"Meine Kollegin zwingt Kinder beim Mittagessen zum Probieren. Wie soll ich reagieren?"Mitarbeiterin fragt - Kita-Leitung antwortet

Als Leitung sind Sie bei diesem Thema mit ganz unterschiedlichen Einstellungen Ihrer Mitarbeiter/-innen konfrontiert. Ziel muss deshalb sein, sich im Team auf eine professionelle und responsive Begleitung von Mahlzeiten zu verständigen, damit die Essenssituation für Kinder wie Fachkräfte angenehm und stressfrei verläuft.

Meine Kollegin zwingt Kinder beim Mittagessen zum Probieren
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Wichtig ist zunächst, dass Sie oder besser Ihre Mitarbeiterin noch einmal mit der betreffenden Kollegin ins Gespräch kommen, um das Motiv für deren Verhalten zu erfahren. Verschiedene Beweggründe sind denkbar, z. B. die Überzeugung, dass Kinder Geschmäcker lernen müssten und dies nur durch Probieren gewährleistet sei. Es können aber ebenso Erfahrungen aus deren eigener Kindheit hineinspielen. Auch die Sorge, dass Kinder zu wählerischen Essern werden und sich irgendwann nur noch einseitig ernähren, könnte der Grund sein. Nehmen Sie das Problem u. U. zum Anlass, um im gesamten Team die eigene, individuelle Ess-Biografie zu reflektieren.

Perspektive des Kindes

Um der betreffenden Kollegin die eigene pädagogische Haltung zu veranschaulichen, ist eine Argumentation aus Kinderperspektive hilfreich: Wird ein Kind von einer erwachsenen Person angehalten oder gar gedrängt, etwas zu probieren, kommt es dieser Aufforderung sicher irgendwann nach. Aber es tut dies nicht, weil es die Argumente des Erwachsenen tatsächlich nach vollzieht („das ist doch gesund“, „du brauchst die Vitamine“, „Geschmack muss man lernen“, „so viel musst du aber essen und trinken“). Vielmehr kooperiert es, weil es der Überlegenheit des Erwachsenen in solchen Momenten kaum etwas entgegenzusetzen hat. Die Beziehung zwi schen Kind und Erwachsenem kann jedoch leiden, weil das Kind an Vertrauen in den Erwachsenen verliert. Denn die wichtige Grunderfahrung „sie/er meint es gut mit mir und ich bin okay, auch wenn ich das jetzt nicht probiere“ steht u. U. plötzlich infrage.

Neophobie als Entwicklungsphase

Für Fachkräfte – so auch die betreffende Kollegin – ist es wichtig zu wissen, dass Kinder in ihrer Ess-Entwicklung eine Phase durchlaufen, in der sie eine Scheu vor unbekannten Lebensmitteln haben (Neophobie). Diese existiert kulturübergreifend und ist bei der Mehrheit der Kinder zwischen 18 und 24 Monaten am stärksten ausgeprägt. Bei einigen Kindern zeigt sich dann im Alter von ca. 4 Jahren wieder eine starke Ablehnung. Das Essen wird auf essbar oder nicht essbar hin geprüft. Dem liegt ein angeborenes Programm von Beobachtung und Aktivierung der Spiegelneuronen zugrunde. In dieser Zeit kommt Menschen in der unmittelbaren Umgebung des Kindes eine entscheidende Bedeutung zu, da sie als Ess-Modell fungieren, wenn sie – vom Kind gut beobachtbar – mit Genuss unterschiedliche Speisen verzehren. Dementsprechend müssen Fachkräfte Kinder in dieser Phase besonders begleiten, d. h. sie an eine breite Auswahl an Lebensmitteln heranführen und Mahlzeiten angenehm gestalten. Für eine bedarfsgerechte Ernährung ist es wichtig, eine Akzeptanz unterschiedlicher Geschmäcker, Gerüche, Temperaturen, Formen und Farben von Lebensmitteln aufzubauen. Positive Emotionen sind dazu die weit mehr treibende Kraft als Hunger. Neben Erwachsenen beeinflussen auch andere, neugierige Kinder besonders wählerische Esser positiv. Wichtig ist außerdem eine angenehme Gestaltung der Mahlzeiten: Wie wird bei Tisch kommuniziert? Welche Möglichkeit haben die Kinder, selbst tätig zu sein? Welche Regeln gelten, die die Kinder u. U. unnötig einengen?

Probieren didaktisch

Im Kontext des Themas „Essen und Trinken“ verorten Fachleute den Vorgang des Probierens auf verschiedenen Ebenen: beim Funktionsspiel z. B. durch Schütten und Schöpfen oder mit Spielzeuggeschirr. Fachkräfte können dabei als Spielpartner wirken. Beim Symbolspiel etwa durch Kuchenbacken und Kochen in Sand oder Puppenküche sowie Einkaufen etc.: Auch hier sind Fachkräfte gefordert, Anlässe zu initiieren und Rollenspiele mitzugestalten. Konkret wird es durch Tolerieren, Berühren, Riechen, Schmecken und schließlich Essen unbekannter Lebensmittel. Dabei sollten die Kinder auch außerhalb der Mahlzeitensituation unbekannte Lebensmittel probieren können, z. B. bei Snacks, auf einem Ausflug, bei Koch- oder Backaktionen, beim Markt- oder Supermarktbesuch, während eines Buffets oder „Teiler“-Frühstücks, zu dem jeder etwas mitbringt. Oder auch von der Fachkraft, wenn sie etwas Neues von zu Hause mitbringt und es den Kindern schmackhaft macht. Bei dieser didaktischen Herangehensweise ist es auch wichtig, Kindern die fremden Lebensmittel in verschiedenen Variationen (z. B. roh, gekocht, püriert, unterschiedlich gewürzt) und vor allem nicht nur einmal anzubieten. Kinder können Geschmack tatsächlich lernen und sich an Lebensmittel gewöhnen. Es bietet sich an, einen kleinen Happen auf einem Extrateller appetitlich zu arrangieren und das Ganze sprachlich zu begleiten. Eine weitere Möglichkeit eröffnet sich, wenn den Kindern erlaubt wird, vom Mitgebrachten anderer Kinder zu probieren.

Die Fachkraft als Ess-Modell

Indem die Fachkraft mit den Kindern über das Essen spricht, macht sie sie neugierig. Sie ermutigt sie, etwas zu probieren, und wiederholt dies geduldig, aber immer mit der Überzeugung: Ich bin zwar dafür verantwortlich, was auf den Tisch kommt, aber das Kind darf selbst wählen, was es probiert. Vorbild ist die Fachkraft auch beim Essenlernen mit den dazugehörigen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Für jüngere Kinder wird Fachkräften jedoch empfohlen, ihre Assistenz bei der Mahlzeit von der eigenen, sättigenden Nahrungsaufnahme zu trennen. Aufmunterndes Mitessen soll hier in Form des sogenannten pädagogischen Happens geschehen. Auf diese Weise kann die Fachkraft auch besser mit den Kindern über Geschmack, Geruch, Textur, Konsistenz, Farbe und Menge des Essens sprechen. Ess-Begleitung ist als Arbeitszeit primär eine Zeit der Interaktion mit den Kindern. Abzugrenzen sind also die regulären Pausenzeiten der Fachkraft gemäß Dienstplan.

Erlaubnis zu konstruktivem Feedback

Wenn Sie sich im Team mit dem Thema Essen auseinandergesetzt und entsprechende Standards formuliert haben, könnten Sie folgende Vereinbarung treffen: Wird in Zukunft während der Mahlzeit bei einer Kollegin ein Agieren beobachtet, das nicht den erarbeiteten Standards entspricht, ist konstruktives Feedback an die betreffende Kollegin erlaubt. In Form einer Ich-Botschaft darf ihr gespiegelt werden, was beobachtet wurde. So erhält sie die Möglichkeit, ihr Verhalten zu reflektieren, und wird die freundliche Kritik nicht gleich persönlich nehmen. Damit Kinder sich auf das Probieren unbekannter Lebensmittel einlassen, brauchen sie Fachkräfte, die sie responsiv begleiten, ermutigen, mit ihnen über Essen sprechen, das Thema auch im Freispiel aufgreifen und keine Situation entstehen lassen, in der Zwang ausgeübt wird. 

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