Eltern sein - Paar seinMama und Papa küssen sich

Eltern sind auch als Paar ein Vorbild. Kinder nehmen genau wahr, wie sie sich lieben oder miteinander streiten

Mama und Papa küssen sich
Eltern sollten regelmäßig ihr Recht auf Ruhe- und Glücksmomente einfordern. © Getty Images,Oleh Slobodeniuk

Wenn aus einem Liebespaar eine Familie wird, stellt das die Beziehung auf den Kopf. Plötzlich stehen die Bedürfnisse des neuen kleinen Wesens im Mittelpunkt und die Aufmerksamkeit verschiebt sich komplett. Viele junge Familien haben sich das anders vorgestellt, beobachtet Eva-Maria Telschow von der psychologischen Beratungsstelle Immanuel Beratung Pankow. Babys und Kinder verändern eine Liebesbeziehung intensiv und tiefgreifend, sagt sie. „Die Gefahr, sich dabei als Paar zu vernachlässigen, ist nicht eben klein.“

Die Familien- und Paarberaterin rät, sich rechtzeitig Gedanken darüber zu machen, wie man sich die Aufteilung familiärer und beruflicher Pflichten vorstellt. Väter haben den Wunsch, sich in die Kindererziehung einzubringen. Mütter wollen neben dem Mann berufstätig sein. Das erfordert viel Abstimmung im Alltag. Dazu kommt, dass viele Eltern sich extrem unter Druck setzen. Sie wollen perfekt im Job sein, gleichzeitig soll es dem Kind an nichts fehlen. Laut einer Umfrage der Zeitschrift Eltern aus dem Jahr 2015 klagen 62 Prozent aller Väter und Mütter über Eile, Hetze und Zeitdruck im Alltag. Fast ein Viertel vermisst gemeinsame Zeit mit dem Partner.

In einem auf Effizienz getrimmten Familienalltag kommunizieren Paare oft problem- und lösungsorientiert. Das funktioniert aber bei wichtigen persönlichen Themen nicht. Hier kommt es aufs Zuhören und Einfühlen an, und dazu braucht man Oasen der Zweisamkeit, die man sich von Anfang an schaffen muss. Das mag banal klingen, wird aber oft unterschätzt, sagt Psychologieprofessor Guy Bodenmann von der Universität Zürich. „Eine erfüllende Sexualität braucht ausreichend gemeinsame Zeit zu zweit. Die beiden Partner müssen sich emotional begegnen und die Elternrolle hinter sich lassen.“ Das ist nicht immer einfach, vor allem nicht, wenn es keine Familie, etwa Großeltern, in der Nähe gibt, die man als Babysitter mobilisieren kann. Idealerweise baut man sich schon früh ein Netzwerk aus Freunden, Familie, anderen Eltern und Babysittern auf.

Was brauche ich? Und was der Partner?

Viele Eltern haben selbst als Kinder nicht gelernt, sich abzugrenzen und auf ihre Bedürfnisse zu achten. Deshalb fällt ihnen das auch als Erwachsene schwer, sagt Familientherapeut Jesper Juul. In seinem neuen Buch Liebende bleiben (Beltz Verlag) plädiert der Bestsellerautor einmal mehr dafür, dass Eltern regelmäßig ihr Recht auf eigene Ruhe- und Glücksmomente einfordern sollen: „Ich will jetzt mal mit Papa alleine kuscheln, lass uns einen Moment in Ruhe und geh spielen“. Kinder erleben das am Anfang möglicherweise als Frustration, schreibt Juul, aber sie lernen auch, dass Papa und Mama nach der Kuschel- oder Redezeit wieder für sie da sind – und das vermutlich zufriedener und ausgeglichener als zuvor.

Eltern, die gut auf ihre Beziehung als Paar achten, leisten zudem wichtige Erziehungsarbeit. Es mag den meisten nicht bewusst sein, aber Eltern sind auch als Paar ein Vorbild für ihre Kinder. Wie Papa und Mama miteinander umgehen – ob zärtlich und liebevoll oder kühl und abweisend –, wie sie miteinander Konflikte austragen – respektvoll oder abwertend – , das prägt ihre Söhne und Töchter nachhaltig.

„Kinder sind dem elterlichen Einfluss über Jahre ausgesetzt“, erklärt Guy Bodenmann. „Zuerst nehmen sie eher beiläufig die Verhaltensweisen der Eltern wahr und ahmen sie nach, man spricht hier vom akzidentellen Lernen. In der späten Kindheit und der Pubertät, wenn es dann um eigene Partnerschaften geht, beobachten sie bewusst, wie die Eltern miteinander umgehen.“ Insofern hat die Paarbeziehung der Eltern auch Einfluss auf die späteren partnerschaftlichen Beziehungen der Kinder. „So wie sich die Eltern streiten, so streiten sich später die Kinder in ihrer eigenen Partnerschaft. Gleiches gilt für die Unterstützung, welche man sich als Paar gibt.“

Kinder ahmen das Modell der Eltern nach. Wer hat das Sagen in der Partnerschaft? Geht der Papa auch so oft einkaufen wie die Mama? Und greift die zur Bohrmaschine, wenn es sein muss? Auch wenn es um klassische Geschlechterrollen geht, sind die Eltern wichtige Vorbilder. Nicht von ungefähr sagt man den Männern aus dem Osten nach, dass sie häufiger zu Hause anpacken als ihre Geschlechtsgenossen in den alten Bundesländern; sie kennen es nicht anders aus ihrer Kindheit. Dass die Erwerbsquote von Frauen in Ostdeutschland höher ist als im Westen, hat sicher auch etwas damit zu tun, wie diese Frauen aufgewachsen sind: mit Müttern, für die es selbstverständlich war, Arbeit und Muttersein zu verbinden.

Blick in die Herkunftsfamilie

„Häufig erfolgt die Übernahme des elterlichen Verhaltens in der eigenen Partnerschaft unreflektiert, ohne dass man es merkt“, sagt Bodenmann. „Aber selbst, wenn man sich in der eigenen Beziehung bewusst von den Eltern abgrenzen will, fällt man leider oft in die über Jahre vorgelebten Verhaltensmuster hinein.“ Insbesondere die Streitkultur aus der Kindheit holt einen wieder ein. Viele junge Paare erschrecken, wenn sie feststellen, dass sie ihren Partner mit der gleichen Heftigkeit oder Härte angehen, die sie als Kind schon bei ihren Eltern fürchteten.

Es ist daher hilfreich, sich mit der Beziehung der Eltern zu beschäftigen, sagt Familienberaterin Eva-Maria Telschow. Wurden die Auseinandersetzungen in der Kindheit hitzig geführt oder schwelten Konflikte lange vor sich hin? Ist man in einer Familie aufgewachsen, in der Probleme aus Angst vor Streit totgeschwiegen wurden? „Manchmal tut es gut, sich mit Geschwistern zu diesem Thema auszutauschen, die gemeinsame Situationen oft aus einer anderen Perspektive erlebt haben“, rät Eva-Maria Telschow. Nur aus Protest das Gegenteil zu leben, funktioniere hingegen meistens nicht. „Wichtig ist es stattdessen, ein eigenes Modell zu entwickeln.“

Heftige Streite machen Kindern Angst

Größere Konflikte, die leicht eskalieren können, sollte man möglichst nicht vor den Kindern oder in ihrer Hörweite austragen. Ein heftiger Schlagabtausch macht insbesondere kleinen Kindern Angst. Sie verstehen viele Dinge nicht, um die es bei den Streitigkeiten zwischen Erwachsenen geht. Und sie können nicht abschätzen, welche Konsequenzen der Konflikt hat.

Aber grundsätzlich gehört auch die Auseinandersetzung, das Streiten in der Familie dazu und ist wichtig, sagt Telschow. Kinder können so lernen, wie man für seine Positionen einsteht. Die Art und Weise der Auseinandersetzungen zwischen den eigenen Eltern dient als gutes oder schlechtes Vorbild für die spätere, eigene Konfliktbewältigung. Entscheidend ist hier weniger, worüber man streitet, sondern wie (siehe Kasten).

Die größte Herausforderung für alle Eltern ist es wohl, mit den Kindern über eine Trennung zu sprechen. „Hier sollten die Eltern die Kinder gemeinsam informieren, damit es nicht zu Koalitionsbildungen und einem Loyalitätskonflikt der Kinder kommt“, rät Guy Bodenmann. Die Eltern sollten den Kindern aufzeigen, weshalb es zu diesem Verlauf kam und was sie alles probiert haben. „Du hast ja gemerkt, dass Mama und Papa ganz oft gestritten haben. Es ist besser, wenn wir uns nicht mehr so viele böse Sachen sagen. Du musst aber keine Angst haben. Papa und Mama sind immer beide für dich da.“

Ganz wichtig sei es, klarzustellen, dass die Kinder keine Schuld trifft, wenn die Eltern auseinandergehen, sagt Familienberaterin Telschow: „Gerade kleine Kinder gehen davon aus, dass alles, was geschieht, mit ihnen zu tun hat.“ Hier müssen die Eltern deutlich sagen: Du kannst nichts dafür. Von der häufig verwendeten Erklärung „Mama und Papa haben sich nicht mehr lieb“ rät Telschow hingegen ab. Kinder können noch nicht verstehen, was die Liebe zwischen Erwachsenen von der Liebe zwischen Eltern und Kindern unterscheidet. So kann bei ihnen die Angst aufkommen, dass auch die elterliche Liebe eines Tages plötzlich verschwunden ist.

kizz Info

Konstruktiv streiten

  • Bei Krisen sich darüber klar werden: Was brauche ich – als Vater, als Mutter, als Mann, als Frau? Was braucht der Partner? Wie kann ich ihn unterstützen?
  • Wenn es Probleme gibt, ansprechen. Verdrängte Konflikte werden nur noch größer.
  • Verallgemeinerungen und Übertreibungen wie „Nie hast du Zeit für mich“, „Immer bist du so und so“ vermeiden.
  • Am besten ist es, Ich-Botschaften zu formulieren, die die eigenen Gefühle beschreiben, und wie das Verhalten des Partners wirkt: „Wenn du mich unterbrichst, fühle ich mich herabgesetzt und nicht ernst genommen.“
  • Von Vorwürfen absehen. Besser konkret Wünsche äußern: „Ich möchte, dass du mehr Zeit mit mir verbringst.“