Wenn Pinsel wichtiger sind als Gebete: Corona ohne Theologie

Das Selbstbild der Kirche über ihre angebliche Bedeutung in der Gesellschaft und für die Gesellschaft wurde in der Corona-Seuche „zerbrochen“. Das beobachtet und beschreibt der Bochumer evangelische Theologe Günter Thomas im Nachrichtenmagazin „Idea Spektrum“. Es zeigte sich: „In der Krise sind Baumärkte wichtiger als Gottesdienste, Pinsel wichtiger als Gebete.“ Die Kirchen waren beziehungsweise sind in dieser Situation „weder für die Bundeskanzlerin noch für die Wissenschaftler erwähnenswert“.

Allerdings sollten die Kirchen „sich davor hüten, sich nur als Opfer wahrzunehmen“. Sie müssten sich vielmehr selbstkritisch die Frage stellen, warum der Staat so „respektlos“ werden konnte, „die Kirchen dergestalt zu demütigen“? Der Theologe vermutet, dass diese den Staat dazu geradezu eingeladen hätten. Wenn die Kirche sich gegenüber der Politik „nur als eine mögliche Kraft sozialer Gestaltung und Fürsorge darstellt, als moralische Agentur handeln möchte und irgendwie eine politische Jugend- und Altenorganisation sein möchte, dann hat sie unstrittig einen Wert. Aber sie besitzt keinen unersetzlichen Mehrwert.“ Es sei paradox: „In der verzweifelten Suche nach Relevanz“ habe sich die Kirche selber irrelevant gemacht. Für Thomas ist Corona „ein Sargnagel für das Programm einer öffentlichen Theologie, die – dem Ratschlag des Philosophen Jürgen Habermas folgend – für die Öffentlichkeit die fremde Rede von Gott restlos in moralische Orientierung übersetzt“.

Was als Wort der Kirchen, vor allem der Kirchenführer, trotz verschiedener öffentlicher Bekundungen fehlte, war und ist im eigentlichen Sinne: Theologie, die Rede von Gott. Das sei ihre erste Aufgabe, und das wäre in der Not eine Chance gewesen. „Von Gott redend das Wort zu suchen, das nur sie sagen kann, auch wenn es als Torheit erscheinen kann.“

Es gehe um das Wort der Hoffnung, einer religiösen Hoffnung, die tröstet, befreit und ermutigt. „Es fehlte unübersehbar eine couragierte geistlich-theologische Orientierung, die Bischöfe und Präsides in Krisenzeiten bieten sollten. Warum nicht ein gemeinsames ermutigendes Wort aller Bischöfe…? Eine erschütterte, ja auch gebrochene, spirituell ehrliche und doch feste Stimme, die ganz und gar moralfrei gesagt hätte, was niemand anders sagen kann?“ Zum Beispiel: „Auch wir sind angegriffen. Wir sind aber nicht von Gott verlassen. Darum sind wir zuversichtlich.“ Oder: Jeder habe jetzt gespürt, dass die Natur nicht nur gut ist. „Sie ist bedrohlich, auch ohne unser Zutun.“

Eine Kirche, die jahrelang nur die Bewahrung der Schöpfung von den Menschen eingefordert habe, hätte da bekennen können, dass auch sie lernen und manche Einseitigkeit ihrer Botschaften korrigieren müsse. „Ehrliche Fraglichkeit hätte die Menschen aufhorchen lassen.“ Eine derartige andere „öffentliche“ Theologie, die sich nicht auf sozialmoralische Botschaften und Solidaritätsverweise reduziert, sondern zum Kern der religiösen Frage führt, würde manchen Menschen „zumindest Respekt“ abtrotzen, auch jenen, die möglicherweise mit Kirche nicht allzu viel im Sinn haben.

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