Schluss mit der Vereinnahmung: Nietzsche, der „Anti-Antisemit“

Der „Übermensch“ als rassisches Ideal, die „Herrenmoral“ der Starken gegen die „Skalvenmoral“ der Besiegten und der unbedingte „Wille zur Macht“ – das nationalsozialistische Regime bediente sich bei Begriffen und Konzepten von Friedrich Nietzsche (1844–1900). Doch diese Vereinnahmung war laut dem Philosophen Andreas Urs Sommer ein Missbrauch des Denkers. Nietzsche selbst hätte sich „von Anfang an angewidert“ von nationalistischen Strömungen abgewendet, sagte Sommer dem „Evangelischen Pressedienst“. Völkische Überhöhungen alter und neuer Nationalsozialisten stünden im völligen Gegensatz zu dem Philosophen, der die letzten dreißig Jahre seines Lebens staatenlos war. Nietzsche starb vor 120 Jahren, am 25. August 1900, nach langer psychischer Krankheit.

Die nationalsozialistische Vereinnahmung könne sich nur auf wenige Aspekte eines umfangreichen Gesamtwerks beziehen, erklärte Sommer. Nietzsche habe sich selbst als „Anti-Antisemit“ verstanden und diesen Ausdruck sogar benutzt, um sich gegen Rassisten seiner Zeit zu wehren, die ihn schon zu Lebzeiten in Anspruch nehmen wollten. „Anstatt sich darüber zu freuen, dass jemand positiv auf ihn reagiert, schreibt er einen hohnerfüllten Brief und verbittet sich jede antisemitische Instrumentalisierung“, sagte Sommer.

Gegen jegliche Nähe zur NS-Ideologie spreche auch Nietzsches radikale antideutsche Einstellung, die sich „schon in den frühen Schriften der 1870er-Jahre und dann noch verstärkt im Spätwerk findet“. Nietzsche sei ein Freund des Südens, des Mediterranen gewesen, er habe sich als einen französischen Schriftsteller gesehen, der sich zufällig der deutschen Sprache bedient. „Alles Preußisch-deutsch-Militaristische war ihm verhasst.“

Leider sei Nietzsches „anti-antisemitische“ Tradition durch seine Schwester verdeckt worden. Elisabeth Förster-Nietzsche verwaltete den Nachlass ihres Bruders und hatte beste Beziehungen zum Diktator Benito Mussolini und auch zu Adolf Hitler, der sie mehrfach in Weimar besuchte. Stichworte wie „Gott ist tot“ oder die „Umwertung aller Werte“ ließen sich aber in alle möglichen Ideologien einpassen, so Sommer. Anarchisten und Kommunisten nähmen den weltberühmten Philosophen genauso für sich in Anspruch wie Neonazis.

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