Ehemaliger ZdK-Präsident Hans Maier im InterviewSich nie und nirgends fürchten

„Neunzig Jahre – Gnad vor Gott“, zitiert Hans Maier eine Redewendung, als wir ihn auf seinen runden Geburtstag in der kommenden Woche (18. Juni) ansprechen. Im Interview äußert sich der große katholische Zeitzeuge zum Glauben und zur Kirche.

Hans Maier, geboren 1931, war Hochschullehrer, Minister, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Unser Foto zeigt ihn bei einer Diskussion im letzten Oktober.
Hans Maier, geboren 1931, war Hochschullehrer, Minister, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Unser Foto zeigt ihn bei einer Diskussion im letzten Oktober.© Foto: picture alliance / SZ Photo | Florian Peljak

CHRIST IN DER GEGENWART: Würde man sich einen Christ(en) in der Gegenwart malen, dann hätte er Ihre Züge. Als Laie überaus engagiert und trotz aller Enttäuschungen, trotz manchem Widerspruch und auch trotz widerfahrenem Unrecht immer noch dabei. Wie blicken Sie heute auf die Kirche, Herr Professor Maier?

Hans Maier: Trotz allem: zuversichtlich. Die Zeichen für einen Neuanfang mehren sich. Ein ermutigendes Zeichen ist der Brief von Kardinal Marx an Papst Franziskus. Die Erkenntnis wächst, dass alle in der Kirche – alle! – Verantwortung für das Geschehene übernehmen müssen: Bischöfe, Priester, Ordensleute, aber auch die Laien – also die Christgläubigen insgesamt. Natürlich müssen die, die für offenkundiges Unrecht unmittelbar verantwortlich sind, zur Rechenschaft gezogen werden. Ich wehre mich aber dagegen, dass die Schuld allein bei den Klerikern gesucht, bei ihnen gewissermaßen abgeladen wird. Das ist ein Klerikalismus umgekehrter Art. Mitbetroffen durch die Kirchenkrise – und zuständig für die fällige Aufarbeitung des Unheils – sind aber alle, die sich zur Kirche bekennen. Sühne und Wiedergutmachung können wir nur gemeinsam schaffen.

Wenn man heute zu Recht nach den systemischen Ursachen der Kirchenkrise fragt, dann muss auch der Klerikalismus in uns allen diskutiert und mit Entschiedenheit in Frage gestellt werden. Wie konnten Opfer in so großer Zahl so leicht zu Opfern werden, manchmal in Heimen, Schulen, Klöstern sogar im Kollektiv? Offenbar war da eine etablierte Gehorsams- und Unterwerfungskultur im Spiel, die bei vielen zur Wehrlosigkeit führte – eine anerzogene Demut im Verhalten, die Demütigungen bewusst in Kauf nahm, ja diese manchmal sogar als verdiente Strafe und Buße ausgab.

Ein Glück, dass meine tapfere Mutter mich rechtzeitig aufgeklärt und damit in jungen Jahren gegen solche Übel gefeit hat. Sie erzählte dem kleinen Buben freimütig, dass sie einmal auf indiskrete Fragen eines Beichtvaters geantwortet habe: „Das geht nur meinen Mann etwas an.“ Solcher Freimut steht allen Christen gut an. Er ist dringend nötig; wir müssen ihn wieder lernen.

Und wie sehen Sie die Perspektiven für Religion, für den Glauben? Haben wir als Christen der Welt etwas zu sagen? Wie muss sich Kirche dafür verändern?

Entscheidend ist der biblische Blick auf den Menschen, den sich die Christen immer wieder vergegenwärtigen sollten – sich selbst und ihren Mitmenschen. Es war das Christentum, das im Umgang mit dem Menschen eine „Umwertung aller Werte“ herbeigeführt hat. Es lehrte, Arme, Kranke, Schwache, Behinderte, Bedürftige nicht als Gefahr für die „Höherentwicklung“ der Menschheit zu sehen (wie es antike Denker taten und wie es Nietzsche erneut versuchte), sondern sie als Aufforderung zur Solidarität, zur mitmenschlichen Hilfe zu begreifen. Es hat – oft langsam und mühsam – ein Gefühl für die Würde aller Menschen entwickelt. Darauf beruht die Wertschätzung des Einzelnen und seiner Freiheit in der modernen Welt. Was wäre der Rechtsstaat ohne die christliche Lehre, dass Recht vor Macht geht? Was wäre der Sozialstaat ohne den Bezug zur Nächstenliebe?

Freilich muss die Kirche, wenn sie dies in Erinnerung bringt, ihrerseits nach innen glaubwürdig sein – oder es wieder werden, wo sie die Glaubwürdigkeit verlor. Sie muss vom „Nachbar Staat“ (gemeint ist natürlich der freiheitliche, der demokratische Staat) lernen dort, wo dieser sie inzwischen überholt hat. Schritte zum verantwortlichen Regieren, zur Gewaltenteilung, zur verwaltungsrechtlichen Kontrolle, zum rechtsstaatlichen Umgang mit den Gläubigen, der auch Widerspruch einschließt, sind nötig.

Die Kirche in Deutschland versucht das mit dem Synodalen Weg. Nun hat auch der Papst der Weltkirche Synodalität verordnet. Wie schätzen Sie das ein?

Franziskus sucht mit einiger Mühe, in einem manchmal schwer durchschaubaren Vor und Zurück, seinen Weg. Er kämpft offensichtlich gegen große Widerstände, in Rom wie auch in einigen Teilen der Weltkirche, etwa in den USA. Dies erklärt wohl auch, weshalb er in jüngster Zeit Vorstöße der deutschen Katholiken in Einzelheiten korrigiert hat – vielleicht, um Objektivität nach allen Seiten zu dokumentieren. Mit der Einberufung einer längerdauernden weltweiten Synode – fast schon einem Konzil! – hat er aber nun einen point of no return geschaffen, der ihn und die ganze Kirche verpflichtet. Diese Chance sollten wir mit Freude und Fantasie wahrnehmen, gemeinsam mit ihm.

Was gibt Ihnen Kraft in all den Zeitläufen, was ist Ihre „eiserne Ration“ des Glaubens?

Ich meine, die christliche Kernbotschaft liegt in drei Worten: Gott wird Mensch. Ich erinnere mich noch gut, wie Karl Rahner den Satz „Und das Wort ist Fleisch geworden“ immer ganz langsam, mit Staunen und fast erschrocken, aussprach. Es ist ja auch etwas Unglaubliches, das alle normale Ordnung umstürzt. Aber beim Evangelisten Lukas geben die Engel dem Ereignis gleich zwei Sätze auf den Weg: „Fürchtet euch nicht ... ihr werdet ein Kind in der Krippe finden.“ Gott kommt nicht in die Welt in seiner Übermacht und Allgewalt, er fällt nicht jupiterhaft in die Menschenwelt ein wie antike Götter – er liegt als kleines hilfloses Kind in der Krippe. Diskret macht sich Gott zum Genossen menschlichen Fleisches und wird den Menschen gleich; er ist sichtbar, hat eine Mutter, lebt unter den Menschen und teilt ihr Schicksal bis zum Tod im frühen Mannesalter. Ähnlich diskret-behutsam, aber auch ebenso willig-bereit sollten Christen ihm nachfolgen. Was wichtig ist: Sie sollten sich nie und nirgends fürchten.

Hat der runde Geburtstag eine besondere Bedeutung für Sie? Wo und wie wollen Sie den Tag verbringen? Was treibt Sie aktuell um?

„Neunzig Jahre – Gnad vor Gott“, so sagte man früher. Ich habe in meinem langen Leben böse und gute Zeiten erlebt, wurde noch vom Dritten Reich, vom Krieg gestreift – habe dann aber großes Glück gehabt: friedliche Jahrzehnte, beruflicher Erfolg, die treue Begleitung meiner lieben Frau, Gesundheit und Schaffenskraft, die Freude an Kindern, Enkeln und inzwischen sogar Urenkeln.

Wir feiern meinen runden Geburtstag im Kreis der Familie. Auch die Münchner Pfarrgemeinde nimmt Anteil. Kein rauschendes Fest, aber dankbare Grüße nach allen Seiten. Man kommt im Alter mit dem Danken an gar kein Ende.

Was mich gegenwärtig umtreibt? Mein Leben, mein wissenschaftliches Werk steht vor mir – eine ganze Menge Stoff, ein großer vollbeladener Heuwagen. Vieles wird herunterfallen, das ist sicher. Ob auch etwas bleibt?

Interview: Stephan Langer

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