Grüne GentechnikWie grün ist die Pflanze?

Ist die Pflanzenzüchtung durch "grüne Gentechnik" der Retter einer wachsenden Bevölkerung oder eine verhängnisvolle Allmachtsphantasie? Es scheint nur Extrempositionen zu geben. Dabei wäre eine offene Debatte um Landwirtschaft, Ernährung, Agrarindustrie dringend notwendig.

Herbizide, Fungizide, Insektizide - also Pflanzen-, Pilz- und Insekten-Vernichtungsmittel - verbinden viele europäische Konsumenten mit Verirrungen einer rücksichtslosen, die Natur ausbeutenden Agrarindustrie, die schon bald überwunden sein sollte. Als Ideale gelten der Erhalt der Biodiversität, also der Artenvielfalt, und der im Einklang mit der Natur bewirtschaftete Bauernhof, der selbstverständlich absolut gentechnikfrei, mit sämtlichen Bio-Siegeln ausgezeichnetes Obst und Gemüse anbaut. Angesagt ist der verantwortungsvolle Umgang mit der Mitwelt, oder christlich gewendet: mit der Schöpfung.

Wenn Karina Uhlenbecker Besuchern die Forschungs- und Entwicklungsarbeit der Landwirtschaftssparte des als „Badische Anilin- und Soda-Fabrik“ gegründeten Chemiekonzerns BASF erläutert und über das Gelände im idyllisch gelegenen pfälzischen Limburgerhof führt, fallen ebenfalls die „grünen“ Schlagworte „nachhaltige Landwirtschaft“, „Biodiversität“ oder „Unterstützung von Kleinbauern“. Und auf den Bildern sind neben dem üppigen Getreidefeld natürlich blühende Grünstreifen zu sehen. Im Gespräch mit Journalisten der Gesellschaft katholischer Publizisten und des Ökumenischen Presseclubs Baden-Württemberg spricht sie jedoch von Pflanzen-Schutzmitteln, welche die Feldfrüchte erhalten, sie vor Unkraut wie Schädlingen bewahren und so stärken, dass sie optimal Nährstoffe und Wasser aus dem Boden aufnehmen können. Mickrige Maispflanzen ohne Düngung und Pflanzenschutz direkt neben optimal gedüngten und gespritzten üppigen Artgenossen auf dem firmeneigenen Testgelände veranschaulichen plakativ die darauf folgenden Zahlen: Zwanzig bis vierzig Prozent der Erträge werden nach wie vor weltweit durch Unkraut und Schädlinge vernichtet. Ohne Pflanzenschutzmittel wäre der Verlust doppelt so hoch. Bis zum Jahr 2050 wird die Nachfrage nach Nahrungsmitteln von dann neun Milliarden Menschen um siebzig Prozent steigen.

Europa kann sich schon heute nicht mehr selbst versorgen. Vierzig Prozent der Nahrungs- und vor allem der Futtermittel werden eingeführt. Um diese Mengen selbst anzubauen, bräuchte Europa zusätzlich die Fläche Deutschlands. Karina Uhlenbecker nennt dieses Verhalten eine verdeckte Form von land grabbing, von Landraub in anderen Erdteilen. So wie sich Großkonzerne in Entwicklungs- und Schwellenländern große Ländereien für ihre Rohstoff- oder sonstige Produktion unter den Nagel reißen, führt Europa zum Beispiel große Mengen von gentechnisch verändertem Soja oder Mais für seine Schweine und Rinder ein. Gleichzeitig sind nahezu alle Versuche, auf unserem Kontinent gentechnisch veränderte Pflanzen anzubauen, gescheitert.

Nahrung oder Zoo

Entsprechend wurde die Gentechnik-Sparte der BASF Anfang 2012 in die Vereinigten Staaten verlagert, wo der Anbau entsprechend im Erbgut veränderter Pflanzen selbstverständlich ist. Der Konzern sei weiter überzeugt, dass es sich um eine der Schlüsseltechnologien handle, berichtete damals „Spiegel online“. Es fehle aber „in weiten Teilen Europas immer noch die entsprechende Akzeptanz bei der Mehrheit der Verbraucher, Landwirte und Politiker“, klagte BASF-Vorstandsmitglied Stefan Marcinowski. Die teils gewalttätigen Proteste gegen den Anbau der gentechnisch veränderten Stärkekartoffel Amflora waren ein Auslöser. Allerdings hatte der Chemiekonzern auch ein Eigentor geschossen. Angeblich versehentlich wurde die noch nicht genehmigte, aber ebenfalls genveränderte Kartoffel „Fortuna“ in Schweden angepflanzt. Hätte dem Konzern nicht klar sein müssen, dass man so die Akzeptanz untergräbt? Entweder sollten Fakten geschaffen werden oder es fehlte schlichtweg an der nötigen Sorgfalt und dem notwendigen Verantwortungsbewusstsein.

Gentechnik und Pflanzenschutz werden grundlegend unterschiedlich beurteilt, je nachdem, ob es sich um eine reiche, satte oder um eine arme, hungernde Gesellschaft handelt. Das beobachtet der Fachmann für Ökotoxologie Peter Dohmen. „Wer Hunger hat, dem ist die Kartoffelsuppe näher als die Frage, welche Käfer noch auf dem Feld herumfliegen.“ Als der Biologe und Umweltwissenschaftler vor zwanzig Jahren zu dem Chemiekonzern kam, galt er noch als Exot. Heute verlässt keine Substanz das Unternehmen, die nicht in aufwendigen Labor- und Freilandversuchen darauf getestet wurde, wie sie sich auf die Umwelt auswirkt und was mit ihr in der Umwelt passiert. Wie Arzneimittel sollen auch Pflanzenschutzmittel eine Wirkung haben - aber keine Nebenwirkung. Hier gelte es, eine Balance zu finden, was akzeptabel ist und was nicht.

Wer Pflanzenschutz ablehnt, muss auch Ernteausfälle akzeptieren. Für Dohmen ist hierzulande viel zu stark in Vergessenheit geraten, welche verheerenden Auswirkungen etwa der Befall von Kartoffelfeldern durch die Knollenfäule hatte. Auch beim Konflikt zwischen Landwirtschaft und Artenvielfalt kann es nur Kompromisse geben: „Wo Nahrungsmittel angebaut werden, kann es keinen Zoo geben.“ Werden die Erträge aber auf den bereits bestehenden Flächen gesteigert, bleibe trotz wachsenden Nahrungsmittelbedarfs andernorts mehr Raum für die Artenvielfalt auf der nun mal begrenzten Erdoberfläche.

Gene oder Verhalten ändern

Dass eine maßvolle Intensivierung der Landwirtschaft notwendig ist, bestreitet auch der Experte für Ernährungssicherheit beim Hilfswerk „Brot für die Welt“, Bernhard Walter, nicht. Doch anstelle einer Ertragssteigerung mittels Gentechnik und Chemie will er die in vielen Regionen tatsächlich minimalen Ernten auf ökologische Weise erhöhen. Eine Ertragsverdopplung sei allein schon mit dem Einsatz von organischer Düngung möglich. Statt mineralischen Stickstoff zu düngen, können zum Beispiel Leguminosen wie Klee angebaut werden, die Stickstoff aus der Luft binden, den die anschließend angebauten Nutzpflanzen zu einem besseren Wachstum benötigen. „Die Gentechnik ist nur ein Faktor von vielen, der den Ertrag bestimmt. Arme Bauern in Entwicklungsländern haben meist schlechte Böden, wenig Wasser und wenig Know-How. Da bringen gentechnische veränderte Pflanzen nicht die versprochenen Erträge“, gibt Bernhard Walter zu bedenken.

Die Behauptung, dass bis 2050 eine Produktionssteigerung von siebzig Prozent notwendig sei, ist durchaus umstritten. Die von den großen Agrarkonzernen verbreiteten Zahlen wurden zunächst auch von der Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen übernommen. Dort rudere man mittlerweile jedoch zurück. „Wenn wir so weitermachen wollen wie bisher, dann gehen wir den Weg des Agrobusiness“, befürchtet Walter. Immer mehr Fleisch nicht nur in Europa, sondern auch in den aufstrebenden Schwellenländern, Erdbeeren, Spargel und Tomaten zu jeder Jahreszeit in allen Weltregionen - ein solches Verhalten ist weder gottgegeben noch ein Naturgesetz. Walter setzt darauf, dass sich das Verbraucher-Verhalten ändern kann, was nicht zuletzt der in Europa sinkende Fleischkonsum belegt.

Nicht gerade, nicht rot genug

Hierzulande könnte auch die enorme Lebensmittelverschwendung verringert werden. Nicht nur, dass aus Supermarktregalen alles im Müll landet, was nicht zu hundert Prozent den Ansprüchen der Kunden genügt. Dem Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen zufolge verrottet ein Drittel der Ernte auf dem Acker, dient der Stromgewinnung in der Biogasanlage oder landet im Müll, weil die Karotte nicht gerade genug, die Kartoffel nicht groß genug, der Apfel nicht rund genug und die Tomate nicht rot genug gewachsen sind.

Zudem müssten die sogenannten Nachernte-Verluste vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern dringend verringert werden. Zu viele Nahrungs­mittelvorräte verschimmeln, werden von Schädlingen befallen oder von Ratten gefressen. In Tansania stehen Getreidespeicher einzig auf Holzpfosten. Ratten gelang es bisher relativ problemlos, da hochzuklettern. Einfache Metallhüllen verhindern nun, dass die Ratten in die Hochspeicher gelangen, beschreibt Bernhard Walter ein kostengünstiges Projekt. Ähnlich werden etwa im Wallis seit Jahrhunderten ­sogenannte Mäusesteine - unten glatt geschliffene Rundsteine - zwischen die Holzpfosten und den Speicher gelegt, so dass keine Maus hinaufklettern kann. Da die Märkte Afrikas aber mit billigen Nahrungsmitteln von außen überschwemmt wurden, verebbte der Kampf gegen Nachernte-Verluste.

„Brot für die Welt“ setzt sich mit anderen Hilfs- und Umweltorganisationen für eine weniger intensive, dafür flächendeckende Landwirtschaft ein. Am Beispiel Deutschland hieße das: nicht nur in der ertragreichen norddeutschen Tiefebene mit dem Einsatz aller erdenklichen Mittel den höchstmöglichen Ertrag herausholen und den Schwarzwald als Natur-Reservat für Wildtiere und Wildpflanzen belassen, sondern in allen Regionen anbauen. Weltweit könnten in kleineren Strukturen für die Bewohner einer Region Nahrungsmittel angebaut werden, was gleichzeitig automatisch die Artenvielfalt schützen würde.

Beide Seiten - Agrarindustrie wie die Umwelt- und Hilfsorganisationen - bringen gute Argumente für ihre jeweilige Position vor. Es verstärkt sich jedoch der Eindruck, dass jede Seite nur noch in ihrem geschlossenen, in sich durchaus logischen System argumentiert. „Die Fronten sind verhärtet“, räumt Bernhard Walter ein. Und der BASF-Mann Peter Dohmen stellt in Europa einen „Trend zum Glauben auf Kosten von Wissen“ fest. Diese Ideologisierungen machten den Wissenschaftlern die Arbeit schwer. Ein Schwarz-Weiß-Denken kritisieren auch Wissenschaftler der London School of Hygiene and Tropical Medicine und der University of Reading im Fachmagazin „Nature“. Da sich keine der Extrempositionen gut begründen lasse, fordern sie die Entwicklungsländer auf, sich nicht an Europa zu orientieren.

Die Wissenschaftler zählen einige Beispiele dafür auf, dass gentechnische Veränderungen eine gute, wenn nicht gar die einzige Lösung darstellen. Nachdem man jahrelang vergeblich durch herkömmliche Züchtungsverfahren versucht hatte, die Abwehrkräfte der in Afrika weitverbreiteten Kuhbohne gegen einen Schädling zu stärken, zeigt ein Gentechnik-Projekt in Nigeria nun erste Erfolge. Bislang war es auf konventionelle Weise nur gelungen, Maniok gegen eine von zwei Viren-Arten resistent zu züchten. Nun deutet sich an, dass es gentechnisch gelingen könnte, die Pflanze gegen beide „Angreifer“ zu immunisieren.

Dennoch: „Gentechnik ist nicht bei ­allen Verbesserungen von Nutzpflanzen zwingend erforderlich oder sogar nützlich“, dämpfen die Wissenschaftler den ungebremsten Fortschrittsoptimismus der energischen Technologie-Befürworter. Auch wenn das Risiko einer Auskreuzung des veränderten Genmaterials in wildwachsende Pflanzen häufig übertrieben dargestellt werde, sei manche Sorge berechtigt. Vor allem aber wegen der wirtschaftlichen Abhängigkeit der Bauern von bloß einem oder ganz wenigen Saatgut- und Pestizid-Herstellern raten die Wissenschaftler zum Anbau konventioneller Sorten. Außerdem wird so die genetische Vielfalt gesichert.

Doch nicht nur Naturwissenschaftler vermissen einen offenen Austausch von Argumenten. Der Jesuit Christian Kummer - als Biologe und Philosoph ein Grenzgänger zwischen Natur- und Geisteswissenschaften - beklagt in den „Stimmen der Zeit“ (1/2013): „Wo die inhaltliche Auseinandersetzung Fachwissen voraussetzt, wird als Ersatz dafür die Zuflucht umso lieber in grundsätzlichen Positionen gesucht. Neben dem Schlagwort der ‚Bewahrung der Schöpfung‘ ist dies vor allem der Rekurs auf eine ‚Würde der Pflanze‘, womit - analog zur Menschenwürde - eine zumindest relative Unantastbarkeit der pflanzlichen Natur gegenüber Eingriffen von außen verteidigt werden soll.“

Die menschliche Schutzwürdigkeit auf Pflanzen zu übertragen, erfordert nach Kummer auch, dass Gemeinsamkeiten zumindest in Teilen zwischen Mensch und Pflanze bestehen. Lebewesen seien „Bewegungsmaschinen“, die diese Fähigkeit einsetzen, um sich selbst zu erhalten. „Durch diesen Selbstzweck unterscheiden sie sich von allen übrigen materiellen Systemen, die wir kennen. Lebewesen sind also tatsächlich so etwas wie ‚Zwecke an sich selbst‘.“ Und diese Selbstzwecklichkeit nötige uns, Lebewesen eine Würde zuzuerkennen, was im Fall von Tieren damit zutrifft.

Pflanzen haben in der Evolution jedoch eine von den Tieren abweichende Eigenschaft entwickelt. Sie haben ihre Selbstbewegung aufgegeben beziehungsweise erst gar nicht aufgenommen. Die für ihr Wachstum notwendige Energie liefert die Sonne „frei Haus“. Pflanzen sind nicht aktive Subjekte, sondern eher auf vielfältige äußere Einflüsse reagierende Systeme. „Wenn Heckenschneiden keine unzumutbare Beeinträchtigung darstellt und die Züchtung gefüllter Blüten auch nicht, obwohl sie keinen Reproduktionszweck mehr erfüllen - was bleibt dann noch … an Pflanzenrechten übrig? Es ist nicht einzusehen, … inwiefern die Übertragung eines artfremden Gens einer Pflanze schaden könnte, wenn sie deren Reaktionsnorm nicht zerstört, sondern nur verschiebt wie hundert andere Faktoren auch. Hier mit einer vermeintlichen ‚Pflanzenwürde‘ zu operieren, geht am Wesen des Lebewesens Pflanze eindeutig vorbei.“

Daraus schließt Kummer jedoch nicht, dass der Mensch mit Pflanzen machen kann, was er will. Denn wie der Mensch mit Pflanzen umgeht, sagt etwas über ihn aus. Tugenden wie Sorgfalt, Rücksichtnahme, Achtung, Respekt werden im Umgang mit Pflanzen aktiviert. Die Schutzwürdigkeit der Pflanze ist nach Kummer ein bildlicher Ausdruck für das, was eigentlich Respekt verdient: „die Kreativität des Lebendigen, die sich in so wundersamen Geschöpfen wie den Pflanzen evolutiv niedergeschlagen hat“.

Mitschöpfer - auch technisch

Diese Überlegungen Kummers - hier nur stark verkürzt wiedergegeben - könnten auch die Debatte versachlichen, weil viel stärker die Motivation, der menschliche Antrieb für den Einsatz von Technik, von Chemie in den Mittelpunkt rückt. Die Verbreitung von gentechnisch verändertem Saatgut darf eben nicht nur die Kasse weniger großer Konzerne füllen, Bauern von ihnen abhängig machen und zum vermehrten Einsatz von Pflanzenvernichtungsmitteln führen. Genauso dürfen Gentechnik und Pflanzenschutz nicht einfach ausgeschlossen werden, weil aus Angst vor Neuem Veränderungen grundsätzlich abgelehnt werden, das Problem fehlender Nahrungsmittel einen selbst nicht betrifft oder das romantische Bild einer kleinteiligen wie ehedem arbeitenden Landwirtschaft gestört wird.

Menschliches Handeln und auch menschliches Nichthandeln wirken sich immer auf die Natur aus. Nur ein einfaches Beispiel: Wo Bauern Wiesen nicht mähen oder nicht von Kühen beziehungsweise Schafen abfressen lassen, werden hierzulande in kürzester Zeit Büsche und Bäume die Biodiversität erheblich verringern. Die Natur oder die Schöpfung ist nicht aus sich heraus gut oder gerecht. Wir sind Mitschöpfer und verändern ständig unsere Mitwelt durch unser Eingreifen. Deshalb sind wir verpflichtet, auch technisch Verantwortung zu übernehmen.

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