Ein Team stellt sich dem Thema verletzendes VerhaltenKindheitspädagogin Marina Gellenberg-Kreisor berichtet von einer Umsetzung in der Praxis

In ihrer Bachelorarbeit beschäftigte sich die Autorin mit verletzendem Verhalten durch pädagogische Fachkräfte. Im Rahmen des methodischen Teils hat sie die Mitarbeitenden ihrer eigenen Einrichtung dafür sensibilisiert.

Häufig kommt es unter Fachkräften zu Unsicherheit bei der Frage, ob sie sich gegenseitig auf verletzende Verhaltensweisen hinweisen sollen. Aber noch wichtiger: Wie kann es gar nicht erst zu verletzendem Verhalten kommen? Für einen Teamtag zu diesem Thema hatte ich ein Programm mit folgenden Schwerpunkten entwickelt:

  • Was ist verletzendes Verhalten in der Kita?
  • Welche Formen und Folgen verletzenden Verhaltens gibt es?
  • Wie kommt es zu diesem verletzenden Verhalten?
  • Welche Präventivmaßnahmen sind möglich?

Als erste Etappe auf dem Weg zu einer sensibleren Wahrnehmung wollte ich bei jedem Teammitglied persönliche Betroffenheit und dadurch erhöhte Handlungsbereitschaft erreichen. Bei der methodischen Bearbeitung der Fragen nutzten wir Präsentationen sowie Einzel-, Gruppen- und Plenumsarbeit. In dem Bewusstsein, wie herausfordernd die Problematik ist, vereinbarten wir im ersten Schritt Kommunikations- und Interaktionsregeln. So schufen wir den geschützten Rahmen für offenen Austausch, innerhalb dessen persönliche Haltungen benannt werden konnten.

Mit Rollenspielen fanden wir einen emotionalen Einstieg ins Thema

Um den Mitarbeitenden einen ersten Zugang zum Thema „verletzendes Verhalten pädagogischer Fachkräfte“ zu schaffen, spielten wir fiktive Fälle aus der Praxis durch. Dabei schlüpften die Teammitglieder in die verschiedenen Rollen Ein Team stellt sich dem Thema verletzendes Verhalten (betroffenes Kind, andere Kinder, Fachkräfte), um durch Perspektivwechsel nachzuempfinden, welche Gefühle und Bedürfnisse bei den Beteiligten entstehen. Zur Vertiefung dieser Erfahrung regte ich anschließend durch persönliche Fragestellungen die Selbstreflexion in Einzelarbeit an. Die Fragen hatte ich so formuliert, dass Assoziationen zu Erlebnissen in der eigenen Kindheit wachgerufen wurden. Die so hervorgerufenen Emotionen sollten eine persönliche Verbindung zum Thema ermöglichen. Gleichzeitig sollte auch das eigene pädagogische Handeln kritisch betrachtet werden, was die meisten als echte Bereicherung ansahen. Nach der persönlichen Auseinandersetzung mit verletzendem Verhalten hatten alle eine konkretere Vorstellung, nun fehlte nur noch ein Konsens. Im nächsten Schritt tauschten wir uns über individuelle Sichtweisen aus. Jedes Teammitglied bekam Gelegenheit, seine Vorstellungen zu äußern. Gerade weil der Austausch sehr partizipativ und wertschätzend verlief, konnten wir auf dieser Basis eine gemeinsame Definition von verletzendem Verhalten herausarbeiten. Formen und Folgen verletzenden Verhaltens wurden in einem Vortrag referiert, da es hier um wichtige theoretische Grundlagen ging. Daran anschließend unternahmen wir Ursachenforschung in Form von Brainstorming im Plenum. So konnten wir verschiedene Blickwinkel sammeln und dann zur Erarbeitung präventiver Maßnahmen überleiten. Das geschah in Kleingruppen, die allen den Raum boten, eigene Erfahrungen und Kenntnisse einzubringen. In der Kleingruppe konnte auch ein erster Konsens erzielt werden. Die Ergebnisse der Gruppen hielten wir auf Metakarten fest und präsentierten sie im Plenum. Auf dieser Grundlage erarbeiteten wir anschließend verschiedene Optionen und Maßnahmen, um verletzendes Verhalten gegenüber Kindern in unserer Kita zu vermeiden.

Mit unserer Haltung veränderte sich auch der Umgang mit den Kindern und im Team

Der Teamtag hat dem Thema hohe Priorität und Bedeutung verliehen, die vorher zwar schon da war, aber eher unterschwellig mitgedacht wurde. Dass der Teamtag bei den meisten die Selbstreflexion zu verletzendem Verhalten gegenüber Kindern angeregt und positiven Einfluss auf ihr pädagogisches Handeln genommen hat, belegt die Analyse in meiner Bachelorarbeit. Die Handlungskompetenz der Fachkräfte wurde im Interesse der Kinder gesteigert. Die Reflexion eigener Handlungen und ihrer Auswirkungen verhalf zu einem bewussteren, weil regelmäßig hinterfragten Agieren. Der ehrliche und kritische Austausch über Fallbeispiele und Alltagssituationen nahm Ängste und schuf Vertrauen. Denn schließlich kann jede*r in eine Situation kommen, die verletzendes Verhalten gegenüber Kindern ungewollt ermöglicht. Inzwischen entstehen aber deutlich häufiger Situationen, in denen Mitarbeitende ihr Verhalten im Beisein der Kinder oder Kolleg*innen thematisieren. Das neue Vertrauen hat die Basis für eine fehlerfreundliche Kita-Kultur gelegt, die es zu schützen und auszubauen gilt. Gelingen kann das aber nur, wenn zum Thema verletzendes Verhalten weiterhin Konsens mit klaren Leitlinien besteht, der von allen Beteiligten nachhaltig gelebt und eingefordert wird.

Wir benennen verletzendes Verhalten und helfen einander, es zu vermeiden

Der transparente und partizipative Ansatz des Teamtags brachte von Beginn an hohe Akzeptanz und Offenheit gegenüber der sensiblen Thematik mit sich. Als ein Ergebnis hielten wir fest, dass wir den Mut haben, Feedback zu geben und einzufordern. Rückmeldungen sind wertvoll und sollen deshalb auf den Teamabenden als „Best Practice“ geteilt werden, um zur Grundlage einer gelebten Feedbackkultur in unserer Kita zu werden. Zudem wurden die Punkte „Hilfe anbieten“, „Hilfe annehmen“ und „Hilfe einfordern“ eingebracht. Was sich einfach anhört, verlangt in der Praxis eine gute Kenntnis der Fähigkeiten und Grenzen der Teammitglieder sowie Offenheit für eine Ablösung von Kolleg*innen in problematischen Situationen. Gerade in kritischen Konstellationen gilt es, den richtigen Moment und Ton zu treffen. Wertschätzende Kommunikation ist hier der Schlüssel, auch wenn sie manchmal schwerfällt, weil der Arbeitsalltag eine hohe Belastung für alle darstellt. Die Teammitglieder waren sich dessen bewusst und äußerten bereits am Teamtag den Wunsch nach regelmäßigen Fortbildungen und Sensibilisierungsmaßnahmen zum Thema „verletzendes Verhalten.“ Dabei kommt der Leitung eine Schlüsselrolle zu. Im Idealfall initiiert sie das Thema selbst oder verschafft ihm von Beginn an erste Priorität. Im Umgang mit den Kindern fungiert sie als Vorbild und fordert wie fördert konsequent den Schutz des Kindeswohls durch alle Mitarbeitenden. Als Ziel hat sie ein sensibles, „selbst-bewusstes“ Team vor Augen, das in einer von Offenheit und Vertrauen geprägten Atmosphäre arbeitet. Fachkräfte müssen Fehlerfreundlichkeit tatsächlich erleben, um verletzendes Verhalten identifizieren und kommunizieren zu können. Die Leitung muss aber auch stets in der Lage sein, sofort und konsequent zu reagieren, wenn inakzeptables Verhalten beobachtet wird. Dazu sind entschlossene und gut ausgebildete Leitungskräfte nötig, die dem Team gegenüber klare Erwartungen formulieren, diese einfordern und selbst vorleben.

Fazit: Wir stellen uns dem Thema und profitieren davon

Der Weg zur gemeinsamen Bearbeitung des Themas „verletzendes Verhalten pädagogischer Fachkräfte“ verläuft oft steinig mit Hindernissen und stellt Leitung wie Team vor immer neue Herausforderungen. Mit festem Willen, gutem Teamgeist und kompetenter Führung lassen sich die meisten Schwierigkeiten jedoch bewältigen. Das Ergebnis ist es wert, denn das Team wächst fachlich und persönlich. Den größten Gewinn ziehen die Kinder daraus. Eine Erfolgsgarantie gibt es nicht, aber es eröffnet sich die Chance auf wirkungsvolle Prävention von verletzendem Verhalten und die Förderung von professionellem Handeln. Verletzendes Verhalten pädagogischer Fachkräfte kann nur verhindert werden, wenn es thematisiert und nicht tabuisiert wird.

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