Die Wunden in Sri Lanka sind noch nicht geschlossenNach dem Bürgerkrieg

Im südasiatischen Inselstaat Sri Lanka ging jetzt ein 25-jähriger Bürgerkrieg zwischen der Regierung und den Kämpfern der tamilischen Minderheit zu Ende. Auch die Kirchen waren von der Spaltung des Landes betroffen. Nach dem Bürgerkrieg bleiben erhebliche Folgeprobleme; die Lage ist ausgesprochen labil.

Am 19. Mai 2009 wurde zunächst im nationalen Fernsehen in Sri Lanka und dann von den internationalen Medien der Tod des Führers der „Befreiungstiger von Tamil Eelam“ (LTTE), Vellupillai Prabhakaran gemeldet, der bei den Gefechten um den letzten Stützpunkt der LTTE am Ufer der Lagune Nathikadal getötet worden war. Gezeigt wurde sein mit einer Khakiuniform bekleideter Leichnam.

Mit dem Tod ihres Führers und dem Verlust der letzten von der LTTE gehaltenen Stellungen im Norden der Insel kam die Geschichte von Tamil Eelam als eines unabhängigen, von Tamilen beherrschten Territoriums in Sri Lanka zu einem blutigen Ende. Als die Nachricht vom Tod Prabhakarans und seiner Führungsmannschaft bekannt wurde, gab es im ganzen Lande Jubelfeiern, bei denen Feuerwerkskörper abgebrannt wurden und mit Milchreis und Süßigkeiten das Ende des Bürgerkriegs und der Tod der LTTE-Führer gefeiert wurde.

Die ethnischen Schwierigkeiten begannen kurz nach der Unabhängigkeit

Diese Freudebekundungen waren auf Seiten der Singhalesen meistens spontan und nicht von der Regierung organisiert. Sie machten deutlich, wie stark die ständige Bedrohung, Terroranschlägen der LTTE-Militanten ausgesetzt zu sein, in der Bevölkerung gewesen war. Bei den Tamilen dagegen war von Freude nichts zu spüren, bei ihnen herrschte eher Angst vor der Zukunft.

Der fast 25 Jahre dauernde Bürgerkrieg in Sri Lanka hat eine lange Vorgeschichte. Sri Lanka, oft die „Perle im indischen Ozean“ genannt, ist eigentlich ein Inselstaat, der mit seinen geographischen Gegebenheiten, seinen Wäldern, seinem landwirtschaftlichen Potenzial, seinem Reichtum an Bodenschätzen, seinen touristischen Attraktionen und nicht zuletzt mit seinem Erziehungssystem und hoher Alphabetisierungsrate ein führendes Land in Asien sein könnte.

Die ethnischen Schwierigkeiten begannen allerdings schon kurz nach der Erlangung der Unabhängigkeit im Jahr 1948, als das Parlament 1949 den so genannten Plantagen-Tamilen, das heißt den Tamilen, die unter der britischen Kolonialherrschaft aus Südindien als Arbeitskräfte auf den Teeplantagen ins Land gekommen waren, das Bürgerrecht absprach und ihre Repatriierung nach Indien in Gang setzte. Getragen vom Chauvinismus der singhalesischen Mehrheit beschloss die Regierung von Präsident Bandaranaike 1956 das „Sinhala-Only-Gesetz“, durch das Sinhala, die Sprache der singhalesischen Mehrheit, offiziell zur einzigen nationalen Sprache erklärt wurde. Die lautstärksten Befürworter der „Sinhala-Only-Politik“ kamen aus den Reihen der Buddhisten, die in Englisch als Landes- und Unterrichtssprache immer auch ein verstecktes Instrument der Verwestlichung und der christlichen Mission gesehen hatten.

Die einseitige Berücksichtigung von Sinhala, einer nur auf Sri Lanka genutzten Sprache, führte zu einer allgemeinen Schwächung des Niveaus im Erziehungswesen, da es an Fachliteratur auf Sinhala mangelte, die Fachterminologie oft erst geschaffen werden musste und der Kreis der am wissenschaftlichen Diskurs beteiligten Fachleute stark begrenzt war. Am gravierendsten waren aber die Auswirkungen der einseitigen Berücksichtigung von Sinhala als Landessprache für das Verhältnis zwischen Singhalesen und Tamilen. Als Reaktion auf die einseitige Sprachpolitik entschieden sich zahlreiche Tamilen zur Auswanderung und legten damit den Grundstock für die gut eine Million starke tamilische Diaspora, die in Kanada, Großbritannien, Deutschland, Indien, Australien und einer Reihe anderer Länder entstand und in den folgenden Jahrzehnten vor allem die extreme Politik der LTTE finanziell und ideell unterstützte.

Schon bei der Verabschiedung des Gesetzes zur Einführung von Sinhala als einziger Landessprache machten Kritiker darauf aufmerksam, dass dies notwendig zur Spaltung und der Entstehung einer Zwei-Staaten-Bewegung führen müsse, während die Einführung von Tamil als gleichberechtigter Landessprache neben Sinhala zur Entwicklung einer einzigen Nation beigetragen hätte. Als 1978 Tamil dann doch den Rang einer zweiten Nationalsprache zugesprochen erhielt, war es zu spät. Wenige Jahre später kam es zu anti-tamilischen Pogromen und zum Beginn der gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Volksgruppen, die fast drei Jahrzehnte andauerten und erst im Mai 2009 mit der Vernichtung der LTTE und ihrer Führer ein vorläufiges Ende fanden. Der Chauvinismus der singhalesischen Mehrheit hat Sri Lanka in den letzten Jahrzehnten zu einem singhalesischen buddhistischen Staat gemacht, in dem die anderen ethnischen und religiösen Minderheiten nur einen eingeschränkten Rechtsstatus haben.

Begonnen hatten die blutigen Auseinandersetzungen im Juli 1983 mit einem Hinterhalt der LTTE in Jaffna, bei dem 13 Regierungssoldaten, alles Angehörige der singhalesischen Mehrheit, ihr Leben verloren. Die LTTE war von Vellupillai Prabhakaran im Mai 1976 gegründet worden und löste die 1974 gegründete Organisation der „Tamilischen Neuen Tiger“ (TNT) ab. Die LTTE erhob von Anfang an den Anspruch, die einzig effektive und damit auch einzig legitime Vertretung der tamilischen Interessen zu sein und bekämpfte andere tamilische Organisationen, die ihr diesen Rang nicht zugestehen wollten.

In Reaktion auf den Hinterhalt in Jaffna kam es in Colombo zu Pogromen gegen Tamilen und tamilische Einrichtungen, bei denen Hunderte Tamilen ihr Leben und noch mehr ihre Habe und Existenz verloren. Über 100000 Tamilen mussten Colombo für immer verlassen. Es folgten militärische Auseinandersetzungen zwischen der LTTE und Regierungstruppen, die als „Erster Krieg um Eelam“ durch den Einsatz indischer Friedenstruppen zunächst beendet werden konnten. Die Erwartung der LTTE, dass Indien sich einseitig für die tamilischen Belange einsetzen würde, wurde schnell enttäuscht. Die indischen Truppen, die von der tamilischen Bevölkerung zunächst als „Retter“ begrüßt worden waren, wurden nun zu „Feinden“.

Als die Inder 1990 abzogen, flammten die Kämpfe zwischen Singhalesen und Tamilen nach einer kurzen Flaute 1993 wieder auf. Die LTTE erzielte in diesem „Zweiten Krieg um Eelam“ die ersten größeren Landgewinne im Norden und Osten Sri Lankas. 1994 unternahm Präsidentin Chandrika Kumaratunga noch einmal eine Friedensinitiative, die aber fehlschlug. Im Oktober 1995 ordnete sie die Wiederaufnahme des Kampfes – den „Dritten Krieg um Eelam“ – an, der zur Rückeroberung von Jaffna führte, das die LTTE nach längerem Widerstand räumte, wobei die gesamte Zivilbevölkerung zwangsweise evakuiert wurde. Prabhakaran revanchierte sich 1996 mit der Eroberung der wichtigen Militärbasis Mullaitivvu, wodurch er eine Einsatzbasis für seine Marine erhielt.

Interne Zersetzungserscheinungen der LTTE

Im Jahr 2000 gelang der LTTE die Eroberung des Elefanten-Passes, der den Zugang nach Jaffna kontrolliert. Auf dem Höhepunkt seiner Macht hatte Vellupillai Prabhakaran Anfang 2000 im Norden von Sri Lanka das Gebiet von Wanni, bestehend aus den Distrikten Mullaitivvu, Killinochchi und Teilen von Vavuniya, und im Osten Batticoloa sowie weite Teile von Trincomalee in die Gewalt der LTTE gebracht. In diesem 16000 qkm großen Gebiet, das fast ein Viertel der Landfläche Sri Lankas umfasste, verfügte die LTTE über eine eigene Armee, unterhielt eine eigene Polizei, erhob Steuern, hatte eine eigene Gerichtsbarkeit eingesetzt und erteilte an der Grenze zum von der Regierung kontrollierten Gebiet eigene Visa. Zugleich verfügte die LTTE über eine Propagandaabteilung, die zur Information und oft auch Desinformation sehr effektiv eingesetzt wurde.

Durch die Unterstützung von Auslandstamilen in aller Welt und der Tamilen im indischen Bundesstaat Tamil Nadu hatte die LTTE international starke Verbündete. Doch die Brutalität, mit der sie alle anderen tamilischen Organisationen in Sri Lanka gewaltsam ausschaltete und die von ihr verübten zahlreichen Anschläge auf Politiker und Gegner in Sri Lanka und anderswo verhinderten, dass die LTTE international den Charakter einer Terrororganisation abstreifen konnte und als nationale Befreiungsbewegung anerkannt wurde. Schließlich gilt die LTTE als „Erfinderin“ des Selbstmordattentats, das sie bei der Ermordung des indischen Ministerpräsidenten Rajiv Gandhi am 21. Mai 1991 erstmals außerhalb Sri Lankas praktizierte, um die indische Regierung für ihre Intervention in Sri Lanka zu „bestrafen“.

Dieses Attentat sollte sich im Nachhinein als ein großer Fehler erweisen, weil die LTTE dadurch die Unterstützung ihres Kampfes durch die indische Regierung und die Sympathien in der indischen Öffentlichkeit auf Dauer verlor. Mit dem Beginn des internationalen Kampfes gegen den Terror nach dem 11. September 2001 wurde die LTTE von immer mehr Ländern als „terroristische Organisation“ eingestuft, ihre Konten wurden beschlagnahmt und ihre Wirkmöglichkeiten drastisch eingeschränkt. Darüber hinaus begann die LTTE, die Prabhakaran mit eiserner Hand geführt und zusammengehalten hatte, interne Zersetzungserscheinungen zu zeigen, als es zum Bruch zwischen Prabhakaran und Vinayagamoorthy Muralitharan, besser bekannt unter seinem Kampfnamen „Oberst Karuna“, kam.

Die Trennung von Karuna, dem Befehlshaber an der Ostfront im Gebiet von Trincomalee, der im März 2004 mit 6000 seiner Kämpfer die LTTE verließ, hat Prabhakaran entscheidend geschwächt. Karuna gehörte zu den Kämpfern der ersten Stunde und war für längere Zeit einer der Leibwächter von Prabhakaran. Grund für das Zerwürfnis war, dass Karuna erkennen musste, dass Prabhakaran keine ernsthaften Verhandlungen mit der Regierung Sri Lankas führen und das unter der Vermittlung Norwegens zu Stande gekommene Waffenstillstandsabkommen nicht wirklich einhalten wollte. Er erkannte, wie er später sagte, dass Prabhakaran kein Mensch des Friedens war, sondern nur zu zerstören, aber nicht aufzubauen verstand. Karuna flüchtete zunächst ins Ausland, verbrachte wegen eines gefälschten Visums einige Zeit in englischen Gefängnissen und kehrte dann nach Sri Lanka zurück.

Alle ausländischen Journalisten mussten das Land verlassen

Letztlich entscheidend für die militärische Niederlage der LTTE war jedoch der Wahlsieg von Mahinda Rajapakse, der im November 2005 zum Präsidenten von Sri Lanka gewählt wurde. Schon im Wahlkampf hatte er die Vorstellung, dass es in Sri Lanka so etwas wie ein zweigeteiltes Vaterland, eines für die Singhalesen und eines für die Tamilen geben könnte, scharf zurückgewiesen. Nachdem die Friedensgespräche, die auf Vermittlung Norwegens im Februar 2006 in Genf begonnen hatten, aber dann beim nächsten Termin im Mai desselben Jahres von der LTTE boykottiert wurden und damit gescheitert waren, entschloss sich Rajapakse, alle notwendigen Anstrengungen zu unternehmen, um die LTTE militärisch zu vernichten.

Bestärkt in seinem Entschluss wurde er durch das Selbstmordattentat auf den Oberbefehlshaber der Armee, Sarath Fonseka, im April 2006, bei dem 27 Menschen starben und Fonseka schwer verwundet wurde. Ein weiterer wichtiger Schritt, der zum militärischen Sieg gegen die LTTE im „Vierten Krieg um Eelam“ führte, war die Besetzung des Verteidigungsministeriums mit seinem Bruder Gotabaya Rajapakse, der nach 20 Jahren Dienst in der Armee in die USA emigriert war. Als Gotabaya Rajapakse eigentlich nur „zu Besuch“ bei seinem Bruder zur Feier seiner Wahl zum Präsidenten nach Sri Lanka zurückkehrte, wurde er gleichsam „dienstverpflichtet“ und zum Verteidigungsminister gemacht. Zusammen mit dem wieder genesenen Oberbefehlshaber der Armee entwickelte er die Strategie, die LTTE durch den Einsatz von kleinen Einsatzgruppen, unterstützt von Panzern und gepanzerten Personentransportern, und durch die Strategie, gleichzeitig Kämpfe an mehreren Fronten zu führen, zu schwächen und letztlich zu vernichten.

Die Kämpfe gegen die LTTE, die von Juli 2006 bis zum Mai 2009 dauerten, waren von großer Härte gekennzeichnet. Der srilankischen Armee ging es dabei weniger um Geländegewinn als eindeutig um die physische Vernichtung der LTTE-Kämpfer und ihrer Führung. Wohl als Rechtfertigung für das harte Vorgehen gegen die LTTE wurden in den Monaten nach dem Sieg in den nationalen Medien ständig Rückblicke auf die verschiedenen Gewalttaten der LTTE gebracht, um noch einmal die Gefährlichkeit dieser „Terroristen“ herauszustellen. Die Regierung Sri Lankas und die ihr nahestehende Presse verurteilten die einseitige Berichterstattung in den westlichen Medien, die generell dem srilankischen Militär Verletzungen von Menschenrechten unterstellten und von den Gewalttaten der LTTE schwiegen. Man kann sich natürlich fragen, wie diese Einseitigkeit zu Stande kam.

Als im Endkampf gegen die LTTE die Aktionen des Militärs auf Hochtouren liefen, mussten schließlich auf Anordnung der Regierung Rajapakse alle unabhängigen ausländischen Journalisten sowie die Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen und des Roten Kreuzes das Kampfgebiet verlassen. Eine unabhängige Berichterstattung wurde auf diese Weise von der Regierung unmöglich gemacht. In- und ausländische Journalisten, die über Menschenrechtsverletzungen wie das „Verschwinden“ von Personen und außergerichtliche Hinrichtungen recherchierten und schrieben, wurden als Sympathisanten der LTTE diffamiert, in ihrer Arbeit behindert und eingeschüchtert. Die Zensurbehörde der Regierung hat jede Art von Berichterstattung über Themen, die Fragen der inneren Sicherheit und der nationalen Integrität berühren, untersagt. So durften zum Beispiel keine Berichte über Verluste der Regierungstruppen veröffentlicht werden.

Allein in den letzten vier Jahren haben 14 Journalisten ihr Eintreten für Menschenrechte und ihre Kritik an der Regierung mit dem Leben bezahlen müssen. Der bekannteste unter ihnen war Lasantha Wickrematunge, Gründer und Chefredakteur der Zeitung „Sunday Leader“, der in seinen Berichten die übermäßige Härte bei der militärischen Niederschlagung der LTTE angeprangert hatte. Im Januar 2009 wurde er auf offener Straße in Colombo erschossen. Posthum wurde ein Text von ihm veröffentlicht, in dem er seine Ermordung als unausweichliche Folge seiner Treue zu einer unabhängigen Berichterstattung bezeichnet und ganz klar die Regierung für seinen Tod verantwortlich macht. Viele ausländische Politiker und Organisationen haben Sri Lanka aufgefordert, unabhängige Beobachter ins Land zu lassen, um die Menschenrechtsverletzungen zu klären.

Der Bürgerkrieg hat tiefe Spuren hinterlassen

Sri Lanka befindet sich gegenwärtig in einem Zustand der Erleichterung darüber, dass der Bürgerkrieg vorbei ist; auf der anderen Seite herrschen Unsicherheit, Verwirrung und ängstliche Erwartung, wie es jetzt mit dem Zusammenleben von Tamilen und Singhalesen im Lande weitergehen wird. Man möchte der Regierung eigentlich gerne glauben, dass der Krieg vorüber ist und die Zeit der Versöhnung und des Neuanfangs begonnen hat. Aber da sind immer noch 200000 „interne Flüchtlinge“, die in Lagern unter unmenschlichen Bedingungen darauf warten, in ihre alten Wohnstätten zurückkehren zu können.

Die Regierung macht geltend, dass sich in den Lagern immer noch hochrangige Führer und andere Kämpfer der LTTE versteckt hielten. Ließe man diese zurückkehren, würden sie sich wieder bewaffnen und den Kampf aufs Neue beginnen. Begründet wird das Hinauszögern der Rückkehr der Flüchtlinge außerdem mit den notwendigen Aufräumungsarbeiten in den ehemaligen Kampfgebieten, in denen sich immer noch viele Waffenlager und ausgedehnte Minenfelder befinden. Diese Arbeit gestaltet sich schwierig, da weder die Regierungstruppen noch die LTTE zuverlässige Dokumentationen darüber angelegt haben, wo die bis zu einer Million Minen verlegt wurden.

Ein anderes Problem, und das ist am Ende wohl gravierender, liegt darin, dass die Regierung begonnnen hat, Enteignungen in den ehemals von der LTTE beherrschten Gebieten vorzunehmen. Mit diesem Landraub werden angeblich Militärs und ihre Angehörigen entschädigt, zugleich wird hier ein neues Gewaltpotenzial geschaffen.

Die Jahre des Bürgerkriegs haben tiefe Spuren hinterlassen. Das Misstrauen zwischen den beiden Volksgruppen der Singhalesen und Tamilen sitzt sehr tief; viele Wunden sind weiterhin offen und werden es für eine längere Zeit bleiben. Das „Gesetz zur Verhinderung terroristischer Taten“ (Prevention of Terrorist Acts, PTA), das 1979 zunächst auf Zeit verabschiedet wurde und seit 1982 unbefristet gilt, gibt den Sicherheitsbehörden Sondervollmachten, mit denen sie ohne Gerichtsbeschluss Personen verhaften, verhören, foltern und oft auch töten können, ohne befürchten zu müssen, sich vor Gericht verantworten zu müssen, da ihnen durch ein weiteres Gesetz Immunität zugesichert wird.

Mit Berufung auf die PTA und später verabschiedeten Ausnahmeregelungen sind in Sri Lanka in dem jahrzehntelangen Bürgerkrieg Tausende spurlos „verschwunden“, das heißt nach Verhaftung, Verhör und Folter ermordet und verscharrt worden oder wurden Opfer „außergerichtlicher Hinrichtungen“. Das Parlament hat den Ausnahmezustand, welcher der Armee bei der Jagd nach Terroristen weitreichende Vollmachten gibt, zunächst einmal verlängert.

Zwischen Januar 2008 und dem Ende der Kämpfe im Mai 2009 musste die srilankische Armee 4050 Todesopfer beklagen. Die Zahl der auf der Seite der LTTE Getöteten muss um ein Mehrfaches höher liegen, ohne die zivilen Opfer mit eingerechnet zu haben. Genaue Angaben über die Toten auf der „anderen“ Seite hat die Regierung bisher nicht vorgelegt, wohl auch nicht genau vorlegen können. Die Gesamtzahl der Opfer des Bürgerkriegs wird insgesamt mit 75000 Personen, Soldaten, Aktivisten und Zivilisten jeden Alters, angegeben.

Das srilankische Militär, das fast ausschließlich aus Singhalesen besteht, wird im Norden und Nordosten, den ehemals von der LTTE beherrschten Gebieten, wie eine „ausländische“ Besatzungsmacht erlebt. Die Soldaten ihrerseits sehen in den meisten Tamilen immer noch verkappte Terroristen. Die langsam wieder hergestellte Zivilverwaltung ist hauptsächlich mit singhalesischen Beamten besetzt, die weder Tamilisch sprechen noch die Mentalität der Bevölkerung verstehen.

Haben Armee und Regierung einen zu großen Sieg errungen? Die Frage mag seltsam klingen, aber durch ihren Sieg und die totale Vernichtung der LTTE fehlen der Regierung jetzt anerkannte und kompetente Verhandlungspartner auf Seiten der Tamilen. Dass dem so ist, ist zunächst einmal nicht das Verschulden der Regierung. Es war die LTTE, die systematisch konkurrierende rivalisierende tamilische Organisationen bekämpft und in den meisten Fällen auch ausgeschaltet hat. Die verbliebenen tamilischen Organisationen, wie die „People’s Liberation Organization for Tamil Eelam“ (PLOTE), die „Tamil United Liberation Front“ (TULF) und die „Tamil Eelam Liberation Organization“ (TELO) können nur sehr eingeschränkt als Vertreter der tamilischen Minderheit operieren.

Am 10. August 2009 haben im Norden die ersten Kommunalwahlen nach Beendigung der Kämpfe stattgefunden, an denen in Jaffna 22 Prozent und in Vavuniya 70 Prozent der inzwischen in die ehemaligen Kriegsgebiete zurückgekehrten Bevölkerung teilnahmen. In Jaffna gewann die der Regierung nahestehende Partei, während in Vavuniya die Nationale Allianz der Tamilen die Mehrheit errang. Dass sowohl die Zentralregierung als auch die Vertretung der Tamilen den Sieg für sich beanspruchten, zeigt, dass das gegenseitige Misstrauen weiterbesteht. Die immer wieder unternommenen Versuche, Schritte zur Versöhnung zu gehen und positive gemeinsame Zeichen zu setzen, werden von den Fanatikern auf beiden Seiten fast immer behindert oder gewaltsam verhindert.

Das zeigte sich zum Beispiel, als im Oktober 2009 singhalesische und tamilische Künstler zusammen in Colombo ein Kulturfest veranstalteten, bei dem sie gemeinsam ihre Werke ausstellten und miteinander einen friedlichen Dialog führten. Auf diese Veranstaltung des guten Willens und der Verständigung reagierten radikale singhalesische Gruppen mit Gewalt und versuchten, die Ausstellung zu zerstören. Immerhin gibt es für den Nationalsport Kricket eine Nationalmannschaft, in der auch weiterhin singhalesische und tamilische Sportler gemeinsam zur Ehre Sri Lankas als des gemeinsamen Vaterlands antreten.

Trennung bei der Priesterausbildung

Die christlichen Kirchen in Sri Lanka zeichnet eigentlich aus, dass sie sowohl Singhalesen als auch Tamilen zu ihren Mitgliedern zählen, was sie eigentlich qualifizieren müsste, in besonderer Weise zur nationalen Einheit und Verständigung zwischen den Volksgruppen beizutragen. Doch dieses Potenzial haben die Kirchen während der langen Jahre des Bürgerkriegs nur sehr bedingt einbringen können. Immerhin arbeiten in den meisten kirchlichen Organisationen singhalesische und tamilische Christen auf nationaler Ebene zusammen. Dies ist auch bei den größeren Ordensgemeinschaften innerhalb der katholischen Kirche der Fall, die Mitglieder beider Volksgruppen in einer Gemeinschaft haben. So hat die etwa 100 Mitglieder starke Jesuitenprovinz zu gleichen Teilen Singhalesen und Tamilen als Mitglieder. Bestrebungen einiger Jesuiten, zwei getrennte Provinzen, eine für Singhalesen und eine für Tamilen, einzuführen, wurden von der Mehrheit dezidiert abgelehnt.

Anders dagegen ist die Entwicklung der Priesterausbildung in der katholischen Kirche verlaufen. Hier kam es Mitte der neunziger Jahre zur Aufgabe der bis dahin gemeinsamen Ausbildung der Seminaristen im nationalen Priesterseminar Ampitiya in Kandy. Die tamilischen Seminaristen erhielten von da an ihre Ausbildung in dem neu gegründeten Priesterseminar von Jaffna. Die Kriegswirren auf der Halbinsel Jaffna haben allerdings die Ausbildung der Seminaristen immer wieder behindert oder sogar zum Stillstand gebracht. Will man die Entscheidung, die singhalesischen und tamilischen Seminaristen getrennt auszubilden, rechtfertigen, dann kann man darauf verweisen, dass es durch die Trennung möglich wurde, in den jetzt zwei Seminaren die Unterrichtssprache von Englisch als gemeinsamem Medium auf Sinhala beziehungsweise Tamil umzustellen und damit durch die Entwicklung einer theologischen Terminologie in Sinhala beziehungsweise in Tamil einen Beitrag zur Inkulturation zu leisten.

Die Erfahrung während des Bürgerkriegs hat gezeigt, dass es schwierig, wenn nicht gar unmöglich ist, sich als unparteiischer Vermittler zwischen den beiden Volksgruppen zu behaupten. Wer immer sich als Vermittler betätigte, wurde nach kurzer Zeit von beiden Gruppen in gleicher Weise als parteiisch angesehen. Als sich der katholische Bischof von Mannar, Rayappu Joseph, in der Schlussphase des Bürgerkriegs vermittelnd in den Konflikt einschalten wollte, wurde er bald von den singhalesischen Chauvinisten als Sympathisant und Unterstützer der LTTE bezeichnet, während er gleichzeitig von den tamilischen Extremisten als Agent der Regierung verleumdet wurde. Dabei hätte die Tatsache, dass er von beiden Lagern angegriffen wurde, eigentlich als Beweis seiner Unparteilichkeit dienen müssen.

Es ist bezeichnend für den Zustand innerhalb der katholischen Bischofskonferenz, dass nur der anglikanische Bischof von Colombo, Duleep de Chickera, Bischof Joseph in der Öffentlichkeit verteidigte. Der bekannte Theologe Aloysius Pieris SJ warnt die christlichen Kirchen davor, in ihrem Einsatz für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Verständigung einseitig die „Sprache der Menschenrechte“ zu gebrauchen. So richtig und wichtig der Bezug auf die Menschenrechte auch sei, könne das starre Beharren auf ihre Einhaltung und die damit oft gegebene Rigidität oft als Anschuldigung und Angriff gesehen werden und dann wirkungslos bleiben. Wer Frieden zwischen den Volksgruppen stiften wolle, müsse vielmehr in erster Linie die Vorurteile in seiner eigenen Gruppe bekämpfen und zu vermitteln versuchen, was die jeweils andere Seite denke und warum sie so handeln zu müssen glaube, wie sie es tue.

Die Kirche hat in den allgemeinen Jubel bei den Siegesfeiern eingestimmt

Während des Vernichtungskriegs gegen die LTTE war von Protesten der katholischen Bischöfe gegen das harte militärische Vorgehen, bei dem auch viele Zivilisten Opfer der Kriegshandlungen wurden, wenig zu hören. In der Öffentlichkeit musste der Eindruck entstehen, als ob es in der Bischofskonferenz seitens der singhalesischen Bischöfe an Solidarität mit ihren tamilischen Mitbrüdern gemangelt habe. Bischof Thomas Savundaranayagam von Jaffna sagte in einem Interview mit „Kirche in Not“ im Mai 2009, dass seine Diözese praktisch vernichtet und 19 Pfarreien vollkommen zerstört seien. Der Bischof war stolz darauf, dass seine Priester bis zum letzten bei ihren Gläubigen ausgehalten hätten. Im Artilleriefeuer von beiden Seiten hätten ungefähr 20000 Menschen ihr Leben verloren und 40000 seien verwundet worden.

Es hat einen Beigeschmack und kann wohl kaum als ein prophetisches Zeichen angesehen werden, dass die kirchliche Führung bei den von der Regierung initiierten Siegesfeiern im Mai 2009 in den allgemeinen Jubel einstimmte. Dagegen kann das Verhalten einer Reihe von Priestern, bei den ihnen anvertrauten Menschen in den Flüchtlingslagern zu bleiben und ihr Los mit ihnen zu teilen, als ein Zeugnis ihrer Verantwortung als Hirten gewertet werden.

Die Regierung ihrerseits sucht die Unterstützung der katholischen Kirche. Dies zeigte sich bei der Einführung des neuen Erzbischofs von Colombo, Malcolm Ranjith, am 10. August 2009, an der auch Präsident Rajapakse teilnahm und dabei den Beitrag der katholischen Kirche zum Friedensprozess und der Entwicklung des Landes hervorhob. Erzbischof Ranjith nutzte den Tag der nationalen Wallfahrt zum Marienheiligtum von Madhu am Fest Mariä Himmelfahrt, um vor mehr als 300000 Pilgern die Regierung aufzufordern, die verheerenden Bedingungen, unter denen die Flüchtlinge in den von der Regierung eingerichteten Lagern leben, zu verbessern und alles zu tun, damit die Vertriebenen so schnell wie möglich in ihre Dörfer zurückkehren können. In diesem Zusammenhang stellte er fest: „Gewalt und Krieg sind nicht der richtige Weg, um Probleme zwischen Menschen zu lösen, insbesondere dann, wenn es sich um religiöse Menschen handelt.“

Anzeige: In der Tiefe der Wüste. Perspektiven für Gottes Volk heute. Von Michael Gerber

Herder Korrespondenz-Newsletter

Ja, ich möchte den kostenlosen Herder Korrespondenz-Newsletter abonnieren und willige in die Verwendung meiner Kontaktdaten zum Zweck des E-Mail-Marketings durch den Verlag Herder ein. Den Newsletter oder die E-Mail-Werbung kann ich jederzeit abbestellen.
Ich bin einverstanden, dass mein personenbezogenes Nutzungsverhalten in Newsletter und E-Mail-Werbung erfasst und ausgewertet wird, um die Inhalte besser auf meine Interessen auszurichten. Über einen Link in Newsletter oder E-Mail kann ich diese Funktion jederzeit ausschalten.
Weiterführende Informationen finden Sie in unseren Datenschutzhinweisen.