Ein Interview mit Medienforscher Michael Gurt"Das sind Bilder, die man kleinen Kindern nicht zumuten sollte"

Zerstörte Häuser, verletzte Kinder und Familien auf der Flucht: Der Krieg in der Ukraine fördert nur schwer erträgliche Bilder zutage. Doch wie kann man Kindern etwas erklären, das nicht einmal Erwachsene verstehen? Medienforscher Michael Gurt gibt im Interview Tipps, welche Nachrichten erlaubt sind und wann es in Ordnung ist, nicht über den Krieg zu sprechen.

„Das sind Bilder, die man kleinen Kindern nicht zumuten sollte“
© MIA Studio/shutterstock.com

Panzer und Waffen, ganze Familien auf der Flucht: An den aktuellen Bildern und Videos aus der Ukraine kommen auch Kinder nicht vorbei – sei es im Fernsehen, online oder in Zeitungen. Was lösen solche Bilder bei Kindern im Kita-Alter aus?
Die Bilder vom Krieg können bei Kindern massive Ängste und Verunsicherung auslösen und sie verstören. Kinder beziehen das Gesehene auf sich und befürchten, dass der Krieg auch zu uns kommt. Sie sehen Bombeneinschläge, Verletzte, Tote und Menschen auf der Flucht. Familien, die auseinandergerissen werden, Frauen mit kleinen Kindern, die in U-Bahnschächten verzweifelt Schutz suchen. Das sind Bilder, die man kleinen Kindern nicht zumuten sollte. Deshalb sollten Eltern die Mädchen und Jungen von Bildern der Erwachsenennachrichten im TV, online oder in der Zeitung möglichst fernhalten.

Was sind die typischen Fragen, die Kinder in diesem Zusammenhang haben?
Was ist Krieg? Warum machen die Menschen Krieg? Was ist eine (Atom-)Bombe? Kommt der Krieg auch zu uns? Das sind typische Fragen von Kindern in diesen Tagen und Eltern fällt es verständlicherweise schwer, diese Fragen kindgerecht zu beantworten. Trotzdem ist es nicht richtig, die Fragen einfach abzutun nach dem Motto: „Das verstehst du noch nicht, dafür bist du zu klein.“ Die Kinder sollten mit ihren Ängsten und Sorgen auf keinen Fall allein gelassen werden.

Wie kann man etwas erklären, das nicht einmal Erwachsene verstehen?
Eine schwierige Situation für Eltern, denn das eigene Ohnmachtsgefühl, die eigene Verunsicherung und Besorgnis lassen sich nicht so leicht in den Griff kriegen. Eltern dürfen und sollten sagen, dass sie besorgt sind. Kinder kennen ihre Eltern sehr genau und spüren, wenn diese etwas belastet. Die Offenheit hilft Kindern, diese Gefühle einzuordnen. Wenn die eigene Betroffenheit allerdings sehr groß ist, sollten Mütter und Väter diese Sorgen an anderer Stelle besprechen, etwa mit Freund*innen oder in der Familie.

Müssen Eltern und pädagogische Fachkräfte mit Kindern überhaupt über Krieg sprechen – und wenn ja, wie?
Sie müssen nicht. Wenn Kinder nicht von sich aus fragen oder erkennen lassen, dass sie das Kriegsgeschehen beschäftigt, sollten die Erwachsenen sie damit in Ruhe lassen. Wichtig ist es, die Kinder genau zu beobachten und sensibel zu reagieren. Es kann sein, dass Kinder ihre Ängste zum Krieg nicht artikulieren, aber Bilder mit Bomben malen oder Krieg „nachspielen“. Dann ist es angezeigt, behutsam nachzufragen und darüber zu sprechen. Wenn man das Thema Krieg aufgreift, ist es wichtig, Kindern Geborgenheit zu geben und selbst Ruhe und Stabilität auszustrahlen. Eltern sollten die Erklärungen zum aktuellen Geschehen sehr einfach und kurz halten und dabei auf Spekulationen verzichten. Wichtig ist, auch positive Aspekte hervorzuheben: Zum Beispiel, dass ganz viele Menschen daran arbeiten, dass der Krieg bald endet. Oder dass Flüchtlingen überall in Europa geholfen wird. Hoffnung und Zuversicht sind in diesen Zeiten für Kinder besonders wichtig.

Welchen Tipp können Kita-Fachkräfte Eltern in diesem Zusammenhang geben?
Die Fachkräfte können auf Infoangebote für Eltern zum Umgang mit dem Krieg in der Ukraine verweisen, zum Beispiel auf www.flimmo.de. Dort gibt es ein Spezial zum Thema, das viele Informationen und Tipps bündelt. Ein Tipp könnte auch sein, mit den Kindern gemeinsam auf die Suche nach kindgerechten Informationen zu gehen. Anlaufstellen wären zum Beispiel die Kindersuchmaschine „Blinde Kuh“, die Internetseite der Sendung mit der Maus oder die Seite der Kindernachrichtensendung „logo!“. Hier werden die Informationen kindgerecht aufbereitet, ohne drastische Details. Gerade kleinen Kindern kann es helfen, Gefühle und Sorgen aktiv zu bearbeiten. So kann man gemeinsam zum Beispiel eine Friedenstaube malen, etwas basteln oder einen Brief oder ein Bild an die Maus schicken. Das sind kleine Aktionen, die in der Kita oder daheim funktionieren.

Über welche Ressourcen müssen Erwachsene verfügen, um mit Kindern über Krieg sprechen zu können?

Kinder brauchen gerade in Krisenzeiten stabile und widerstandsfähige Bezugspersonen, die ihnen Geborgenheit, Halt und Orientierung geben können. Als Eltern ist es in solchen Zeiten auch wichtig, auf sich selbst achtzugeben. Bei aller gerechtfertigter Besorgnis: Eltern sollten sich von den aktuellen Ereignissen und ständigen schlechten Nachrichten nicht überrollen lassen. Lieber auch mal abschalten, das Smartphone weglegen und gemeinsam etwas Schönes machen.

Kennen Sie eine Anlaufstelle, an die man sich bei Fragen zu diesem Thema wenden kann und die weiterhilft?
Eine Anlaufstelle für Kinder ist die „Nummer gegen Kummer“ (Tel. 116 111). Eltern können sich an die Familienberatungsstellen vor Ort wenden, aber auch an die Eltern-Telefonberatung der „Nummer gegen Kummer“ (Tel. 0800 111 0 550) oder an die Online-Beratung der Bundeskonferenz für Erziehungsratgeber www.bke.de.

FLIMMO ist ein Projekt des gemeinnützigen Vereins „Programmberatung für Eltern e. V.“. Dahinter stehen zehn Landesmedienanstalten, die Stiftung Medienpädagogik Bayern und das Internationale Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI). Mit der Durchführung ist das JFF – Institut für Medienpädagogik be-auftragt.

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