KommentarAllianzen

Ralf Rothmann präsentiert sich als würdiger Träger des Kunst- und Kulturpreises.

Ralf Rothmann bei der Verleihung des Kunst- und Kulturpreises
Ralf Rothmann bei der Verleihung des Kunst- und Kulturpreises der deutschen Katholiken in München.© Stefan Orth

„,Ach, keine Ahnung. Weiß ja nicht mal wie ich leben möchte.‘/,Was muss man da wissen? Das Leben lebt sich von allein.‘“ Eine Stelle wie diese aus Ralf Rothmanns Roman „Milch und Kohle“ markiert eine entscheidende Differenz bei der Betrachtung der Welt, die sowohl der Literatur als auch der Religion gemeinsam ist. Dass sich das Leben eben nicht einfach selbst lebt, gilt besonders, wenn man wie die Figuren in den Romanen Rothmanns zu den so genannten kleinen Leuten gehört und etwa in der irgendwie miefigen und dennoch liebenswerten Welt des Ruhrgebiets aufwächst.

Rothmann, selbst Sohn eines Kumpels und einer Kellnerin, hat sich diesen Fragen mit Eindringlichkeit gestellt, sie schriftstellerisch verarbeitet und gehört inzwischen zu den mehrfach dekorierten Vertretern der deutschen Gegenwartsliteratur. Jetzt hat er Anfang Dezember in München den Kunst- und Kulturpreis der deutschen Katholiken erhalten, der seit 1990 bereits zum achten Mal zusammen von der Deutschen Bischofskonferenz und dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) verliehen wurde.

Laudatorin bei der Preisverleihung in einem ehemaligen Straßenbahndepot war Kulturstaatsministerin Monika Grütters, sowohl Mitglied des ZdK als auch des Preisgerichts. Dass es in der „Trostlosigkeit der Eckkneipen, Imbissbuden und Schrebergärten“ oft kläglich, erbärmlich und brutal zugehe, Rothmann immer wieder aber auch die Größe der Menschen zart, anrührend und wundervoll zeichne, sei für sie der wichtigste Grund für die Auszeichnung.

Aber sie erinnerte auch an die vielgestaltigen religiösen Bezüge im Werk des Schriftstellers, sei es doch das im Statut festgeschriebene Anliegen des Preises, „das kulturelle Bewusstsein in der Kirche zu schärfen und die religiöse Dimension in der pluralistischen Kultur der Gegenwart zu stärken“. Ästhetisch überzeuge Rothmann durch souveräne Tektonik, meisterhafte Porträtkunst, subtiles Spiel mit literarischen Genres vom Psalm bis zum Bildungsroman und einer beinahe „filmischen“ Evokationskraft atmosphärischer Bilder, hieß es entsprechend in der Begründung der Jury.

Rothmann selbst hatte, gewissermaßen als Herzstück der stimmungsvollen Festveranstaltung, seine Erzählung „Gethsemane“ vorgelesen, in der die Welt, als ob sie doppelte Böden hätte, jeweils auf metaphysische Räume verweist. Das gilt gleichermaßen für das Wasser im Schwimmbad („überhaupt kein Wasser […] in diesem Moment, sondern irgendetwas Gleißendes“), in dem der Protagonist seine Kreise zieht, wie für die Faltenwürfe des Kopfkissens, die am Ende auf die geliebte Frau nur noch verweisen können.

In seinen Dankesworten ist Rothmann noch konkreter geworden: Auch der 61-jährige hat eine Vergangenheit als Messdiener, zeigte sich freilich aufgrund seines Interesses am Wort eher abgestoßen vom Rezitieren von Gebeten, die er nicht verstand. Seine Rolle habe er deshalb als Lektor gefunden, auch sonst habe ihn die Lektüre der Bibel fasziniert – und wo die Goldrandseiten verklebten und ihm auf diese Weise einen ganz ungewöhnlichen neuen Text zusammenstellten, habe er verstanden, dass Leidenschaft wichtiger als Logik sei. Offenkundig eine gute Voraussetzung, um Schriftsteller zu werden.

Grütters zeigte sich in ihrer Laudatio im Übrigen auch selbstkritisch. Es sei für die Institution katholische Kirche wenig schmeichelhaft, dass sie es in dem knappen Vierteljahrhundert, den dieser Preis inzwischen verliehen werde, nicht geschafft habe, auch nur eine einzige Frau als Einzelpreisträgerin auszuzeichnen (Ursula Ehlert-Dorst wurde 2008 immerhin zusammen mit ihrem Ehemann Tankred Dorst in der Sparte Theater geehrt). Das sei beschämend und offenbare nicht nur im Verhältnis zu Kunst und Kultur einen Mangel an Wertschätzung für die Leistung von Frauen.

Grundsätzlich kann man natürlich auch den Sinn solcher Veranstaltungen diskutieren und als gelegentlich gelegene Events ohne Nachhall kritisieren. Zuletzt folgten allerdings auf die Preisverleihung mehrtägige Werkstattgespräche mit Bischöfen, anderen Kirchenvertretern, Theologen, weiteren Experten und einer Reihe von Künstlern zum jeweiligen Thema (vgl. HK, Februar 2014, 89ff.). Für dieses Jahr sind im Übrigen von der Bischofskonferenz anlässlich des 50-jährigen Konzilsjubiläums ein Dutzend Kulturveranstaltungen im großen Stil an unterschiedlichen Orten in ganz Deutschland geplant. Daneben gibt es kontinuierlich vielfältige Aktivitäten von Gemeinden und Gruppierungen, die sich mit den Künsten auseinandersetzen. Der Kunst- und Kulturpreis ist da ein wichtiges öffentliches Signal.

Aber nicht zuletzt die Preisverleihung an Ralf Rothmann hat wieder gezeigt, dass höchst sinnvoll wäre, sich auf allen Ebenen und in der Breite noch intensiver mit der Gegenwartskunst und -kultur auseinanderzusetzen, um sich von „feinsinnigen Beobachtungen des scheinbar Banalen“ (Grütters) für religiöse Erfahrungen nachhaltig die Sinne schärfen zu lassen.

Rothmann selbst konnte im Übrigen schön deutlich machen, wo es einerseits neue Allianzen zwischen Kunst und Kirche gibt, die freilich auf der anderen Seite auch unbequem sein können. So sagte er den ihn Ehrenden wie allen 700 geladenen Gästen auf den Kopf zu, dass ihn befremde, wenn jemand sage, er sei Christ (oder Muslim) und meine, dies wie eine „Polizeimarke“ vor sich hertragen zu können. Christ könne man nur werden wollen. Genauso verhalte es sich allerdings auch mit den Literaten, die in der Regel selbst große Schwierigkeiten hätten, sich als solche zu bezeichnen.

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