpft und wahnsinnig glücklich im Krankenhausbett zu liegen, neben sich ein flaumiges kleines Wesen, das es kennenzulernen gilt.

Väter haben es leichter

Offenbar sind aber nicht nur wir Mütter es leid, ständig mit realitätsfernen Schönheitsidealen konfrontiert zu werden. Auch die Väter scheinen sich nach ein wenig Entspannung zu sehnen und feiern den von der amerikanischen Studentin Mackenzie Pearson in einem Blogbeitrag propagierten „Dad Bod“, im deutschsprachigen Raum auch als „Papa-Plauze“ oder „Rocker-Ranzen“ bekannt. Ein Mann mit einem „Dad Bod“ ist zwar nicht übergewichtig, hat aber auch kein Sixpack, er treibt ab und zu Sport, achtet aber ansonsten nicht sonderlich auf seine Ernährung und seine Leibesmitte ist gut geschützt durch eine Schicht Blubber, die seinen Kindern immer wieder mal als Haltegriff dient, beispielsweise im rumpeligen Bus. Die Männer feiern diesen neuen Trend frenetisch, denn noch nie zuvor ist es so einfach gewesen, über Nacht einem Ideal zu entsprechen und schon im November bereit zu sein für die bevorstehende Badesaison. Ich wünschte mir, der „Mom Bod“ stieße auf genauso viel Enthusiasmus, würde als Zeichen von Lebenserfahrung und Reife angesehen und bejubelt, denn er hat Außerordentliches geleistet. Hoch sollen sie leben, die platten Füsse, die sich durch das zusätzliche Gewicht ausgebreitet haben und nun nach größeren Schuhen verlangen, denn sie haben ein Ungeborenes getragen! Hoch soll es leben, das breitere Becken, das sich netterweise so weit gedehnt hat, dass ein Baby sich durchzwängen konnte! Hoch sollen sie leben, die geschrumpften Brüste, denn sie haben einen Säugling ernährt! Hoch soll er leben, der weiche Bauch, denn er dient als Kinder-Schlummerkissen – auch dann noch, wenn man schon lange wieder seine „Normalfigur“ erlangt hat!

Selbstbewusst auftreten

Es leuchtet jedem ein, dass sich keine Frau wohlfühlt, wenn sie auch lange nach der Schwangerschaft noch zwanzig Kilo Übergewicht hat oder der Beckenboden so schwach ist, dass sie sich fürchtet, in der Öffentlichkeit zu niesen, weil sie dann eventuell eine neue Unterhose braucht. Es ist auch überflüssig, darüber zu diskutieren, dass eine gesunde Ernährung und ausreichend Bewegung nur Vorteile mit sich bringen. Es sollte aber auch jeder verstehen, dass keine Frau begeistert ist, wenn drei Stunden nach der Geburt von „leichten Rückbildungsübungen“ die Rede ist. Auch Monate nach der Geburt sind Kommentare wie „Dein Bauch ist aber immer noch groß!“ nicht gerade hilfreich. Die Schlagfertigen unter uns könnten antworten: „Ein Abendkleid von Kylie Minogue, in das sich Wladimir Klitschko hineingezwängt hat, nimmt auch eine andere Form an.“

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