Lateinische Lektüren in Rom

Während des Konzils erarbeitete sich die „Herder Korrespondenz“ in der Berichterstattung ein Alleinstellungsmerkmal.

Lateinische Lektüren
© Pixaybay

Vor bald 60 Jahren begann das Zweite Vatikanische Konzil. Damals gingen die „Herder Korrespondenz“ und das Zweite Vatikanum eine Art besondere Symbiose ein. Die Redaktion war wie alle Welt aufgeschreckt und erstaunt über den Mut – manche dachten wohl auch „Naivität“ – des neuen Papstes Johannes XXIII., der wenige Monate nach Pontifikatsbeginn ein gesamtkirchliches („Ökumenisches“) Konzil angekündigt hatte. Die Redaktion nahm den Konzilsplan rasch in ihren Fokus. Man ahnte, dass sich nach dem langen, in hehrer Erhabenheit geführten Pontifikat Pius XII. in der Kirche eine Menge würde ändern müssen. Nach den Ungewissheiten der Vorbereitungszeit brauchte der Konzilsbeginn den Befreiungsschlag. Den entscheidenden Akzent am Anfang setzte der Papst selbst. Mit seiner Forderung, die kirchliche Lehre müsse so erforscht und ausgelegt werden, wie es unsere Zeit verlange, und dabei gelte es, „die Substanz der im Glaubensgut enthaltenen Lehre von ihrer sprachlichen Einkleidung zu unterscheiden“, gab er ein bislang uneingelöstes Versprechen und Aufbruchssignal.

Die Berichterstattung über das Konzil selbst gestaltete sich zunächst holprig. Das lag vor allem an der anfänglichen Öffentlichkeitspolitik in Rom. Es war ein „Konzilspressesaal“ (heute Vatikanischer Pressesaal) geschaffen worden, mit dem immer etwas brummigen Fausto Vallainc als verantwortlichem Leiter. Ihm waren Sprecher für die verschiedenen Sprachgruppen zugeordnet. Zu jeder Tagessitzung wurden Bulletins veröffentlicht. Aber in den Bulletins durfte nur stehen, worüber in der Konzilsaula gesprochen wurde, aber nicht, wer was wie gesagt hat. Erst mit Paul VI., ab der zweiten Sitzungsperiode, änderte sich das grundlegend. Ab da wurden Ross und Reiter genannt. In der zweiten Phase standen so gut wie alle Materialien für eine solide Berichterstattung zur Verfügung, auf informellen Wegen auch die Beschlussentwürfe („Schemata“) in ihren diversen Entstehungsstadien. Das führte für die HK zu einer Art Alleinstellungsmerkmal. Welcher Tages- oder sonstiger Journalist setzt sich schon tagelanger Lektüre umständlich komponierter lateinischer Texte aus. Die HK war sich dafür nicht zu schade und stieg groß ein, natürlich mit dem Ergebnis, dass sich in ihrer Berichterstattung über Jahre neben dem Konzil kein anderes Thema von Rang behaupten konnte.

Es gab neben den allgemeinen Medien, die sich verstärkt für das Konzil interessierten, auch andere Mitstreiter, wie beispielsweise die italienische Jesuitenzeitschrift „Civiltà Cattolica“ mit Direktor Roberto Tucci (zugleich Sprecher für Journalisten italienischer Sprache, später Chef von Radio Vatikan, dann längere Zeit Reisemarschall Johannes Pauls II., zuletzt Kardinal). Der unermüdliche, immer souveräne, freundlich sachliche Padre Tucci war auch für die HK ein immer zugänglicher und informativer Gesprächspartner. Zudem gab es ja noch den losen internationalen Verbund Katholischer Zeitschriften. Er war im Vorfeld des Konzils entstanden; er tagte abwechselnd bei einer der teilnehmenden Redaktionen, ein einziges Mal bei Herder. Tucci fungierte auch dort (neben Jan Grootaers, Brüssel-Löwen) als eine Art Leitfigur. Viele der Kollegen mit Daueraufenthalt in Rom waren bisweilen näher am Geschehen als wir, sie waren bei den konzilsinternen Kämpfen, Krämpfen und Krisen auch mit Schaum vor dem Mund dabei. Insgesamt dürfte sich die Methode HK, regelmäßige Präsenz in Rom zur Beobachtung und Materialbeschaffung und ruhiges, aber intensives Verarbeiten „zu Hause“, bewährt haben.

Als Chronist und Zeitzeuge habe ich das Konzil immer unter zwei Gesichtspunkten gesehen: das Konzil in seinen Beschlüssen und deren Genese – und das Konzil als Ereignis. Aus der zeitlichen Distanz von heute erscheint mir das Konzil als Ereignis als der aber vielleicht gewichtigere Teil des Geschehens. Bei aller innovativen Kraft vor allem der großen Konzilstexte enthalten diese allesamt doch viel „Übergang“. Für einen gemeinen Christen von heute kommt selbst „Gaudium et Spes“ etwas gestelzt daher: Man will dabei sein, zeigt, was man zu bieten hat, und meint „Moderne“ verstanden zu haben. Hat man? Und ob die Konzentration auf „Kirche von innen, Kirche nach außen“ die beste aller möglichen Entscheidungsfindungen war oder diese doch an der Glaubenssituation der Menschen vorbeischrammte, lässt sich zumindest fragen. Das Konzil als Ereignis aber war ein gewaltiger Sprung vom Abheben zum Ankommen, der gewagt werden musste.

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