Die katholische Kirche auf den Philippinen und der autoritäre Präsident Duterte„Diese Bischöfe solltet ihr umbringen“

Die Philippinen sind die katholische Bastion in Asien. Lange Jahre wurde die Kirche hier von den Herrschenden umworben. Doch nun wagt Präsident Rodrigo Duterte, der selbst als Kind von einem Priester missbraucht worden sein will, die offene Machtprobe.

Philippinos demonstrieren gegen den philippinischen Präsidenten Duterte.
© KNA

Für Hunderte Filipinos ist der Karfreitag geprägt von äußerst schmerzhaften Erlebnissen: Sie peitschen sich ihre Rücken mit Bambusruten, die mit Glassplittern bestückt sind, während traditioneller Prozessionen blutig. Die schonungslose Selbstzüchtigung der Flagellanten zur Reinigung von ihren Sünden vollzieht sich alljährlich vor den Augen Zehntausender Besucher und zahlloser Berichterstatter aus aller Welt, die den Karfreitags-Umzügen beiwohnen.

Höhepunkte dieser Spektakel, die in einigen Ortschaften nördlich der philippinischen Hauptstadt Manila abgehalten werden, sind Kreuzigungen auf freiem Feld, bei denen sich Freiwillige tatsächlich mit bis zu acht Zentimeter langen Nägeln durch Hände und Füße an ein Holzkreuz schlagen lassen. Was die angereisten Zuschauer schaudern lässt und weltweit Schlagzeilen produziert, verärgert indes die katholische Kirche. „Die einzigen Opfer, die wir während der Osterwoche erbitten, sind Gaben für die Armen. Niemals würden wir Flagellantentum oder gar Kreuzigungen gutheißen“, kommentierte ein Sprecher der Erzdiözese Manila das Geschehen im vergangenen Jahr.

Doch diese seit Jahrzehnten stattfindenden Schauspiele sind ein gutes Beispiel dafür, dass Glaubensausübung auf den Philippinen weit mehr ist als der Kirchgang am Sonntag – die Palette reicht vom stillen Gebet bis zum nahezu ekstatischen Zelebrieren althergebrachter Bräuche. Der Jahreskalender ist durchwoben von religiös begründeten Festivitäten, bei denen die landestypisch bunte und laute Partymentalität die Frömmigkeit nicht selten an den Rand drängt. Religiöse Großereignisse ziehen in dem südostasiatischen Inselstaat immer Massen an, die in der westlichen Welt unvorstellbar sind. So drängelten sich 2015 bei der Abschlussmesse von Papst Franziskus in Manila sechs Millionen Menschen – nie haben mehr Gläubige einem Oberhaupt der katholischen Kirche lauschen wollen. Der jährliche Umzug des sogenannten „Schwarzen Nazareners“, einer Heiligenfigur aus Ebenholz, der wundersame Kräfte zugesprochen werden, zog in diesem Januar wie in den Vorjahren ebenfalls mehrere Millionen Filipinos an die sechs Kilometer lange Route. Viele Besucher versuchen dabei, die auf einem Wagen thronende Figur zu berühren, um sich vor künftigem Ungemach zu schützen oder bestehende Übel zu vertreiben. Bei den waghalsigen Klettermanövern kommt es trotz aller Sicherheitsmaßnahmen alljährlich zu Schwerverletzten, was Nachahmer keineswegs vom Sturm auf den Schwarzen Nazarener abhält.

Die Bastion des Vatikans in Asien

In einem von Hinduismus, Buddhismus und Islam geprägten Kontinent nehmen die katholischen Philippinen eine Sonderrolle ein. Der Alltag eines überwiegenden Teils der Bevölkerung ist von ihrer Religiosität geprägt. Davon zeugen nicht nur die zahlreichen Gotteshäuser im Archipel, sondern gerade auch die überall zu findenden, kleinen Hausaltäre; die an Rückspiegeln von Taxis und Bussen baumelnden Kreuze und auf Armaturenbrettern befestigten Heiligenfiguren; oder die bestens besuchten, in Einkaufszentren integrierten Kapellen.

Dass der philippinische Archipel die unumstößliche Bastion des Vatikans in Asien ist, liegt in seiner kolonialen Geschichte begründet: Im Jahr 1521 landete der unter spanischer Flagge fahrende Portugiese Ferdinand Magellan auf der Insel Cebu und bereitete den Boden für die Kolonisierung und katholische Missionierung des Landes. Vor allem im Süden des Inselreiches hatte sich zu jener Zeit bereits der Islam etabliert, der im 14. Jahrhundert von Indonesien und Malaysia aus die Philippinen erreicht hatte. Der Großteil der Filipinos praktizierte indes animistische Rituale, in denen Naturgeister und die Seelen der Vorfahren eine große Rolle spielten.

Überlieferungen zufolge konnten die Spanier dem erkrankten Enkel des Fürsten von Cebu, Radscha Humabon, helfen. Zum Dank ließen sich Humabons Familie sowie 800 Gefolgsleute von einem katholischen Priester taufen. An der Stelle dieser Massentaufe steht in der Großstadt Cebu City bis heute das sogenannte Magellan’s Cross – allerdings ist das Original in einem hohlen Holzkreuz verborgen, um es vor Beschädigungen zu schützen. Das historische Artefakt ist ebenso Touristenattraktion wie Pilgerstätte für die tiefgläubigen Filipinos.

Bei ihren Kolonisierungs- und Missionierungsversuchen stießen die Spanier auf Widerstand, vor allem in den Kordilleren auf der größten Insel Luzon und im islamisch geprägten Süden. In anderen Teilen des Landes fassten sie hingegen rascher Fuß. Anders als in den Kolonien in Lateinamerika setzte Spanien nicht vornehmlich auf gewaltsame Unterjochung, sondern auf eine breit angelegte Christianisierungsoffensive: Spanische Missionare wurden in großer Zahl auch in entlegene Regionen entsandt, lernten die lokalen Sprachen und gewannen so das nötige Vertrauen der Bevölkerung, um die katholische Lehre im Archipel manifestieren zu können.

Waren die Verkünder des christlichen Glaubens zunächst auf die Gutmütigkeit und Neugier der Einheimischen angewiesen und agierten entsprechend vorsichtig, änderte sich ihr Auftreten während der mehr als 300 Jahre langen Kolonialzeit indes zunehmend. Lokale Traditionen und animistische Rituale wurden verboten, heilige Stätten und Symbole zerstört. Zwar war es für das Wachstum der Kirche notwendig, auch Filipinos in den Priesterstand zu erheben, doch die höheren Ränge in der Hierarchie wurden den Einheimischen lange Zeit verwehrt. Der spanische Klerus bereicherte sich massiv an Land und Gütern und wurde neben dem Militär zur wichtigsten Macht im Staat.

Konkurrenz bekam die katholische Kirche erst, als die USA 1898 die Herrschaft über die Philippinen gewannen. Mit den neuen Machthabern kam der Protestantismus auf die Inseln. Amerikanische Lehrer und Missionare predigten den neuen Glauben im Versuch, die Dominanz der Katholiken zu brechen. Im frühen 20. Jahrhundert entstanden mit Aglipay (Philippinische Unabhängigkeitskirche) und der Iglesia ni Cristo (INC) zudem die ersten philippinischen Sekten, vor allem die charismatische INC hat bis heute großen Zulauf.

Dennoch musste die katholische Kirche nie um ihre Vormachtstellung bangen: Je nach Statistik sind zwischen 82 und 86 Prozent der knapp 106 Millionen Filipinos Katholiken. Die Anzahl der Protestanten liegt demnach bei zwei bis vier Prozent, etwa fünf Prozent der Bevölkerung sind Muslime, die vor allem auf der Insel Mindanao leben. Die Iglesia ni Cristo ist mit etwa zwei Prozent zwar kein Riese, aufgrund ihrer rigiden Struktur aber eine politische Größe: Alle Mitglieder sind zur Blockwahl verpflichtet. Kein Wunder also, dass die INC-Oberen in Wahlzeiten von Politikern umworben werden, die sich die etwa zwei Millionen Stimmen sichern wollen.

Aber auch die katholische Kirche macht ihren erheblichen Einfluss vor jedem Urnengang geltend, um von der Kanzel aus ihnen genehme Kandidaten zu unterstützen und als zu progressiv geltende Bewerber zu verdammen. Zum Wohle des Volkes ist dies nicht unbedingt, denn der Klerus im Inselstaat ist in wichtigen gesellschaftlichen Fragen erzkonservativ.

Bestes Beispiel ist die Tatsache, dass die Philippinen als einziges Land weltweit (neben dem Vatikan) kein Scheidungsrecht haben. Bisher hat die Kirche gegen alle politischen Legalisierungsinitiativen erfolgreich Front gemacht. Dabei ignoriert die Kirche das bigotte Verhalten vieler verheirateter Filipinos, die eine „Querida“, eine Geliebte, und mit ihr nicht selten eine zweite Familie haben. Als Folge gibt es Millionen alleinerziehende Frauen, die ihre oft große Kinderschar alleine durchbringen müssen, weil sie keinen finanziellen Anspruch an ihren Noch-Ehemann haben. Auch eine Wiederheirat ist ohne Scheidung natürlich ausgeschlossen.

Die Gesellschaft hat längst ihre Konsequenzen gezogen: „Immer mehr Paare leben einfach so zusammen und haben uneheliche Kinder“, gibt Alt-Erzbischof Oscar Cruz zu. Laut dem statistischen Landesamt ist die Zahl der Hochzeiten zwischen 2003 und 2015 um alarmierende 30 Prozent gesunken. An der unerbittlichen Haltung der Kirche gegen Scheidung hat sich dennoch bisher nichts geändert.

Ähnlich intensiv hat die Kirche jahrelang gegen ein Familienplanungsgesetz gekämpft. Immer wieder wurde den Kirchgängern eingehämmert, dass Verhütung unchristliches Teufelswerk sei. Dabei sind die größten Probleme des Landes die Armut – ein Viertel der Filipinos lebt unterhalb der Armutsgrenze ‒ und die rasant wachsende Bevölkerung. Beides ist eng miteinander verknüpft, denn zahlreicher Nachwuchs gilt armen Filipinos noch immer als beste Altersversorgung. So wachsen Millionen Kinder in elenden Verhältnissen auf, ihre Zukunftsaussichten sind so düster, wie es die ihrer Eltern waren. Es ist ein Teufelskreis, der sich seit Jahrzehnten wiederholt.

Ein Fakt, der die Kirchenoberen nie zum Einlenken veranlasst hat. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass täglich Frauen bei illegalen, oft unter prekären Verhältnissen durchgeführten Abtreibungen sterben. Für gläubige Filipinas ist die Beendigung einer Schwangerschaft ein Schritt, den sie nur in größter Not erwägen. Oft sind es Teenager, Opfer von Vergewaltigungen oder Frauen, deren von zu vielen Geburten ausgemergelte Körper eine erneute Schwangerschaft nicht mehr verkraften würden. Doch die Kirche zeigt kein Erbarmen: Kinder sind Geschenke Gottes, also müsse Geburtenkontrolle tabu bleiben.

Dass das heftig umkämpfte und letztlich sehr verwässerte Familienplanungsgesetz, welches unter anderem Sexualerziehung an Schulen und die Ausgabe von Kondomen an Arme vorsieht, 2012 trotzdem verabschiedet wurde, war für die Kirche eine ernste Schlappe. Gleichwohl hapert es auch sieben Jahre später noch an der Umsetzung der Maßnahmen – weder ist die Zahl der Geburten relevant gesunken, noch trauen sich alle Schulen an die so lange verpönte Sexualerziehung heran. Der lange Arm der katholischen Lehre reicht weit bis in die Slums und Klassenzimmer.

Allerdings hat die Kirche in der jüngeren Vergangenheit des Landes einem düsteren Kapitel ein Ende bereitet: Mehr als 20 Jahre lang hatten die Philippinen unter der Alleinherrschaft von Ferdinand Marcos und seiner Frau Imelda gelitten. Nicht nur hatte das infame Diktatorenpaar sich schamlos aus der Staatskasse bereichert, es erstickte auch jede Opposition mit brutalen Mitteln. In den dunklen Jahren der Marcos-Herrschaft verschwanden Tausende politische Gegner und Aktivisten in den Kerkern, wo sie Folterungen und häufig genug der Tod erwarteten.

Als der Despot 1986 die Wahlen zu offenkundig manipulierte, verurteilten die Bischöfe dies harsch. Ihre Worte hatten explosive Wirkung: Die sogenannte EDSA-Revolution, bei der Priester und Nonnen in erster Reihe gegen die aufgefahrenen Panzer marschierten, bedeutete das unblutige Ende der jahrelangen Diktatur.

Wie wichtig die katholische Kirche für die Gläubigen im Archipel ist, wird gerade in Zeiten der Not deutlich. Und die gibt es leider häufiger als anderswo, werden die Philippinen doch jedes Jahr von mehr als 20 Taifunen heimgesucht, die regelmäßig schwere Verheerungen anrichten. Auch Vulkanausbrüche und Erdbeben bedrohen das Land, das am pazifischen Feuerring liegt. Es sind die stabilen Gotteshäuser, in denen Menschen in großer Zahl während der Naturkatastrophen Zuflucht suchen. Und es sind die tröstenden Worte der Priester, die ihnen helfen, das Leid zu ertragen, immer wieder ihre Häuser aufzubauen und ihre Toten zu begraben.

Für die vielen im Ausland arbeitenden Filipinos ‒ mehr als 10 Prozent der Bevölkerung verdient ihr Geld fern der Heimat ‒ sind katholische Gemeinden in den fremden Ländern oft die wichtigste Anlaufstelle. Im Gebet finden sie Trost und Geborgenheit, vor allem aber treffen Neuankömmlinge hier auf andere Filipinos, die ihnen bereitwillig zur Seite stehen.

Rodrigo Duterte gibt an, selbst als Kind von einem Priester missbraucht worden zu sein

Doch die Zeiten, in der die katholische Kirche eine nahezu übermächtige Instanz war, scheinen vorüber. Seit 2016 bläst den Bischöfen der Wind ins Gesicht: Im Gegensatz zu seinen Vorgängern ist Rodrigo Duterte, der derzeitige Präsident der Philippinen, ein Verächter der Kirche und des Klerus. Wo frühere Staatschefs Wert darauf legten, als tiefgläubige Katholiken wahrgenommen zu werden, zieht Duterte vom Leder: Soutanenträger seien die schlimmsten Heuchler, die er kenne, wütete der 74-Jährige, der selbst angibt, in seiner Kindheit von einem Priester missbraucht worden zu sein. Auch als Hurensöhne beschimpfte der cholerische Präsident den Klerus wiederholt und forderte in einer Rede Ende 2018 seine geschockten Zuhörer gar dazu auf: „Diese Bischöfe solltet ihr umbringen. Sie sind wertlose Idioten.“

Seine Wut auf die katholische Kirche erklärt sich nur zum Teil aus dem angeblichen Missbrauch in seiner Jugend. Was den Hardliner, der Kritiker als persönliche Feinde sieht, in Rage bringt, ist der zunächst nur zögerlich, inzwischen aber klar formulierte Widerstand der Kirche gegen seinen Drogenkrieg. Dutertes Wahlversprechen, die Philippinen vom Laster der Drogen zu befreien, hat zu mörderischen Übergriffen auf Abhängige und Kleindealer zumeist in den Armengebieten der Hauptstadt Manila geführt. Den Attacken vermummter Schützen und angeblich in Notwehr handelnder Polizisten fielen in den vergangenen drei Jahren mehrere Tausend Menschen zum Opfer – ohne dass das Drogenproblem nennenswert geringer geworden wäre.

Die katholische Bischofskonferenz verurteilt die „Schreckensherrschaft, unter der vor allem die Armen leiden“, immer wieder öffentlich. Aber auch den Gläubigen lesen die Würdenträger die Leviten: „Noch größere Sorgen bereitet uns die Gleichgültigkeit vieler gegenüber diesem falschen Handeln. Durch Zustimmung oder schweigende Akzeptanz macht man sich zum Komplizen des Bösen“, heißt es in einem Brief der Bischofskonferenz.

Bewirkt hat die Kirche im Kampf gegen Dutertes Drogenkrieg bisher wenig. Noch immer sind die Beliebtheitswerte des Präsidenten mit etwa 80 Prozent außergewöhnlich hoch. Der ehemalige Bürgermeister von der Unruheinsel Mindanao wird mit seinem raubeinigen Auftreten, dem aufbrausenden Wesen und seinen unflätigen Verbalattacken von der breiten Masse als einer der ihren wahrgenommen, und nicht wie die meisten seiner Vorgänger als ein Sprössling der superreichen Elite des Landes. Dass er sogar mit seinen Attacken gegen die Kirche davonkommt, sollte ein Warnsignal für die Bischöfe sein. Ebenso wie der leichte Rückgang der Gottesdienstbesucher.

Die überwiegend junge Bevölkerung – etwa Zweidrittel der Filipinos sind jünger als 30 Jahre –, so scheint es, hinterfragt zwar nicht ihren Glauben, jedoch die Glaubwürdigkeit der Kirche. Zweifelsohne werden die Philippinen auf absehbare Zeit die Bastion des Vatikans in Asien bleiben. Doch muss die katholische Kirche erkennen, dass erzkonservative Lehren selbst dort nicht mehr als gottgegeben hingenommen werden.

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