Ein Interview zu SprachprobenAlltagstauglich und leicht einsetzbar

Beim Frühstück, beim Puzzeln oder im Sandkasten – an der Alltagssprache des Kindes lässt sich der Sprachstand erkennen. Drei Expertinnen erklären das Konzept der Sprachproben und ermutigen zum Einsatz.

Ein Interview zu Sprachproben: Alltagstauglich und leicht einsetzbar
© KatarzynaBialasiewicz - iStock

Für welche Zwecke können Sprachproben eingesetzt werden?
C. Beckerle: Man kann sich Sprachförderung als Prozess vorstellen, der aus folgenden Schritten besteht: 1. Sprachförderdiagnostik, 2. Sprachförderplanung, 3. Durchführung der Sprachförderung, 4. Evaluation der Sprachförderung und 5. Dokumentation des Sprachförderprozesses.
Sprachproben können im ersten und vierten Schritt eingesetzt werden. Sie dienen im Rahmen der Sprachförderdiagnostik dazu, die sprachlichen Stärken und Schwächen von Kindern in der Spontansprache, also dem natürlichen Sprachgebrauch im Alltag, zu erfassen, um die Förderung passgenau für das Kind planen und durchführen zu können. Bei der Evaluation der Sprachförderung haben Sprachproben die Funktion zu prüfen, inwiefern die Fördermaßnahmen erfolgreich waren und ob das Kind weitere Entwicklungsschritte gegangen ist.

Kommen Sprachproben nur bei sprachlich auffälligen Kindern zum Einsatz?
D. Kucharz: Sprachproben können prinzipiell in der Arbeit mit allen Kindern eingesetzt werden. Da es im Kita-Alltag jedoch nicht nur um Sprachförderung geht, ist im Einzelfall zu klären, bei welchen Kindern eine Sprachprobe sinnvoll oder notwendig ist. Kinder, die sprachlich auffallen und bei denen der Eindruck besteht, dass sie deutlich weniger verstehen und weniger gut sprechen können als andere Kinder desselben Alters, sind ebenso wie mehrsprachige Kinder eine mögliche Zielgruppe.

Was genau sagt das Ergebnis aus?
K. Mackowiak: Durch den Einsatz von Sprachproben können erste Hinweise gewonnen werden, ob Auffälligkeiten in der sprachlichen Entwicklung vorliegen; ggf. schließen sich dann weitere diagnostische Schritte an, um einen spezifischen Förderbedarf zu klären. Sie können umgekehrt aber auch erste kritische Eindrücke widerlegen.

Wie viele Messzeitpunkte sind erforderlich, um zu einem aussagekräftigen Ergebnis zu kommen?
C. Beckerle: Hierfür gibt es keine genaue Vorgabe. Wichtig ist, dass auch längere sprachliche Äußerungen des Kindes aufgenommen werden. Das kann in einer fünfminütigen oder in einer 15-minütigen Situation der Fall sein. In vielen Fällen lohnt sich auch eine Materialsammlung aus verschiedenen Situationen, beispielsweise eine erste kurze Aufnahme an einem Tag während einer Bilderbuchbetrachtung und eine zweite Aufnahme an einem anderen Tag während eines Gesprächs beim Frühstück. Sichergestellt werden sollte, dass die Sprache des Kindes möglichst realitätsgetreu und umfassend abgebildet wird – Fachkräfte kennen die Kinder so gut, dass sie dies einschätzen können.
Sollte die Sprachprobe zur Untersuchung einer spezifischen sprachlichen Teilkompetenz eingesetzt werden, zum Beispiel um die Pluralbildung eines Kindes zu analysieren, ist es natürlich notwendig, dass im Material genügend Pluralformen vorkommen. Hier kann ein Gespräch helfen, das von einer Fachkraft geführt wird und in dem Nomen im Plural gebildet werden müssen, zum Beispiel bei einem Spiel mit vielen Tieren, die alle mehrfach vorhanden sind.

Für welche Fachkräfte in der Kita ist der Einsatz von Sprachproben interessant?
D. Kucharz: Die Arbeit mit Sprachproben stellt generell eine in der Kita gut handhabbare und auch effiziente Methode dar, um den Sprachentwicklungsstand von Kindern festzustellen. Herauszufinden, welche sprachlichen Strukturen ein Kind schon sicher beherrscht, welche nur teilweise und welche noch gar nicht, ist eine wichtige Grundlage für die Sprachförderung. Nur so können Fachkräfte fundiert planen, wie sie jedes Kind individuell in seiner Sprachentwicklung begleiten und anregen können. Alle Fachkräfte, die sich intensiv in diese Methode eingearbeitet haben, können Sprachproben durchführen. Vor dem Hintergrund vielfältiger Aufgaben und Verantwortungen in der Kita sind es oft einzelne Fachkräfte eines Teams, die ein spezielles Interesse am Entwicklungsbereich Sprache haben.

Wie viel Übung brauchen Fachkräfte, um Sprachproben sicher einsetzen zu können?
K. Mackowiak: Um Sprachproben selbst anwenden zu können, brauchen Fachkräfte zum einen Wissen über die Sprachentwicklung von Kindern. Zum anderen bedarf es, wie so oft, auch der Übung in der Praxis. Die ersten Sprachproben fallen vielen Fachkräften noch schwer, aber sobald die Methode routiniert eingesetzt werden kann, wird sie von den meisten gern genutzt. Von großem Vorteil ist es, wenn sich mehrere Kolleg* innen oder ein ganzes Kita-Team mit dieser Methode auseinandersetzen, damit sie sich gegenseitig unterstützen können. Zudem können selbstverständlich Weiterqualifizierungsangebote zu diesem Thema besucht werden.

Muss der Einsatz von Sprachproben konzeptionell verankert sein?
C. Beckerle: Der Einsatz von Sprachproben muss nicht im Konzept der Kita verankert sein. Wichtig ist aber, dass er in den Köpfen des Personals verankert ist – Fachkräfte sollten wissen, dass es diese Methode gibt, wie sie funktioniert und wann und bei wem sie sich gut eignet. Sprachproben können jederzeit im Kita-Alltag eingesetzt werden und sind unabhängig von anderen diagnostischen Methoden oder Fördermaßnahmen. Um ihr volles Potenzial auszuschöpfen, sollten sie in der Logik des erläuterten Sprachförderprozesses eingesetzt werden, also nicht völlig losgelöst von jeglicher anderen Sprachförderarbeit.  

Fallbeispiel Fachkräfte einer Kita berichteten von einem mehrsprachig aufwachsenden Mädchen, das „Kauderwelsch“ spreche: Die Aussprache war undeutlich, viele entwicklungsangemessene Wörter fehlten, grammatikalische Fehler wurden gemacht. Das Fazit der Fachkräfte fiel so aus, dass das Mädchen über sehr geringe sprachliche Fähigkeiten verfüge. Die Auswertung einer Sprachprobe zeigte jedoch, dass das Mädchen zwar Auffälligkeiten auf den verschiedenen Sprachebenen aufwies, andererseits aber auch über viele Kompetenzen verfügte; u. a. waren komplexe Lautverbindungen, viele Begriffe und auch erste Versuche von Nebensätzen und Vergangenheitsformen zu beobachten.  

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