Medizinische ForschungVom Wunder zum Alltag

Vor 25 Jahren wurde das Klon-Schaf Dolly geboren. Nicht wenige hatten damals das Gefühl, einem wissenschaftlichen Wunder beizuwohnen. Heute ist Gentechnik allgegenwärtig – aber niemand scheint sie mehr wahrzunehmen.

Eine geheimnisvolle Zeugung ohne Geschlechtsakt und ohne Vater, dann eine Geburt in einem Stall, der schließlich zur Pilgerstätte wurde. Wer das Leben von Dolly, dem ersten von Menschen geklonten Säugetier, nacherzählt, fühlt sich schnell an biblische Wundergeschichten erinnert. Als das Schaf am 5. Juli 1996 in Schottland geboren wurde, ahnte die Welt noch nichts von der Sensation. Die Forscher wollten erst sichergehen, dass Dolly wirklich lebenfähig ist, immerhin lagen mehr als 250 fehlgeschlagene Versuche vor diesem großen Tag.

Vorbote der Klon-Zeit?

Nach acht Monaten war es dann so weit, das geklonte Schäfchen wurde der Weltöffentlichkeit präsentiert – und von einem Tag auf den anderen zum Star und zum Symbol eines neuen Zeitalters der Gentechnik. Die Medien überschlugen sich: Wie lang konnte es nach diesem Tabubruch noch dauern, bis die ersten menschlichen Klone in Produktion gingen? War Dolly Vorbote einer düsteren Zukunft, in der Menschen, die es sich leisten können, sich selbst und ihre Nachkommen genetisch perfektionieren – und alle anderen auf der Strecke bleiben?

Jetzt, 25 Jahre später, haben sich die Wogen weitgehend geglättet. Keine der dramatischen Schreckensvisionen ist wahr geworden. Stattdessen ist Klonen – ganz unbemerkt – zum Alltag in Forschungslaboren auf der ganzen Welt geworden. Jeder kennt das Schaf Dolly, aber niemand kennt die Namen der zahllosen Mäuse, Schweine und Ziegen, die seitdem im Klonverfahren erzeugt wurden, um neue Medikamente und Gentherapien zu testen. Auch die Stammzellenforschung und andere Bereiche der Gentechnik haben durch das Experiment mit dem schottischen Schäfchen einen gewaltigen Schritt nach vorn gemacht.

Gentechnik – inzwischen überall

So ergibt sich die skurrile Situation, dass Gentechnik hoch umstritten und gefürchtet war, als sie noch keine große Rolle gespielt hat – und jetzt fast nicht mehr wahrgenommen wird, obwohl sie inzwischen in einigen Bereichen fester Teil unseres Alltag ist. „Medizin ist ohne Gentechnik kaum noch denkbar“, sagt etwa Jörg Vogel, Vorstand des Instituts für Molekulare Infektionsbiologie Würzburg, dem „Würzburger Katholischen Sonntagsblatt“. Mehr als die Hälfte der neu zugelassenen Medikamente gäbe es ohne diese Technologie nicht.

Womöglich geht es uns mit vielem so, das alltäglich erscheint, obwohl es eigentlich ein Grund wäre, ehrfürchtig zu werden. Vielleicht sind 25 Jahre Klon-Schaf Dolly eine gute Erinnerung, innezuhalten und über die großen und kleinen Wunder zu staunen. Egal ob das erfolgreiche Gentherapien sind, ein in Rekordzeit entwickelter Impfstoff – oder ein Neugeborenes in einem Stall.

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