Früher „strafte“ Gott, jetzt „straft“ die Natur?

Bereits im Judentum der Frühzeit und dann im Christentum gibt es die Vorstellung, dass Gott sündiges Verhalten, Ungehorsam, den Abfall vom wahren Glauben bestraft. Das Leid kann durch Seuchen, Hungersnöte, Fluten wie die Sintflut, Kriege oder sonstige Katastrophen über die Menschen kommen. Im günstigen Fall kommt mit den apokalyptischen Boten auch die Chance, Schuld zu bereuen, Fehlverhalten aufzugeben, umzukehren, sich zu bessern. Heute ist allerdings die Rede von der Strafe oder der Rache Gottes nicht mehr plausibel, sie ist gesellschaftlich geächtet. Dagegen wird inzwischen ganz selbstverständlich von der Strafe und Rache der Natur gesprochen. Das beobachtet der Physiker, Philosoph und Publizist Eduard Kaeser. „Der Zorn Gottes ergießt sich in Naturkatastrophen über den Menschen, das weiß schon das Alte Testament. Aber auch heute, in einem anscheinend säkularen Zeitalter, greifen wir gelegentlich zu dieser Wendung“, so Kaeser in der „Neuen Zürcher Zeitung“. Insbesondere in Öko-Gruppierungen wird die Strafe der Natur beschworen.

So schrieb der Wissenschaftsjournalist David Quammen in der „New York Times“: „Wir dringen in tropische Wälder und andere wilde Landschaften ein, die so viele Pflanzen- und Tierarten beherbergen – und in ihnen so viele unbekannte Viren. Wir fällen Bäume, töten die Tiere oder sperren sie ein und schicken sie auf den Markt. Wir zerstören Ökosysteme, und wir schütteln Viren von natürlichen Wirten. Wenn das geschieht, brauchen sie einen neuen Wirt. Oft ist das der Mensch.“

Die unterschwellige Botschaft – so Kaeser – lautet: Unberührte Ökosysteme seien „von Natur“ aus „gut“. Sie seien im Gleichgewicht, harmonisch, sich selber regulierend. Probleme aber entstehen, „wenn der ‚schlechte‘ Mensch eindringt. Dann schlägt die Natur zurück und zahlt es ihm heim für seine Ausbeuterei, seinen Mobilitäts- und Expansionsdrang, seinen Globalisierungswahn.“

Im Kern gehe es – etwa jetzt angesichts der Corona-Epidemie – darum, die Ursachenfrage in eine Moralanklage umzuwandeln. Also nicht: Was ist der Grund? Sondern: „Wer ist schuld?“ So heißt es, dass durch die Rückdrängung der Natur gewisse Tiere mit gefährlichen Erregern mehr und mehr in die Menschenwelt vordringen, so dass die üblen Keime auf den Menschen übergehen. Oder es werden die Chinesen, zum Beispiel in Wuhan, angeprangert, dass sie gewisse unappetitliche Wildtiere essen, eine im Westen „unnatürliche Esssitte“ pflegen. Der Schritt zur Verunglimpfung, ja Ächtung sei da nicht weit. Die Tierschutzorganisation Peta habe sogar den Fleischkonsum für die Corona-Seuche verantwortlich gemacht. Mit einfachen Erklärmustern wie dem Gegensatzpaar „natürlich-unnatürlich“ werde ein Moralismus aufgeladen. „Was einst göttlich war, ist jetzt menschlich, allzumenschlich. Besonders das Moralisieren. Und das neue Corona-Virus ist wie geschaffen dafür: Aber hüten wir uns vor einem Rückfall ins Zeitalter der Naturstrafe“, so Kaeser. „Lassen wir den biomedizinischen Sachverstand nicht durch Moralviren infizieren.“

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