Kleine und große Schwindeleien vom WeihnachtsmannWieso hat der unseren Schlüssel?

Weihnachtszeit, Fragenzeit, Lügenzeit. Seit ihre Kinder die Kunst der logischen Kombination beherrschen, kommt unsere Kolumnistin Astrid Herbold ganz schön ins Schleudern

Wieso hat der unseren Schlüssel
Vom fliegenden Schlitten zum unendlichen Geschenkesack: Wenn man einmal mit einer kleinen Lüge anfängt. © Astrid Herbold

Ach, dass man noch mal so glauben könnte wie ein kleines Kind. So inbrünstig, so aus vollem Herzen, so absolut. Da kriegt man was erzählt von dicken Weihnachtsmännern, von großzügigen Nikoläusen, von pfeilschnellen Osterhasen und scheu hinweghuschenden Christkindern – und nimmt alles für bare Münze. Nicht nur, weil die Geschichten mit Geschenken zu tun haben, sondern natürlich auch, weil die eigenen Eltern, in diesem Alter noch unhinterfragte Wissens- und Weisheitsinstanzen, so eindrucksvoll davon berichten. Eltern mögen die Weihnachtszeit. Weil wir – seien wir ehrlich – gerne diejenigen sind, deren Worten uneingeschränkt Glauben geschenkt wird. Weil wir sie auch ein bisschen genießen, diese Macht. Deshalb erzählen wir sie ja überhaupt immer wieder, die zuckersüßen Weihnachtsmythen. Während unsere Kinder uns ausnahmsweise mal still und staunend zuhören.

Bis dann der Tag kommt, an dem die erste kritische Nachfrage den Erzählfluss unterbricht. Anfangs, bei den Drei- bis Vierjährigen, wirkt das noch ganz harmlos. Wie kommt der Nikolaus denn ins Haus, fragt der kleine Sohn, der immerhin schon kapiert hat, dass wir in einer Etagenwohnung leben. Und dass man für die große Haustür unten einen Schlüssel braucht. Der hat einen riesigen Schlüsselbund, antworte ich. Sooo groß. Und damit kommt er in alle Häuser auf der ganzen Welt. Aha, okay. Antwort akzeptiert.

Wir Eltern wägen uns zunächst weiter in Sicherheit. Dabei tickt bereits die Uhr. Die nächsten bohrenden Fragen werden folgen. Und sie werden hartnäckiger: Wieso sieht der Weihnachtsmann genauso aus wie der Nikolaus? Und wie schafft der das mit den ganzen Geschenken, für alle Kinder, in einer Nacht? Hat der ein Flugzeug? Und woher weiß er, wo die Kinder wohnen? Und was ist, wenn ein Kind gerade umgezogen ist?

Und dann liegt man als wahrheitsliebender, säkularisierter, vernunftbegabter Erwachsener abends im Bett seiner Kinder und schwindelt, dass sich die Balken biegen. Man erzählt von Weihnachtsmännern, die bärenstark sind und so schlau, dass sie sich alle Briefe mit allen Wünschen merken können. Sie können unendlich schnell um die ganze Welt fliegen. In weniger als einer Millisekunde. Und wenn es in den Häusern keine Schornsteine gibt, dann gehen sie durch Wände. Oder klettern über Balkone. Und sie haben diese riesige Fabrik im fernen Zauberland, wo die Geschenke von kleinen ... äh … Zwergen gemacht und von ... äh … Englein verpackt werden ... und ... ähm, also …

Egal, was wir anstellen, der kindliche Skeptizismus siegt am Ende trotzdem. Und genau das ist die frohe Botschaft. Denn was könnte schöner sein, als dabei zusehen zu dürfen, wie die eigenen Kinder die wichtigste Lektion ihres Lebens lernen: Man darf alles und jeden kritisch hinterfragen. Ja, man muss sogar. Glauben ist eine feine Sache. Aber Logik eben auch.

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