Online-Portal gegen SteuerhinterziehungGesetze für Teufel

Eine Webseite, auf der man anonym Steuerhinterziehung melden kann – macht das die Deutschen zu einem Volk von Denunzianten, wie verschiedene Medien befürchten? Einschätzung eines Moraltheologen.

Auf Vorschlag der Grünen in Baden-Württemberg soll in Kürze ein Online-Portal zur Verfügung stehen, um schnell und unbürokratisch anonyme Hinweise aus der Bevölkerung auf mögliche Steuerhinterziehungen zu ermöglichen. Groß war die Aufregung: Von Aufstachelung zu Denunziantentum war die Rede, gar von neuen Stasi-Methoden.

Privat oder öffentlich?

Ist die Reaktion gerechtfertigt? Ganz nüchtern und mit dem guten, moralisch einwandfreien Immanuel Kant geantwortet: Gesetze sollen gemacht sein „wie für ein Volk von Teufeln“. So schreibt er in „Zum ewigen Frieden“. Das heißt klipp und klar: Es ist nicht die Aufgabe des Staates, eine moralisch gute Gesinnung zu erzwingen; das ist aus der Sicht Gottes wünschenswert und notwendig, nicht aber Sache der Gesetze. Hingegen ist es Aufgabe des Staates, ein friedfertiges, leider auf Zwang aufgebautes Gemeinwesen zu errichten. Oder mit dem hl. Augustinus, auf den sich Kant oft beruft und dessen Auslegung der Geschichte von Kain und Abel in seinem großen Werk „Vom Gottesstaat“: Nach dem Brudermord wird der Staat (der Zustand der äußeren Gerechtigkeit) notwendig. Dadurch wird Kain gezwungen, auf die Schädigung des Abel zu verzichten, selbst wenn er ihn weiterhin hasst. Der Staat kann Frieden erzwingen, leider aber keine Liebe.

Der Staat betreibt keine Gesinnungsschnüffelei, weder im Guten noch im Schlechten, er beschränkt sich auf die gerechte Ordnung der äußeren Verhältnisse. Er betreibt Verantwortungsethik, kaum aber Gesinnungsethik. Und das heißt konkret: Der Staat erlässt in parlamentarischer Weise Steuergesetze, zu deren Einhaltung er die Bürgerinnen und Bürger nach deren eigenem Willen zwingt, notfalls auch mit Hilfe von Handlungen, die im privaten Bereich als denunziatorisch gebrandmarkt würden. Im öffentlichen Raum aber sind anonyme Steueranzeigen erlaubt und werden nicht als Verstoß gegen Grundrechte des Menschen gewertet: Es gibt kein einklagbares Recht im Staat, von anderen nicht anonym angezeigt zu werden, so wenig es ein einklagbares Recht gibt, von anderen geliebt zu werden.

Jenseits des Paradieses

Denn es gibt sehr wohl die Bürgerpflicht, Missstände aufzudecken, auch anonym und auch, wenn dadurch möglicherweise niedere Instinkte oder Motive gekitzelt werden. Ohne Zwang geht im staatlichen öffentlichen Raum jenseits des Paradieses und vor Anbruch des Jüngsten Gerichts leider nichts. Das große und endgültige Gute der inneren Gesinnung kommt erst demnächst, dann aber auch in vollkommen freier Einsicht. Hoffentlich…

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