SondierungsgesprächeWem kann ich noch trauen?

Die Sondierungsgespräche für eine Regierungskoalition laufen. Alles geheim? Wie kann Vertrauen entstehen?

Schon klagen einige darüber, dass auch jetzt wieder Inhalte durchgestochen wurden; von Vertrauensbruch ist die Rede. Ich nenne dieses Phänomen „Diplomatievakanz“. Wem kann man überhaupt noch trauen?

Im Johannesevangelium setzt sich Jesus, müde geworden von seiner Wüstenwanderung (also der Liebessehnsucht nach mir!), an den Rand des Jakobsbrunnens, um mit der Samariterin ein Sondierungsgespräch, einen vertraulichen Existenzdialog zu führen – „ich bin es, ich, der mit Dir spricht.“ Du, Gott, setzt Dich – „quaerens me sedisti lassus“, wie es im lateinischen Text des Dies Irae heißt – am Ende Deiner sehnsuchtsvollen Wanderung mit mir an den Brunnen tiefster Lebenserfahrungen, um all meine Schuld und Schulden zu vergeben, eine ewige Koalition zu schmieden und in meinem Herzen die Ströme lebendigen Wassers neuen Vertrauens fließen zu lassen, die ins ewige Leben sprudeln. Jesus ist keine Plaudertasche, sondern ein Diplomat des Vertrauens. Wem können wir noch trauen? Jesus ist der vertrauenswürdigste Koalitionspartner.

Unser Markenkern

Vertrauen ist christlicher Markenkern! Gern pflegen wir den Brauch, in jeder Klasse der Sankt-Paulus-Schule eine Weltkarte aufzuhängen, um in all die Länder eine bunte Stecknadel zu stechen, in die hinein wir durch die Stammbäume der Schulkinder Vertrauensbeziehungen haben. Wenn in jedem Land eine Nadel steckt, wird die kleine Billeinsel Heimat für die ganze Welt sein. Im Wort „Geheimnis“ steckt das „Heim“: Dort darf ich beheimatet sein, wo ich Geheimnisse anvertrauen kann, diese bewahrt werden wie ein Beichtgeheimnis. Wie wichtig für junge Menschen in Zeiten ausufernden Exhibitionismus, ständiger Medienpräsenz, viralen Dauerstresses: Wir vertrauen einander.

Eingeweihte berichten

Wem kann ich überhaupt noch trauen? Wir dürfen gespannt sein, wie die Berliner Sondierungsgespräche ausgehen. Das sogenannte Bundesbüdchen ist ein ovaler Kiosk, der sich im ehemaligen Regierungsviertel in Bonn befindet. Ab 1957 stand der Kiosk zwischen damaligem Bundeskanzleramt, Bundesrat und Bundestag. Er musste 2006 abgebaut weichen und konnte im Mai 2020 nahe dem ursprünglichen Standort an der Ecke Heussallee/Platz der Vereinten Nationen wiederaufgestellt werden.

Eingeweihte berichten, dass genau an diesem kleinen Imbissstand in Bonn Vertrauen wuchs; aus der Hektik des Plenums traten die politischen Gegner einen Augenblick lang heraus, um ohne Masken und Rollenspiele einfach menschlichen Bedürfnissen nachzugehen – und von Mensch zu Mensch entstand am Bundesbüdchen so manche Freundschaft, die bis heute trägt. Damals gab es noch keine Handys. Felix Evers

Felix Evers, Pfarrer in Hamburg-Billstedt.

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