Responsives Handling – Teil 1Mehr als nur Windelwechseln

Die alltägliche Pflegehandlung des Wickelns erfordert professionelle Handling-Kompetenzen. Der folgende Text gibt Ihnen hierzu praxisnahe Hinweise und konkrete Anleitungen.

Das Wickeln ist eine der häufigsten Eins-zu-eins-Interaktionen im Alltag zwischen pädagogischen Fachkräften und Kleinkindern. Für die Fachkräfte ist dabei wichtig zu verstehen, dass sie mit jedem Wickeln das Kind ein Stück weiter auf seinem mehrjährigen Entwicklungsweg zur Ausscheidungsautonomie begleiten. Schon beim Wickeln werden die ersten Schritte zu Pflegehandlungen rund um das Ausscheiden erlernt, wie z. B. das Herunter- und Hochziehen der Hose und Unterhose, das Öffnen und Schließen der Windel. Der Prozess bis zur vollkommenen „Freiheit von der Windel“ tagsüber kann bis ins vierte Lebensjahr andauern. Das bedeutet, dass die Fachkräfte sich beim Wickeln auf Kinder mit unterschiedlichen Körpergrößen und mit unterschiedlichen motorischen, sprachlichen und kognitiven Entwicklungsständen abstimmen müssen. Sie wickeln Säuglinge (unter einem Jahr), Kleinkinder (ein bis drei Jahre) und bei Kitas in Altersmischung oft auch noch Kinder im Kindergartenalter.

Altersgemäß wickeln

Die professionelle Begleitung des Kindes beim Wickeln sollte sich grundsätzlich an dessen wachsen- den Fähigkeiten orientieren, um ihm ein hohes Maß an Partizipation zu ermöglichen. Das bedeutet, dass die Fachkraft über Wissen zur frühen Bewegungsentwicklung verfügen muss, um die kindlichen Bewegungsprozesse gut begleiten zu können. Bewegungsentwicklung in der frühen Kindheit findet – und das wird häufig nicht realisiert – insbesondere in den Alltagsbewegungen statt. So ist das Wickeln im Liegen auf dem Wickeltisch bei Kleinkindern zwar üblich, sobald das Kind aber stehen kann, bezieht das Wickeln im Stehen viel mehr die bereits vorhandenen Fähigkeiten des Kindes ein und ermöglicht ihm in deutlich höherem Maß, sich am Wickelprozess zu beteiligen. Das Wickeln im Stehen erfordert andere Handling-Kompetenzen von der Fachkraft als das Wickeln im Liegen. Es gehört daher zu den professionellen Kompetenzen der Fachkraft, beide Formen einbeziehen zu können. Abhängig vom sensomotorischen Entwicklungsstand des Kindes kann dieses in folgenden Positionen gewickelt werden:

  • im Liegen auf dem Wickeltisch,
  • im Stehen auf einem Stehwickeltisch,
  • auf dem Boden stehend, während die pädagogische Fachkraft auf einem höhenverstellbaren Hocker sitzt.

In einer Einrichtung arbeiten i. d. R. mehrere Fachkräfte gemeinsam. Daher sollten die Wickelvorrichtungen idealerweise höhenverstellbar sein, damit sowohl eine Fachkraft mit einer Körpergröße von 165 cm als auch von 180 cm eine körperlich möglichst wenig belastende Ausgangsposition fürs Wickeln hat.
In vielen Einrichtungen haben die Kinder die Möglichkeit, über eine Treppe auf den Wickeltisch zu klettern. Dies bietet dem Kind eine Partizipationsmöglichkeit, greift seine motorischen Fähigkeiten auf und stärkt seine Autonomie. Für die Fachkraft stellt eine solche Aufstiegstreppe eine wesentliche körperliche Entlastung dar. Sie sollte dennoch Wert darauf legen, den Rücken gerade zu halten, wenn sie sich herunterbeugt, z. B. um das Kind beim selbstständigen Hoch- und Heruntersteigen zu unterstützen. Das Kind kann im Vierfüßlergang oder mit Unterstützung der Fachkraft im aufrechten Gang die Treppe zum Wickeltisch hoch- und heruntersteigen.

Achtsam und responsiv wickeln

Das Wickeln beginnt bereits beim Abholen des Kindes: Während einige Kinder sich bereitwillig zum Windelwechseln abholen lassen, zeigen andere massiven Widerstand und lautstarken Protest. Hier gilt es zu prüfen, woher der Widerstand kommt, damit sanfte Übergänge ermöglicht werden können. Protest und Widerstand können anzeigen, dass möglicherweise Veränderungen in den Abläufen erforderlich sind. Niemals sollte sich eine Fachkraft von hinten nähern, das Kind unvermittelt aufnehmen und ohne ein Wort zum Wickeltisch tragen. Das Ankündigen gehört bereits zur Pflegehandlung des Wickelns. Als günstig beim Abholen des Kindes haben sich klare Formulierungen und orientierende Beschreibungen erwiesen, wie z. B.: „Dario, ich möchte dich gerne mit ins Badezimmer nehmen und deine Windel wechseln. Dein Auto kannst du hier abstellen und nach dem Windelwechseln damit weiterspielen.“ Vielleicht möchte das Kind auch von einer anderen Fachkraft gewickelt werden – dies sollte ihm ermöglicht werden.
Viele Kinder lehnen beim Wickeln insbesondere Situationen ab, in denen sie eine besonders passive Rolle einnehmen. Erzwungene Passivität empfinden sie als unangenehm. Daher ist das weitverbreitete Bewegungsmuster, bei dem das Kind auf dem Wickeltisch von der Fachkraft an beiden Beinen mit einer Hand nach oben gehoben wird, während die andere Hand das Kind saubermacht und die Windel wechselt, ein Beispiel für eine besonders ungünstige Bewegungsinteraktion. Das Anheben und Festhalten der Beine macht das Kind geradezu bewegungsunfähig: Das Gewicht des Kindes verlagert sich in Richtung Kopf und der Druck auf den Brustkorb erhöht sich, was die Atmung erschwert (Gutknecht et al. 2017). Insbesondere nach dem Essen – mit gefülltem Bauch – ist dieser Bewegungsablauf besonders unangenehm.
Auch zu schnelle Bewegungen werden vom Kind oft als stressvoll erlebt und führen zudem nicht selten zu Gleichgewichtsirritationen und zu einer Empfindung von Kontrollverlust. Wird das Kind, das auf dem Wickeltisch sitzt, von der Fachkraft einfach nach hinten gekippt, kann es leicht aufgrund des Kontrollverlusts und der Irritation zu schreien beginnen, was bisweilen als „Widerstand gegen das Wickeln“ fehlgedeutet wird.
Günstiger als gerade, parallele Bewegungen sind spiralförmige Bewegungen beim Wickeln: Hierbei werden erst das Becken, dann der Brustkorb und schließlich Schultern und Kopf gedreht – eine Bewegung, die das Kind bereits im Mutterleib ausführt. So hat das Kind die Möglichkeit, sich aktiv zu beteiligen, weil es jede Gewichtsverlagerung mitmachen kann (Maietta / Hatch 2011; Ower 2013). Das spiralförmige Drehen ist für das Kind angenehm, weil es sein Gewicht über die gesamte Seite abgeben kann (zum Thema „Kinaesthetics Infant Handling“ s. Ausgabe 05/2015, S. 28).

Im Stehen wickeln

Mit zunehmenden Bewegungsfähigkeiten sollte das Kind im Stehen gewickelt werden. Das Wickeln im Stehen setzt voraus, dass das Kind sich auf Schulterhöhe an einem Handlauf, einem sicheren Handgriff oder an einem ausreichend gesicherten Möbelstück festhalten kann. Es genügt nicht, sich an der sich bewegenden Fachkraft festzuhalten, da aus dieser Position ein unsicherer Stand resultiert und es zu Gleichgewichtsirritationen kommen kann. Ideal ist hier der Einsatz eines Stehwickeltischs. Da dieser tiefer ist als ein gewöhnlicher Wickeltisch, befinden sich die Fachkraft und das stehende Kind auf Augenhöhe, also im Blickkontakt – ein weiteres Qualitätsmerkmal beim Wickeln. (Alternativ können Fachkraft und Kind auf den Boden ausweichen.) Auf dem Wickeltisch sollte das Kind auf einer festen Unterlage stehen. Eine zu weiche Wickelauflage ermöglicht ihm nicht die nötige Stabilität für das Wickeln im Stehen. Auf der außerdem rutschfesten Unterlage kann es sich im Einbeinstand gut ausbalancieren. Die Fachkraft öffnet – ggf. unter Mithilfe des Kindes – die Windel und nimmt sie weg. Danach reinigt sie den Windelbereich. Hierfür kann das Kind in Schrittstellung ein Bein erhöht auf einem auf dem Wickeltisch platzierten festen Polster abstellen. Wenn es auf dem Boden steht, eignet sich hierzu ein Hocker oder Bänkchen. Diese leichte Schrittstellung ermöglicht es der Fachkraft, den Windelbereich gut zu reinigen. Auch beim Anziehen der frischen Windel bezieht sie das Kind ein, z. B. indem dieses die Windel seitlich festhält oder die Klebeverschlüsse schließt. Mit den wachsenden Fähigkeiten des Kindes ermöglicht die Fachkraft ihm, sich immer aktiver am Pflegeprozess zu beteiligen.

Ein Skript rund ums Wickeln

Kinder bauen zu allen alltäglichen Abläufen, so auch zum Wickeln, ein Skript auf, wie das Drehbuch zu einem Film. Am Verhalten des Kindes lässt sich dabei sehr deutlich ablesen, ob es gewohnt ist zu partizipieren oder eben nicht. Man kann z. B. an den Bewegungen des Kindes sehen, ob die Fachkraft das auf dem Wickeltisch stehende Kind üblicherweise unter den Achseln nimmt, hochhebt und dann hinsetzt oder ob sie verbale und taktile Hilfen gibt, sodass es sich von allein hinsetzt. Dabei ist es sowohl für den Skriptaufbau von Säuglingen als auch für den von älteren Kindern wichtig, dass die Fachkraft ihre Pflegehandlungen ankündigt. Wenn sich das Kind zum Wickeln auf den Rücken legt und den Unterkörper ganz selbstverständlich nach oben drückt, zeigt es damit sein Wissen und Können um den gewohnten Wickelablauf. Dieses Kind hat dann noch kein Skript zum Wickeln im Stehen aufgebaut (hierzu soll es auch nicht gezwungen werden). Wird das Wickeln im Stehen eingeführt, erlebt das Kind dadurch eine Veränderung seiner gewohnten Wickelsituation und muss sein „Wickel-Skript“ erweitern. Günstig ist es, Wahlmöglichkeiten aktiv anzubieten: „Möchtest du im Liegen gewickelt werden oder lieber im Stehen?“
Fachkräfte sollten sich im Team auf die zentralen Abläufe in den Pflegesituationen verständigen: Bei einer ähnlichen Gestaltung ihrer Pflegehandlungen gelingt es dem Kind viel leichter, ein Skript zum Wickeln aufzubauen. Die ganze Situation ist vorhersehbar und dadurch weniger stressbelastet. In der Pikler-Pädagogik wird hier von der „Choreographie der Pflege“ gesprochen (Gutknecht 2015a). Auch in den Pflegewissenschaften gilt die Abstimmung der Fachkräfte in den Abläufen als Merkmal hoher Qualität.

Eine gesundheitsgerechte Ausstattung des Wickelbereichs ist ein Muss!

Das Hochheben des Kindes auf den Wickeltisch sowie das Herunterheben sollte von der Fachkraft vermieden werden. Das zusätzliche Gewicht des Kindes belastet ihre Rückenmuskulatur und ihre Wirbelsäulengelenke extrem. Auch ältere Kinder im Krippenalter können bereits über 15 kg wiegen, was als zu belastend gilt. In Einrichtungen mit Wickeltischen ohne Aufstiegsmöglichkeit oder Hydraulik sollten von den Mitarbeitervertretungen Änderungen eingefordert werden. Fachberatungen, Trägervertreter und Leitungskräfte sind hier gefordert, nach Lösungen zu suchen.

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