Zur Diskussion um das „Mission Manifest“Wir wollen missionieren!

Die theologische Kritik am „Mission Manifest“ wurzelt in Auffassungen über Heil und Wahrheit, die sich nicht auf Schrift, Tradition und Lehramt berufen können.

Anbetung in einer Kirche
© KNA

Der Theologe Aaron Langenfeld hat sich in dieser Zeitschrift kritisch mit dem Buch „Mission Manifest“ auseinandergesetzt (vgl. HK, September 2017, 43–45). Das ist zum einen erfreulich, weil ein Manifest, dem sich an die 100 Bewegungen im deutschsprachigen Raum angeschlossen haben und das demnächst auch in Frankreich veröffentlicht werden wird, theologische Reflexion verdient. Zum anderen weil Langenfeld kürzlich anlässlich der „Salzburger Hochschulwochen“ in einer sehr anregenden Podiumsdiskussion mit mir zusammengetroffen ist. Die engagierte Kritik an „Mission Manifest“ wurde vor besagter Diskussion verfasst und wirkt ein wenig wie mit heißer Nadel gestrickt. Denn sie widerlegt mit Verve Aussagen, die sich im Buch jedenfalls so nicht finden. Oder regen sich da tiefere Differenzen im Umgang mit Worten wie „Mission“, „Wahrheit“ und „Entscheidung“, die nähere Betrachtung verdienen?

Nach ausführlicher Würdigung des Anliegens und über weite Strecken hinweg auch der in „Mission Manifest“ formulierten Vorschläge führt Langenfeld aus, weshalb das Buch dennoch ein gewisses Unbehagen hinterlasse, das sich „zu einer theologisch begründeten Skepsis auswachsen“ könne. Die einzelnen Kritikpunkte werden als Tendenzen, als Container potenzieller Implikationen formuliert. Direkte Textbelege für abzulehnende Aussagen werden kaum erbracht. Dies verwundert nicht, finden sich die kritisierten Thesen schließlich nicht im Text des Buches. Konkret: Weder wird irgendwo eine „theologiefreie Mission“ gefordert (Was genau sollte das eigentlich sein?), noch ein auf menschliche Initiative reduzierter, Gottes Wirken ausschließender Gnadenbegriff propagiert, erst recht keine elitäre Definition „wahrer Jünger“ gegeben, die sich von den zweifelnden, stillen Normalchristen abheben sollten oder könnten. Von alledem kann keine Rede sein. Unterliegt Langenfeld hier einer „Hermeneutik des Verdachts“, die Exklusivismus und Fundamentalismus auch dort wittert, wo Engführungen und Polarisierung bewusst vermieden werden und schlichtweg ein freudig-aktivistischer Aufruf zum lebendigen Zeugnis erschallt?

Nein, selbstverständlich braucht Mission theologische Reflexion, gibt es kein missionarisches Handeln ohne Theologie. Dass „Mission Manifest“ freilich kein theologisches Fachbuch ist, fällt jedem Leser auf. Ob ein aus der Praxis für die Praxis geschriebenes Begleitbuch für eine Grassroots-Initiative überwiegend junger Bewegungen akademischen Ansprüchen genügen sollte und ob es auch dann ein Spiegel-Bestseller geworden wäre, sei einmal dahingestellt. Doch nein, die Betonung des Missionarisch-Kerygmatischen bedeutet keineswegs eine Abwertung der Verschiedenheit der Grundvollzüge der Kirche, der Pluralität der Charismen. Langenfeld meint hier Konturen einer Lagerbildung ausmachen zu können, die den Autoren selbst fremd ist. Hier wird schlicht gegen Strohmänner ins Feld gezogen.

Erst nach mehrmaligem Lesen jedoch eröffnet sich eine bemerkenswerte Tiefenstruktur in Langenfelds Argumentation. Auf die Gefahr hin, seine bewusste Intention zu missdeuten, sei hier eine Antwort auf tieferer Ebene versucht. Langenfeld wirft dem Manifest vor, theologisch dünne Bretter zu bohren. Was er damit meint, wird schnell deutlich. Den Tun-Ergehens-Zusammenhang zwischen Gebet und Erhörung empfindet er „nach Auschwitz“ als unerträglich. Die Ansicht, beim Tauf- und Missionsbefehl handle es sich um ein Wort Jesu, gilt ihm als theologische Naivität. In der Rede von Jesus als dem einzigen Weg zum Vater entdeckt er konsequente Ungeschichtlichkeit. Im konkreten Aufruf zum missionarischen Handeln wittert er die Gefahr mangelnder Wertschätzung für Pluralität innerhalb und außerhalb der Kirche. Die Rede von der notwendigen Entscheidung für den Glauben scheint Langenfeld der Missachtung der Gnade Gottes zu verdächtigen, die auch außerhalb der Kirche und schon lange vor Christus wirksam war.

So richtig vieles von all den Einwänden auf den ersten Blick erscheint (besonders, falls „Mission Manifest“ tatsächlich das Unterstellte behaupten würde), so schleierhaft wird Langenfelds eigene Position, wenn man konkret danach fragt, was er denn nun eigentlich sagen will. Wie sähe denn seine theologisch weniger „dünne“ Version missionarischen Handelns aus?

Das Kreuz, so Langenfeld, sei „radikale Selbstgabe Gottes für die Freiheit des Menschen“. Kennzeichen der Kirche und allen kirchlichen Handelns müsse daher jene Ambiguitätstoleranz sein, die um die historischen Kontingenzen der eigenen Perspektive weiß und sich radikal auf den Diskurs der Moderne einlässt und Pluralisierung als auch theologisch normative Kraft anerkennt. Doch müsste im Licht einer solchen Theologie besonderes Kennzeichen des Vertrauens auf die Gnade Gottes und seiner in dieser Zielrichtung verstandenen Liebe nicht der konsequente Verzicht auf den eigenen Wahrheitsanspruch sein? Ein Christentum, dem es fernläge, die individuelle Freiheit des Einzelnen durch irgendeinen verbindlichen Anspruch zu begrenzen? Christentum also ohne objektive, propositionale Wahrheit? Rührt daher das Unbehagen? Oder was genau sonst soll denn die Rede von der „Unüberbietbarkeit“ Christi bedeuten, die so scharf von der „Überlegenheit“ zu unterscheiden sei?

Hier scheint der Hase im Pfeffer zu liegen. Natürlich zitiert Langenfeld „Nostra Aetate“, natürlich auch die berühmten logoi spermatikoi und beschwört die Gefahren für den interreligiösen Dialog. Dass er nicht nur das Konzil und Justin, sondern sogar Benedikt XVI. dabei hoffnungslos überstrapaziert, scheint Langenfeld nicht bewusst zu sein ist doch der emeritierte Papst der Autor der Erklärung „Dominus Iesus“, bei der es sich nicht gerade um eine Charta des Inklusivismus handelt. Es wäre interessant, Benedikts XVI. Reaktion darauf zu sehen, dass in Langenfelds Artikel ausgerechnet er als Gewährsmann der Existenz unendlich vieler individuell verschiedener Heilswege zu Gott angeführt wird. Und eine noch ausstehende umfassende Zusammenstellung all jener theologischen Kuriositäten, die sich schon einmal mit dem raunenden Verweis auf „Nostra Aeate“ legitimiert sahen, müsste nach einem Verlag suchen, der dicke Bücher zu drucken bereit ist.

Nein, es ist nicht der Überlegenheitsanspruch des christlichen Heilswegs, der, wie der Autor behauptet, mit Schrift, Tradition und Lehramt unvereinbar ist. Das exakte Gegenteil ist der Fall. Die Installation alternativer, an Jesus Christus und seiner konkreten Selbstoffenbarung vorbeigehender Heilswege ist eben jener relativistische Universalismus, von dem mancher eigentlich träumt, wenn er die Worte „interreligiöser Dialog“ und „Pluralität“ hört. Er ist nicht und war niemals die Lehre der katholischen Kirche (und die Versuche, seine Spuren in der Schrift zu finden, führen nirgendwohin).

So ist es nicht verwunderlich, dass Langenfeld ätherisch klingt, wenn es um das Heilshandeln durch Jesus Christus geht. Die Selbstmitteilung Gottes habe stets die „Würdigung des anderen in seinem konkreten Sosein“ zum Ziel. Nur das? Tatsächlich? Die Botschaft vom Kreuz also die Bejahung der menschlichen Freiheit, die bedingungslose Bestätigung seiner Autonomie? Dies ohne Bekehrung, ohne Abwendung von etwas, ohne Befreiung von der Sünde und dem Bösen, aus dem der Mensch sich eben nicht selbst erretten kann? Das Grundsymbol des Christentums sei schließlich das Kreuz, kein österliches Triumphzeichen. Doch was, so möchte man fragen, beinhalten denn die ältesten christlichen Bekenntnisformeln? Was die christologischen Hoheitstitel, allen voran der des kyrios? In welcher Hinsicht ist er denn Herr, welche Ansprüche stellt er an den Menschen und was im Menschen muss sich vor ihm beugen? Von was genau hat der Christus, den Paulus verkündete (Oder ist das jetzt auch wieder unkritischer Umgang mit der Schrift?), den Menschen denn erlöst? Hier ist man an Titel und Aussage des für den ganzen Sachverhalt überaus relevanten Buchs Karl-Heinz Menkes erinnert: Macht die Wahrheit frei oder die Freiheit wahr?

Die Kraft des Gebetes

Langenfeld scheint die Aussage suspekt, in Jesus sei etwas kategorial Neues in die Welt gekommen. Doch nein, es ist nicht „konsequent ungeschichtlich“, wenn man die Menschwerdung Gottes in Jesus tatsächlich als etwas absolut und in jeder Hinsicht kategorial Neues bezeichnet. Und nein, damit ist nicht gesagt, dass Gottes Gnade nicht auch schon vorher gewirkt hätte oder an Orten wirken könnte, die von der sichtbaren Kirche unberührt sind. Es ist die Mitte des christlichen Kerygmas, die Mitte und der Höhepunkt der Geschichte Gottes mit Israel und der ganzen Welt. Es wäre nicht verwunderlich, wenn jemand sich nicht für das „Mission Manifest“ begeistern könnte, wenn ihm selbst die Zentralität, Einzigartigkeit und Heilsnotwendigkeit des Evangeliums nicht klar vor Augen stünde.

An dieser Stelle löst sich auch der Gegensatz, den Langenfeld zwischen dem Missionsbegriff des Manifests und der Gnadenlehre meint ausmachen zu können. Tatsächlich wirkt die Behauptung ein wenig verwunderlich, man traue der Gnade vielleicht zu wenig zu, wenn man an die Notwendigkeit der kerygmatischen Verkündigung erinnert. Wie klänge denn dasselbe Argument übertragen auf andere Felder kirchlichen Handelns? Schmälert auf gleiche Weise der das Vertrauen in Gottes Gnade, der vom Glauben motiviert zu ökologisch nachhaltigem Leben aufruft oder Fairtrade propagiert? Wer möchte denn bestreiten, dass auch hier Gott über menschliche Initiative hinaus zu wirken im Stande ist?

Tatsächlich ist das „Mission Manifest“ durchdrungen von einer Überzeugung, die Langenfeld nur en passant mit seinem Artikel streift und die er als „niveaulos“ und nahezu unerträglich bezeichnet: dem Glauben nämlich an die Kraft Gottes, die sich eben gerade nicht in einem von menschlicher Aktion losgelöstem Vakuum ereignet, sondern bevorzugt in jener Kooperation mit Gottes Gnade, die man Gebet nennt. Und wenn dies schon theologische Naivität gescholten werden soll, so geschehe es mit etymologischer Präzision. Es handelt sich tatsächlich um das kindliche Vertrauen auf den Vater, der die Bitten seiner Kinder erhört. Es geht tatsächlich und vollumfänglich um jene Erfahrung der Selbstmitteilung Gottes als Liebe, auf die Langenfeld zu Recht hinweist. Eine Erfahrung jedoch, die der Mensch nicht von sich selbst aus und automatisch dem Lauf der Geschichte entnimmt. Sondern eine, um die man beten kann und die sich beim Hören derjenigen Botschaft ereignet, die Paulus als „Kraft Gottes“ bezeichnet, die jeden rettet, der glaubt. Eine, die zur Umkehr ruft. Eine Botschaft, die befreit, doch indem sie in die Wahrheit führt und die Lüge und das Böse überführt. Die einzige Botschaft, die rettet und die immense Freude freisetzt (Evangelii Gaudium!), derer sich auch heute keiner zu schämen braucht: das Evangelium von Jesus, dem gestorbenen und auferstandenen Erlöser.

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