Entspannung für Kinder Komm mal runter!

Eltern wünschen sich ausgeglichene Kinder, die abends müde ins Bett sinken. Doch oft sind diese stattdessen zappelig, gereizt oder überdreht. Kein Wunder, denn auch ein Kinderalltag birgt Stress

Komm mal runter
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Seid endlich mal leise!“, „Jetzt beruhige dich doch!“: Manchmal glauben wir Erwachsenen, es würde funktionieren, den Kindern einfach nur zu sagen, dass sie sich beruhigen und konzentrieren sollen. Dann sind wir enttäuscht, denn natürlich klappt es nicht. Im vollen Familienalltag versuchen wir Ruhe zu erzwingen und merken nicht, wie angespannt wir selbst sind und wie wir unseren Stress und unsere Hektik auf die Kinder übertragen.
Unser Körper reagiert auf inneren und äußeren Druck mit einer vermehrten Ausschüttung von Stresshormonen. Unsere Selbstkontrolle gerät ins Wanken, wir werden ungeduldig, leicht reizbar, dünnhäutig, wütend. Das gilt für Kinder und Erwachsene gleichermaßen, mit dem entscheidenden Unterschied, dass sich das kindliche Gehirn – die Schaltzentrale für die Bildung und Ausschüttung von Hormonen – noch im Aufbau befindet. Um Stress zu regulieren, sind Kinder deshalb noch auf Unterstützung angewiesen. Doch wie können wir helfen?

Das Stresssystem des Menschen

Ein Blick auf die Funktionsweise unseres biologischen Stresssystems gibt Hinweise, wie Eltern ihr Kind unterstützen können. Das Stresssystem ist ein biologisches Überlebenssystem, welches von dem ältesten Teilen unseres Gehirns („Reptiliengehirn“ – Hirnstamm und „Säugetiergehirn – Mittelhirn mit limbischem System), gesteuert wird. Unsere Vorfahren lebten unter anderen Voraussetzungen als wir heute und mussten mit den Gefahren der Wildnis zurechtkommen. Die schnelle Freisetzung von Stresshormonen, die Energie zum Fliehen oder Kämpfen mobilisierten, sicherte ihr Überleben in der Natur. Die Funktionsweise des biologischen Stresssystems hat sich im Laufe der Evolution nicht verändert. Doch heute hat Stress andere Ursachen: Arbeits-, Zeit- und  Leistungsdruck, eine hohe Reizschwelle, dauerhafter Medienkonsum. Unser Körper reagiert auch auf diesen inneren oder äußeren Druck automatisch mit Stresssymptomen, auch wenn er heute nicht mehr vor wilden Tieren fliehen oder mit ihnen kämpfen muss.

Kinder im Stress

Kinder sind noch nicht in der Lage, über Stress zu sprechen, gezielt gegen Überreizung vorzugehen oder sich vor ihr zu schützen. Sie reagieren auf Aufregendes spontan und gefühlsmäßig. Die Fähigkeit zu Selbstregulierung und Impulskontrolle wird uns nicht in die Wiege gelegt. Wir müssen sie manchmal mühsam erlernen. Dabei spielen die individuelle Reizschwelle jedes Einzelnen, aber auch die Erwartungen unseres Umfelds eine Rolle. Viele Eltern wünschen sich, dass ihre Kinder morgens möglichst gut funktionieren, nicht trödeln, sich ohne Tränen von Mama und Papa trennen, tagsüber in der Kita wichtige Entwicklungsfortschritte machen und im besten Fall ausgepowert nach Hause zurückkehren, um abends problemlos einzuschlafen. Das mag bei dem einen oder anderen Kind gut funktionieren, bei vielen jedoch nicht. Gerade diese Kinder, die vielleicht zu Wutanfällen neigen, viel weinen, schnell frustriert oder überängstlich sind, schlecht einschlafen oder sich nicht lange konzentrieren können, brauchen aber unsere besondere Fürsorge und Aufmerksamkeit. Denn sie zeigen mit ihrem wiederkehrenden problematischen Verhalten, dass ihre Stressbelastung zu hoch ist.
Schauen wir genauer hin: Warum gerät ein Kind in bestimmten Situationen in Stress und kann sich nicht wieder beruhigen? Die Auslöser für Stressreaktionen sind sehr individuell. Es können innere Reize (Schmerz, Angst, Hunger, Müdigkeit) oder äußere Reize (Lärm, Hitze, Kälte, eine fremde Umgebung) sein, auf die ein Kind mit Unruhe oder emotionalen Überreaktionen reagiert. In jedem Fall befi ndet sich das Kind in einer Situation, die es nicht bewältigen kann und der es sich hilflos ausgeliefert fühlt, sodass sein Körper automatisch Alarm schlägt.

Beruhigung hilft

Kinder, die außer sich sind, benötigen in erster Linie Beruhigung. Viel hilft hier der Körperkontakt zu einer vertrauten Person. Wenn Eltern ihr Kind in den Arm nehmen, ihm tröstend über den Kopf streichen, vielleicht ein Lied singen, kann sich das autonome Nervensystem des Kindes beruhigen, weil im Gehirn anstelle von Stresshormonen das wohltuend wirkende Kuschelhormon Oxytocin ausgeschüttet wird. Dabei entspannt sich der Körper und kommt zur Ruhe. Im Ruhemodus können Kinder leichter einschlafen, besser (zu)hören, konzentrierter spielen und sich emotional besser regulieren. Ganz wichtig: Die emotionale Unterstützung eines gestressten Kindes hat nichts mit Verwöhnen zu tun. Vielmehr ist es außerordentlich wichtig, dass wir überforderte Kinder beruhigen, damit das kindliche Gehirn durch zu viel Stress keinen Schaden nimmt. Die Hirnforschung hat nachgewiesen, dass chronischer Stress in der Kindheit einen entscheidenden Risikofaktor für die seelische Gesundheit von Jugendlichen und Erwachsenen darstellt.

Rituale sind wie Ruheinseln

Wie können Eltern Grundlagen schaffen, damit ihr Kind weniger stressempfindlich ist? Indem sie in ihren Familienalltag verlässliche Rituale einbauen, die ihrem Kind Halt geben.

  • Nehmen Sie die Mahlzeiten zusammen ein und lassen Sie die Kinder erzählen (kein Handy, kein Fernsehen, keine Ablenkungen).
  • Leise Entspannungsmusik im Hintergrund beim Spielen, Basteln, Malen kann ein hilfreicher Unterstützer sein, um innerlich zur Ruhe zu kommen. Musik mit einem angenehmen Rhythmus wirkt besonders beruhigend auf das vegetative Nervensystem. Vor allem in den Abendstunden sind Ruherituale hilfreich, um eine Überreizung des Nervensystems abzubauen. Das kann Vorlesen sein, ein Gespräch über den Tag, gemeinsames Singen, eine gegenseitige Massage der Hände mit einer gut duftenden Creme, über den Rücken streichen. Vor allem ängstlichen und unruhigen Kindern hilft beim Übergang in die Nacht viel körperliche Nähe.
  • Achten Sie generell auf ausreichend Schlaf, regelmäßige Bewegung und gesunde Ernährung. Alles trägt maßgeblich zum Stressabbau bei.
  • Die Natur ist ein Ort, an dem Kinder und Erwachsene entspannen und entschleunigen können. Regelmäßige Spaziergänge und Spielen im Wald unterstützen den Abbau von Stress und stärken das Immunsystem.
  • Schaffen Sie zusammen mit Ihrem Kind regelmäßig Ordnung im Kinderzimmer, um einer Überreizung durch zu viel sichtbares Spielmaterial entgegenzuwirken. Fragen Sie Ihr Kind, welches Spielzeug ihm gerade am wichtigsten ist, und stellen es an einen besonderen Platz.
  • Achten Sie darauf, dass Ihr Kind keinen übervollen Kalender und immer wieder unverplante Zeit fürs freie Spielen hat. Nur so kann es lernen, sich selbst emotional zu regulieren, denn zum Wachsen und Lernen brauchen Kinder Freiräume.
  • In jedem Fall sollten sich im Tagesverlauf anspannungsreiche Phasen mit ruhigen Phasen abwechseln, damit Ihr Kind ein Gefühl für sich selbst in der Ruhe entwickeln kann. Nur das Erleben von Ruhe im Alltag kann langfristig zu mehr innerer Ruhe und einer guten Konzentration führen.

Risikofaktor Medienkonsum

Überreizte Kinder geraten durch einen zu hohen Medienkonsum zusätzlich in Stress. Damit sie langfristig ausgeglichen sind, ist es sinnvoll, ihren täglichen Medienkonsum auf den Prüfstand zu stellen und gegebenenfalls einzuschränken. Außerdem sollten Eltern darauf achten, dass die Medieninhalte an das Alter und die individuelle Konstitution ihres Kindes angepasst sind. Denn auch Kindersendungen können ein Kind durch aufregende Bilder, Stimmen und Geräusche emotional überfordern. Behalten Sie Ihr Kind beim Fernsehen oder beim Spielen am PC deshalb im Blick und nehmen Sie sich Zeit, um mit dem Kind über das Gesehene zu sprechen. Wenn Sie Ihrem Kind emotionalen Halt geben, fi ndet es aus jeder aufregenden Situation auch wieder zu Ruhe.