Lerngeschichten aus der AtelierarbeitZur Sprache finden

Eine systematische Sprachförderung soll die Kompetenzen von Kindern erweitern. Doch bieten Förderprogramme den Kindern die Möglichkeit, Selbstwirksamkeit zu erleben? Die Erfahrungen der Autorin zeigen exemplarisch, dass Sprachbildung ein von Kindern selbst initiierter Prozess ist.

Schon Kleinstkinder beschäftigen sich aus eigenem Antrieb mit dem, was für sie im Moment von Bedeutung ist. Nicht linear und nicht mit dem, was ein Erwachsener zu einem bestimmten Zeitpunkt für sie plant und erwartet. Die Erfahrung, dass sich jemand für das Kind und das, was es tut, interessiert und teilnehmend darauf reagiert, weckt seine Lust, mit der Welt in Austausch zu treten. Dass eigene Handlungen Bedeutung haben, ist die erste kindliche Erfahrung mit Dialog und Selbstwirksamkeit, noch bevor es spricht. Kinder lernen, indem sie forschend tätig sind. Was für sie bedeutsam ist, bringen sie in Zusammenhang mit Worten. Dadurch erhalten die Worte Sinn und Inhalt. Sprachbildung ist demnach ein ständiger, von Kindern initiierter Prozess und die Grundlage der individuellen Konstruktion von Wissen (vgl. Damen 2012, S. 9). Die folgenden Beispiele aus der Atelierarbeit beschreiben, wie Kinder sich die Sprache und die Welt erobern und welche Bedeutung dabei die Kindergruppe hat.

Die Umgebung im Atelier

Für den Kunstpädagogen Rudolf Seitz ist das Atelier ein Raum, der zum Erforschen einlädt. Er muss erzählen, was in ihm passieren soll, kann und darf. Damit ist es der Raum, der die Kinder herausfordert, selbsttätig etwas zu schaffen. Der Raum sollte auf die Kinder zutreten und sie zum Tun einladen. Er soll eine Umgebung sein, in der Kinder und Erwachsene das Fragen, Denken und Antworten nicht verlernen müssen (vgl. z. B. Seitz 2012). Die Kuchentheke in einer alten Bäckerei ist für mich während eines Kunstprojektes zum Sinnbild eines solchen Raumes geworden. Kinder kommen morgens ins Atelier und wählen aus der Theke die Materialien aus, mit denen sie arbeiten wollen. Das Atelier kommt dem kindlichen Bedürfnis nach Nähe und Sicherheit einerseits und seinem Bedürfnis nach Freiheit zum Forschen und Lernen andererseits entgegen. „Es ist leichter, Kreativität durch eine Veränderung äußerer Bedingungen zu fördern, als durch den Versuch, das Individuum zu kreativem Denken anzuregen“ (Csikszentmihalyi 1997, S. 9).

Kreativität und Sprache

Kreativität findet im Zusammenspiel von individuellem Denken, einer interessanten Fragestellung und einem herausfordernden, wertschätzenden Umfeld statt. Kreativität ermöglicht es, aus vorhandenem Wissen und neuen Erfahrungen Lösungen und Bedeutungen zu entwickeln. Damit ist Kreativität eine Voraussetzung für das kindliche Lernen. Um Gedanken, Erfahrungen und Erkenntnis auszutauschen und darüber zu reflektieren, benötigt das Kind die Sprache. Grundlage für diesen Prozess ist die Beziehungsqualität zwischen Erwachsenem und Kind. „Das forschende, eigenständige, fantasievolle Kind gibt es nicht ohne den teilnehmenden Erwachsenen“ (Henneberg u. a. 2011, S. 24). Die Erfahrung zeigt, dass in der gemeinsamen Arbeit Vertrauen entsteht, wenn das Kind sicher sein kann, unterstützt zu werden, Zeit zu haben und selbst etwas schaffen zu können. Dies ermöglicht, schöpferisch miteinander tätig zu sein.

Die im Atelier geführten Dialoge und die daraus entstandenen Lerngeschichten zeigen exemplarisch, wie Sprachbildung im Alltag gelingen kann. Kinder lernen überall in gleicher Weise. Dafür brauchen sie Zeit, einen herausfordernden Raum, andere Kinder und Fachkräfte, die sich für ihre Entdeckungen und Fragen interessieren. In der Kita sind diese Voraussetzungen gegeben. Wem sie bewusst sind, kann die Chance ergreifen.

Wovon Kinder profitieren

Kinder überprüfen, verhandeln, fragen, helfen und korrigieren einander. Individuelle Erfahrungen werden in diesen Gesprächen zu kollektivem Wissen, das überprüft werden kann und in den eigenen Wissenspool eingeht. Kinder sind Weltmeister in Bezug auf Kreativität und Neugier. Indem sie ihre Erkenntnisse und Erfahrungen sichtbar machen, stoßen sie ihre eigenen Lern- und Erkenntnisprozesse an und entwickeln sie weiter. Die kreative Arbeit im Atelier fördert vor allem ihre sprachliche Bildung. Der ständige Dialog unter den Kindern und mit dem anteilnehmenden Erwachsenen, der die entstehenden Erkenntnisse erfasst und mit dem Kind auslotet, fördert die Sprechlust ungemein. Indem ein Kind mit seinem Werk gestalterisch Zeichen oder Symbole setzt, kann es nonverbal kommunizieren. Für schweigsame Kinder ist das ein Schatz, der ihnen Mut macht, im eigenen Tempo Worte zu finden.

Das Atelier lädt die Kinder ein, etwas zu gestalten und zu entdecken. Ruhe und Zeit geben den kindlichen Botschaften Raum. In dieser Atmosphäre kommt oft vor, dass ein Kind zu singen beginnt und andere einstimmen. „Dann fühlt sich das Kind in diesem gemeinsamen Tun auf das Engste mit allen anderen verbunden. Aber gleichzeitig auch frei und autonom und kann sich mit all seinen Fähigkeiten und Interessen in dieses gemeinsame Tun einbringen. So werden seine Grundbedürfnisse gestillt, und das Kind ist auch bereit, seine eigenen Wünsche kurzzeitig zurückzustellen, sich anzustrengen, auf die anderen zu achten, sie zu ermutigen und anzuspornen“ (Hüther u. a. 2011, S. 107). In diesem Miteinander, dem Verhandeln, im Erzählen, dem Fragen, dem Zuhören, ist Sprache erfahrbar. Es ist auffallend, wie ruhig und konzentriert die Kinder in der beschriebenen Atmosphäre arbeiten. Sie sind nicht selten ohne Unterbrechung über eine Stunde an einem selbst entwickelten Projekt tätig. Die kindliche Sprache in all ihren unterschiedlichen Facetten kann im ruhigen Kontext des Ateliers leichter entschlüsselt werden.

Lieber Hakan,

wir waren heute gemeinsam im Atelier und haben mit roter, blauer und gelber Farbe gemalt. Du warst mit viel Energie dabei. Dein Bild war schnell mit einem schönen, hellen Braun gefüllt. Mit einem Pinsel und deiner „Zauberschrift“ hast du konzentriert und mit Freude die ganze Fläche gefüllt. Dabei hast du geredet und oft „Abrakadabra“ gesagt. Dann bist du zu mir gekommen. Du wolltest die Geschichte vorgelesen bekommen.

„Das ist Zauberschrift. Die kann ich nicht lesen. Bitte erzähle mir die Geschichte“, habe ich gesagt. Das hast du getan, sogar zwei verschiedene Geschichten hast du mir erzählt. Die zweite sollte ich aufschreiben:

„Der Prinz hat gesagt, lass die Haare herunter. Alle wollen mich besiegen! Die böse Hexe wohnte in England und ist sofort mit dem Drachen gekommen. Da war die Prinzessin tot und der König und der Prinz haben sie ins Krankenhaus gebracht. Dann hat die Prinzessin die böse Königin und den Drachen besiegt und einen Schatz gefunden.“

Das war eine Geschichte, so wie ein Märchen sein muss, mit einem guten Ende. Ich habe mich gefreut, sie von dir zu hören. Ich habe darüber gestaunt, wie viele Ideen in dir stecken und wie viel du zu erzählen hast.

Ich hatte viel Freude an unserer Zeit im Atelier und bin beeindruckt davon, was dich alles interessiert und was du weißt. Ich habe mich gefreut, als du später am Tag sagtest, diese Zeit war die schönste des Tages.

Lieber Tim,

vor ein paar Tagen hast du mich gebeten, mit dir Schmetterlinge zu machen. Wir haben dann überlegt, wie das gehen kann. Meinen Vorschlag, es mit der „Klatschtechnik“ zu probieren, hast du gerne aufgenommen. Du warst sehr erstaunt über die Ergebnisse deiner Arbeit und hast mit einem Freudenausruf deiner Begeisterung Ausdruck gegeben. Du hast viele Schmetterlinge gemacht und die Farbe auf dem Blatt immer wieder anders platziert. Heute hast du mich gebeten, etwas darüber für dich aufzuschreiben. Das tue ich natürlich sehr gern. Ich habe mich gefreut, deine „Schreibkraft“ zu sein.

Lieber Schmetterling!

Ich mag Schmetterlinge, weil ich sie liebe! Ich hätte sehr gern ein Schmetterlingskuscheltier für zu Hause. Ich interessiere mich sehr für Schmetterlinge. Was essen die? Was machen die? Meine Schmetterlinge nehme ich mit nach Hause und einer bleibt hier, damit alle sehen können, dass ich Schmetterlinge gemacht habe. Die sehen schön aus, das soll in meinem Tagebuch stehen.

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